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Pegida?

Und wo bleibt unsere Angst?

Immer mehr Politiker zeigen Verständnis für die "Pegida"-Demonstranten und mahnen, diese ernst zu nehmen. Ich habe auch Ängste. Große Ängste. Ängste vor diesen Nazis und den sogenannten „Nicht-Nazis“ und dieser Bewegung. Wer macht sich Gedanken darüber, möchte Ok-Hee Jeong wissen.

Von Ok-Hee Jeong Montag, 05.01.2015, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 25.01.2015, 13:55 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

„Pass auf dich gut auf!“, rutscht es mir heute Morgen unwillkürlich raus, als mein Sohn zur Schule geht. Zu sehr bin ich nämlich aufgewühlt vom morgendlichen Nachrichtencheck auf meinem Handy: Fotos von Pegida-Demonstranten mit riesigen Fahnen, die mich mit Grauen an die alten Fotos des Dritten Reiches erinnern, und mich in eine eigenartige ängstliche Stimmung versetzen, die mir bis dato fremd waren. Diese seltsame Stimmung wird noch mehr verstärkt, denn zwischen all den kritischen Berichterstattungen über die Pegida-Demonstrationen erheben sich unaufhörlich Stimmen, dass diese Demonstranten keine Nazis seien und man ihre Ängste und Befürchtungen „umarmen“ müsse.

Verbittert frage ich mich, wer umarmt aber meine Ängste? Meine undefinierbare Angst vor diesen Nazis? Ich gebe es ehrlich zu, in meiner irrationalen und undefinierbaren Angst sind diese Pegida-Demonstranten, die Deutschtümelei betreiben, ihre Fremdenfeindlichkeit legitimieren wollen und sich im Recht wähnen, schlichtweg Nazis. Je länger die Pegida-Demonstrationen andauern und mehr Menschen mitmarschieren, je mehr ich die Fotos von den fahnenschwingenden Menschen sehe, desto größer wird meine irrationale und undefinierbare Angst vor diesen Menschen und vor allem vor dieser Masse. Plötzlich überkommt mich die Angst um meinen Sohn, dass er durch sein anderes Aussehen Fremdenhass und Rassismus erfahren könnte. Diese Angst überkommt mich einfach so.

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Dabei bin ich nicht einmal Muslimin. Dabei bin ich nicht einmal eine Asylantin. Weder trage ich ein Kopftuch noch trage ich eine Burka. Ich bin doch sogar eine Deutsche! Allerdings keine „deutschstämmige“ Deutsche, sondern eine Deutsche mit sogenanntem Migrationshintergrund; denn meine Eltern kamen Ende der 70er Jahre als Gastarbeiter nach Deutschland und entschieden sich hier zu bleiben, und so wurden meine Brüder und ich, die bei unserer Oma in Südkorea zurückgeblieben waren, zu ihnen nach Deutschland geholt. So lebe ich seit meinem achten Lebensjahr in Deutschland.

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Meine Kindheit und Jugendzeit ist geprägt von den Leidenserfahrungen meiner Eltern, die über Ausländerfeindlichkeit und Diskriminierung an ihrem Arbeitsplatz klagten. Ich höre immer noch, wie meine Mutter beschwörend und verbittert auf mich einredet: „Du musst immer besser sein als diese rassistischen Deutschen. Erst dann wirst du als Ausländer in der deutschen Gesellschaft akzeptiert und respektiert.“

In meiner Pubertät häuften sich die erbitterten Diskussionen mit meiner Mutter über die Deutschen: „Wie kannst du nur so pauschalisieren? Nicht alle Deutschen sind rassistisch! Es gibt auch verdammt viele nette Deutsche!“
„Du weiß es eben nicht besser. Du bist noch zu jung und hast die Erfahrung nicht gemacht, die ich gemacht habe.“

Aber ich kann nicht umhin, selber zu pauschalisieren, wenn ich nun diese Fotos von den Pegida-Demonstrationen sehe. Denn es macht wieder automatisch Klick bei mir: Nach der Wiedervereinigung Deutschlands weigerte ich mich lange Zeit, nach Ostdeutschland zu reisen. Zu lebendig waren die Bilder von den Ausschreitungen in Hoyerswerda vor meinen Augen und in meinem Unterbewusstsein hatte sich das Bild der Ossis als Nazis abgespeichert. Nur mit Mühe konnte mein damaliger Freund mich dazu überreden, Urlaub an der Ostsee zu machen. Entgegen meiner Befürchtung vor irgendwelchen Nazi-Begegnungen, waren es mehr herzerwärmende Begegnungen, die in jenem Urlaub an der Ostseeküste folgten.

Aber mein Vorsatz, Ostdeutschland mehr zu erkunden, blieb nur ein Vorsatz in den letzten Jahren. Ganz oben in der Liste der Reiseziele stand vor allem Dresden. Nach Hören und Sagen soll sie doch einer der schönsten Städte Deutschlands sein. Dresden ist jedoch erst einmal für mich gestrichen. Zu sehr machen sich in mir die Wut und vor allem die irrationale Angst breit. Ich mag nicht vorstellen, was vielleicht passieren könnte, wenn ich als Andersaussehende zufällig in diese Pegida-Masse hineingeraten würde.

Lange Zeit war es schwierig für mich, mich als Deutsche zu fühlen. Wie konnte ich das, wo ich doch als Kind und Jugendliche unaufhörlich von meinen Eltern verbittert über die Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung durch die Deutschen erzählen hörte? Wie konnte ich das, wo ich doch von meinen deutschen Freunden unaufhörlich anhören musste, wie sehr sie es hassten, Deutsche zu sein? Dass ihre Väter und Großväter Nazis gewesen seien, und sie diese Schuld unerträglich und unverzeihlich fänden. Wie konnte ich zwischen diesen Polen mich behaupten und sagen, ich bin deutsch, und ich bin stolz, eine Deutsche zu sein, wenn nicht einmal die „deutschstämmigen“ Deutschen gern Deutsche sein wollten? Leitartikel Meinung

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  1. Stefan sagt:

    Lieber Ok-Hee,
    ein Tipp: Gehe nächsten Montag in Dresden mal zu der PEGIDA Demo und schaue Dir die Leute an, die da so mitmachen. Du wirst feststellen, dass das keine Leute sind, vor denen man Angst haben muss.

  2. Saadiya sagt:

    @Stefan: Es sind auch nicht die Leute an sich, die Angst machen, sondern der Kerngedanke und die Brandstifter dieser PEGIDA Bewegung, die uns Angst machen sollte….

    Wer Menschen wegen ihrer Herkunft oder ihrer religiösen Zugehörigkeit pauschal gruppenverurteilt und bewußt falsche Parolen (Islamisierung des Abendlandes) unter das Volk verbreitetet, indem Ängste geschürt werden, um seine eigene Sicht und die Machtbestrebungen dahinter zu verherrlichen, der hat im Grunde nichts Gutes im Sinn.

  3. Saadiya sagt:

    @nanni60: „Alles schön und gut. Aber wer denkt an die Ängste der Deutschen? “

    Ängste können Menschen zu Handlungen oder Einstellungen verleiten, die nicht rational sind. Wer überzeugt ist, dass im eigenen Garten ein rosafarbenes Flusenmonster wohnt, der geht vielleicht nicht mehr in den Garten, verzichtet auf ein Stück Lebensqualität und beschwert sich genau darüber – das Flusenmonster ist Schuld an der eigenen Situation. Es gibt begründete und unbegründete Ängste….

    “ Und, liebe Artikelschreiberin, wenn man liest, was Ihre Eltern von den Menschen gehalten haben, in deren Land sie lebten oder noch leben, dann danke und gute Nacht. Ich war immer der Meinung, man sollte sich den Gepflogenheiten anpassen dort, wo man lebt und ganz sicher war nicht alles so schlimm, wie hier dargestellt.“

    Sie finden die Ängste der PEGIDA berechtigt, gleichzeitig halten Sie aber die Empfindungen anderer für „nicht…so schlimm“… Ein bißchen emfinde ich das als einen Widerspruch zu dem, was Sie oberhalb dazu sagten ( „deutsche Angst genauso schlimm wie ausländische Angst „). Mich würde in diesem Zusammenhang interessieren, was Sie unter „sich den Gepflogenheiten anpassen“ verstehen??? Die Mehrheit der Zuwanderer hält sich an die deutschen Gesetze, lernt die deutsche Sprache, geht einer Arbeit nach, wohnt in einer Wohnung und fährt vielleicht ab und an auch mal in den Urlaub. Welche anderen „deutschen Gepflogenheiten“ hätten sich Einwanderer denn anzupassen? Wie war das noch mal mit der Integration?? Oder doch eher Assimilation gemeint????

  4. Medea sagt:

    @Magistrat Ihre Meinung ist wissenschaftlich nicht haltbar. Ohne Rom wäre das Christentum eine Provinzreligion geblieben. Ohne die Beeinflussung durch die griechische Philosophie und das römische Recht wäre es eine Sekte geblieben. Der Humanismus setzt im 14. Jahrhundert ein, das ist wissenschaftlicher Grundkonsens. Europas Aufschwung ist nicht ein Resultat muslimischer Kultur, da die Zentren beider Kulturbereiche weit voneinander entfernt lagen. Europas Aufschwung ist die Folge einer Expansion nach innen und außen. Die muslimische Kultur hat die griechisch-abendländische Kultur übernommen, so wie die Germanen die römisch-abendländische übernommen haben. Der Orient hat einiges im Handel, in der Medizin, in der Warenwelt und in der Aristotelesrezeption hinterlassen, das war es aber dann auch schon. Für die geistige Entwicklung des Abendlandes während der letzten 750 Jahre ist er im Prinzip bedeutungslos. Er hat den intellektuellen Takeoff im Spätmittelalter einfach verpasst. Man merkt es ja schon an der Kunst im 15. Jahrhundert: Da holen sich osmanische Fürsten venezianische Maler oder abendländische Kanonengießer nach Konstantinopel, weil die einfach fortgeschrittener waren.

    Die These „Alles kommt aus dem Orient“ ist mit Einschränkungen ein Unsinn. Ab 1500 war Europa einfach der Nabel der Welt. Das kann man drehen und wenden, wie man will.

  5. nanni60 sagt:

    @Saadiya,
    mit welchem Recht sagen Sie, Angst kann zu solchen und solchen Dingen verleiten. NUR die deutsche Angst? Es könnte ja auch in Ihrem Garten ein Krümelmonster wohnen, oder? Angst ist Angst, egal, welche Bevölkerungsgruppe sie nun empfindet. Ich für meinen Teil empfinde das, was hier in Deutschland nun gegen Pegida abgeht, höchst unanständig und nicht kompatibel mit Meinungsfreiheit. Jeder, und ich würde sagen, die Migranten nehmen das ohne Abstriche in Anspruch, hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Die Deutschen sind meist zu schwerfällig und faul dazu. Ich muss nicht mitlaufen mit Pegida, es sträuben sich mir aber die Haare, wie fehement gegen Pegida angegangen wird. Dieses Mundtotmachen, dieses Bevormunden, was nun richtig ist oder auch nicht (wobei das eine wie das andere im Auge des jeweiligen Betrachters liegt) und dieser ständige Hinweis, wie schlimm wir doch sind.
    Und an Sie eine Frage: Was genau ist so schlimm an der Assimilierung? Ich meine diese Frage ehrlich und ernst. Was genau ist soooo schlimm? Dass die Kinder dann endlich wüssten, wohin sie gehören, dass man dann vielleicht doch etwas einbringen könnte in die „Alt“kultur des Landes? Dass man dann endlich, vielleicht, irgendwie doch sagen könnte, und zwar mit gutem Gewissen, man ist deutsch und nicht nur ein Stückerl? Dass man wüsste, WO die Wurzel liegen, aber nun halt deutsch ist? Das tut doch der Liebe zu der Türkei keinen Abbruch und ist auch kein Anlass, die Hölle fürchten zu müssen, aber was genau ist daran so schlimm. Weils der Herr Erdogan gesagt hat oder der Uropa? Sie können doch deswegen trotzdem ihre Kultur pflegen, zumindest die Dinge, an denen Ihnen etwas liegt.
    Sehen sie, ich hab eine Menge Verwandtschaft in Vancouver und in Melbourne. Die Kinder und Kindeskinder sind heute echte Kanadier oder Australier. Es würde ihnen nie in den Sinn kommen zu sagen, sie wären Deutsche. Sie haben deutsche Wurzeln, ja, das ist richtig, aber zu allererst sind sie Kanadier oder Australier. Und soll ich Ihnen noch was sagen? Sie haben nicht das Gefühl, dass sie scheel angesehen werden, sie haben nicht das Gefühl innerer Zerrissenheit, sie haben nicht das Gefühl, dass sie eine Sonderbehandluing brauchen. Sie leben dort und geben für IHR Land alles. Das war nicht immer so. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es auch in diesen Ländern schlimm, deutsch zu sein. Aber sie haben sich assimiliert und angepasst, sind heute keine Deutschen mehr und erst kürzlich meinte meine Kusine, jammern ist da nicht drin, Erwartungen an den Staat oder die Bevölkerung auch nicht. Es wird erwartet, dass man dem Land was zurückgibt und nicht etwas bekommt.
    Sagen Sie nicht, Sie bezahlen schließlich Steuern, das ist ja wohl selbstverständlich. Sie nehmen ja auch die Infrastruktur in Anspruch, oder?

  6. Tai Fei sagt:

    Medea sagt: 6. Januar 2015 um 19:28
    „@ Tei Fei energischer Protest: Europa war im Mittelalter dichter besiedelt als die arabische Welt? Selten so gelacht. München hatte da gerade mal 6000 Einwohner, Venedig, eine “Weltstadt”, nur 70000, Rom nur 10000 bis 20000.

    Na dann lachen Sie mal ruhig. Im Spätmittelalter hatte Jerusalem auch nur 10.000 Einwohner und selbst Istanbul als eine der bedeutendsten Metropolen der Zeit nur noch knappe 100.000. Dennoch war Europa ab diesem Punkt dichter besiedelt, was die Geographie Europas auch Nahe legt. Warum gab es wohl eine erfolgreiche Ostexpansion gegen die Slawen und wieso kam die islamische Expansion in Europa nicht über Iberien hinaus bzw. wurde schließlich im Spätmittelalter sogar zurückgedrängt?
    Zwar gab es durch die Pestwellen erhebliche Einbrüche in Bevölkerungswachstum, die betrafen aber auch den muslimisch besiedelten Teil im Mittelmeerraum. Hinzu kam, wie schon erwähnt, der Mongolensturm, welcher das „Abendland“ praktisch kaum betraf.

    Medea sagt: 6. Januar 2015 um 19:28
    „Das abendländische Europa hatte keinen Mongolensturm, dafür aber einen Germanensturm. Der hat alles “finster” gemacht und nicht die “böse” katholische Kirche, die eine römisch-antike Errungenschaft ist.“

    Einen „Germanensturm“ hat es nie gegeben. Wo haben Sie denn Ihre Geschichtskenntnisse her? Im Gegenteil, die Germanen waren oft ein verlässlicher Partner in weströmischen Zeiten. Es wird auch seit Jahrzehnten als obsolet betrachtet, dass die Völkerwanderungen das weströmische Reich vernichteten. Wahrscheinlich ist die neuere Geschichtsforschung an Ihnen vorbei gegangen. Im Übrigen ist auch die katholische Kirche keineswegs eine antike Errungenschaft. Dem ursprünglichem Christentum der Antike steht die orthodoxe Kirche immer noch näher, als die katholische. Immerhin wurde das antike Erbe von Konstantinopel bewahrt nicht von Rom. Rom hatte im Mittelalter noch nicht mal mehr eine Kanalisation und die größte christliche Kirche war bis zum 16. Jh. nun mal die Hagia Sophia.

    Medea sagt: 6. Januar 2015 um 19:28
    „Der Humanismus geht definitiv auf Petrarca zurück, auf Piccolomini, Leonardo Bruni, Lorenzo Valla, Papst Nikolaus V., Coluccio Salutati, usw. Italien hat es halt vorgemacht. Und Erasmus von Rotterdam, der im 16. Jahrhundert gelebt hat, war kein Humanist? Tut mir Leid, aber das ist historisches Unwissen total, was Sie von sich geben.“

    Die Entwicklung des Humanismus ist eher eine Abkehr von religiösen Dogmen. Der Humanismus begreift den Menschen nicht als Gottgelenkt sondern als selbstständiges, aktiv gestaltendes Wesen. Und ja, er hat seine Wurzel in der Renaissance, welche die Wiederentdeckung antikes Wissen darstellt. Dieses Wissen wurde jedoch vornehmlich über den oströmischen und den muslimischen Kulturkreis bewahrt. Im Übrigen waren die muslimischen Machtzentren im Mittelalter die einzige kulturelle Verbindung zu den Hochkulturen Indiens und Chinas.

    Medea sagt: 6. Januar 2015 um 19:28
    „Latein war auch Verkehrssprache für Adelige, Fürsten, aber auch für Händler und Künstler, für alle die halt lesen konnten. Wer etwas auf sich gehalten hat, konnte Latein. War ja auch praktisch, weil man als abendländischer Europäer nur die eine Fremdsprache beherrschen musste, um überall studieren zu können.“

    Wie schon gesagt, Latein war mit dem Untergang Westroms nur noch die Sprache einer elitären Schicht. Für Händler bot sich eher griechisch an, da dass die Amtssprache in Byzanz war. Die breite Masse Europas sprach und verstand jedoch KEIN Latein. Somit war es weder Verkehrssprache noch Weltsprache. Latein galt bereits im Mittelalter als eine tote Sprache, was auch dadurch belegt ist, dass sich Latein eben NICHT weiterentwickelt hat. Ein gewisser Schub setzte auch hier erst wieder mit der Renaissance ein.

    Medea sagt: 6. Januar 2015 um 19:28
    „Der Humanismus hat nichts mit aristotelischer Naturwissenschaft zu tun, ist sogar eine Abkehr von ihr. Der Humanismus begeistert sich für das antike Bildungsideal, das für die Verfeinerung des christlichen Lebens nutzbar gemacht werden sollte. Er zielt auf die Sprache, als elementarstem Ausdruck menschlichen Denkens und Fühlens, nicht auf schnöde ratio, die keinen Menschen besser macht und oft sehr fragwürdig ist, wie jeder gebildete Mensch wissen sollte.“

    Wer behauptet denn, dass Humanismus die Gleichsetzung mit Naturwissenschaft wäre? Hat hier niemand getan. Das antike Bildungsideal umfasste eigentlich weniger eine naturwissenschaftliche Ausbildung, obwohl die durchaus Bestandteil war, sondern eher Rhetorik und Philosophie in der lateinische Ausprägung sogar mehr auf Rhetorik. Sie verwechseln hier wohl Naturwissenschaften mit Sozialdarwinismus, übrigens auch eine „schöne“ europ. Erfindung des 19. Jh..

    Medea sagt: 6. Januar 2015 um 19:28
    „Humanismus hat nichts mit der Aufklärung zu tun, die als Befreiungsideologie konzipiert ist, nicht als Bildungsbewegung. Aufklärung ist sogar eher eine bildungsfeindliche Bewegung, weil sie Autorität ablehnt und Neues anstrebt.“
    o.K. also ab hier wird´s doch etwas krude. Wie definieren Sie denn bitte Bildung? Das Ablehnen überholter obsoleter Dogmen und streben nach neuen Erkenntnissen ist für Sie eine bildungsfeindliche Bewegung?

    Medea sagt: 6. Januar 2015 um 19:28
    „Die Antike ging nicht vor der muslimischen Expansion zugrunde, dann wäre nämlich Justinian eindeutig ein mittelalterlicher Kaiser…“

    Justinian starb 565, da war Mohammed noch nicht mal geboren. Die islamische Expansion begann erst gegen 630 also gute fünfzig Jahre NACH Justinians Tod. Beide Ereignisse stehen in keinem Kontext.

    Medea sagt: 6. Januar 2015 um 19:28
    „Einfach ausgedrückt: Die Einflüsse aus dem Osten dürfen trotz wichtiger Impulse nicht überschätzt werden, weil der größte Teil der Handschriften in Europa rezipiert wurde, wo ja Rom seine Zentren hatte. Ohne die karolingischen Mönche hätten die Scholastiker des Hochmittelalters und Humanisten des Spätmittelalters nur wenige antike Texte zur Verfügung gehabt.“

    Die Einflüsse aus dem Osten waren ENTSCHEIDEND für die Entwicklung Europas im späten Mittelalter. Zwar war die karolingische Renaissance durchaus wichtig, immerhin kam es hierdurch im christlichen Abendland überhaupt erst wieder zu einer nennenswerten Schriftkultur, jedoch konnte sie den Stand der Antike nicht wieder erreichen.
    Und da Sie schon die Rolle der Scholastiker ansprechen. Deren wichtige Stellung kam aus dem byzantinischen Territorium. Wesentliche Impulse waren hier Übersetzungen antiker Werke ins Lateinische. Diese lagen demnach eben NICHT mehr im lateinischen Bereich vor. Die Quellen lagen hier in Ostrom und den arabischen Übersetzungen der antiken Texte.

    Medea sagt: 6. Januar 2015 um 19:28
    „Vielleicht sollte man den Spiess eher umdrehen und fragen, wie viel die muslimische Welt vom Westen übernommen hat?“

    Das stellen Sie doch gerade in Abrede. Sie behaupten doch im Wesentlichen, die muslimische Welt hätte nichts dazu gelernt.

    Medea sagt: 7. Januar 2015 um 09:29
    „Ohne Rom wäre das Christentum eine Provinzreligion geblieben. Ohne die Beeinflussung durch die griechische Philosophie und das römische Recht wäre es eine Sekte geblieben.“

    Griechischen Philosophie und römisches Recht existierten schon VOR dem Christentum. Das römische Recht hat auf die europ. Entwicklung tatsächlich einen enormen Einfluss gehabt, dass hat mit dem Christentum an sich aber nichts zu tun. Beides unterliegt keiner Kausalität. Dass das Christentum zur Staatsreligion erklärt wurde half diesem natürlich aber auch schon zuvor war es eine stark verbreitete Religion, die auch ohne Förderung (sogar gegen enormen Widerstand) wuchs. Im Übrigen ist ja auch der Islam zu einer Weltreligion angewachsen und das ganz OHNE Rom.

    Medea sagt: 7. Januar 2015 um 09:29
    „Der Humanismus setzt im 14. Jahrhundert ein, das ist wissenschaftlicher Grundkonsens. Europas Aufschwung ist nicht ein Resultat muslimischer Kultur, da die Zentren beider Kulturbereiche weit voneinander entfernt lagen.“

    Das ist völliger Blödsinn. Durch die italienischen Mittelmeerrepubliken gab es einen festen Austausch zwischen beiden Kulturkreisen und nicht umsonst, nahm die Renaissance dort ihren Anfang. Genua z.B. unterhielt noch nach dem Fall Konstantinopels an die Osmanen noch eine Niederlassung am Goldenen Horn. Ist bautechnisch sogar heute noch zu bewundern.

    Medea sagt: 7. Januar 2015 um 09:29
    „Die muslimische Kultur hat die griechisch-abendländische Kultur übernommen, so wie die Germanen die römisch-abendländische übernommen haben. Der Orient hat einiges im Handel, in der Medizin, in der Warenwelt und in der Aristotelesrezeption hinterlassen, das war es aber dann auch schon.“

    „Griechisch/Abendländisch“ „Römisch/Abendländisch“ wo zaubern Sie denn bitte diese Begriffe hervor? Griechenland, vor allem in seiner Blüte im Hellinismus, war IMMER ostwärts gewannt. Der Römische Staat in seiner größten Ausdehnung war ein kultureller und religiöser Vielvölkerstaat. In beiden Kulturen gab es kein Abendland. Im Gegenteil, im damaligen kulturellen Selbstbild, war der Rest Europas barbarisches Wildland. Der muslimische Kulturkreis wiederum bewahrte nicht nur antike Wurzeln, die im lateinischen Europa praktisch zusammenbrachen, er war über Jahrhunderte auch der EINZIGE Mittler zu den Hochkulturen Indiens und Chinas.

    Medea sagt: 7. Januar 2015 um 09:29
    „Ab 1500 war Europa einfach der Nabel der Welt. Das kann man drehen und wenden, wie man will.“
    Das ist übelster Eurozentrismus. Sowohl die indischen Mogulreiche als auch China waren um 1500 Europa kulturell wie auch wirtschaftlich noch haushoch überlegen. Ferner verdankt Europa seinen Aufschwung eben nicht irgend welcher „Werte“, sondern im wesentlichen dem Privatkapital. Die Kapitalkonzentration in den Händen eines potenten Bürgertums mit der Suche nach Rendite ist die Ursache für den europ. Aufstieg zur Weltmacht. Kulturell wie wissenschaftlich gab es zur Zeit des Spätmittelalters etliche gleichwertige Kandidaten weltweit in Asien und Amerika. Die aggressive (das ist nicht unbedingt wertend gemeint) Politik des europ. Bürgertums machte Europa erst zum Nabel der Welt.

  7. DBarth sagt:

    .(Pegida ist nicht Dresden.) .aber wo bleiben die Dresdner, die gegen Ausländerfeindlichkeit, Neonazis bzw. Rechtsradikale sind, die Stadt hat ca. 530.754 Einwohner, warum gehen nicht, zumindest genauso viele, auf die Straße in Demo gegen Pegida ? wenn es stimmen sollte, dass alle oder die meisten Pegida- Demonstranten von außerhalb Dresden kommen und auf sich so einen weiten Weg nehmen für ihre Sache, wieso schaffen sie es die Dresdener nicht mal vor der Tür zu gehen?

  8. Medea sagt:

    @Tei Fei Ich habe zufälligerweise Geschichte im Nebenfach studiert. Es steht Ihnen natürlich frei, es besser zu wissen. Jeder so wie er kann.

    1. Natürlich hat es nie Germaneneinfälle gegeben. Rom wurde nie von den Vandalen und den Ostgoten geplündert. Britannien nie von den Sachsen und Friesen überfallen. Sueben waren nicht in Spanien und Ostgoten nicht in Rom. Und Alamannen haben nie den Rhein überquert. Alles Kooperation. Selten so gelacht! Natürlich gab es auch germanische Heerführer und Föderaten und eine Einwanderung, die eingesickert ist, aber so gewaltfrei wie Sie das schildern, war es nicht. Das ist historisch falsch.

    2. Dass Städte in Europa einfach kleiner waren als in China, Indien und im Orient, ist Grundkonsens. Je mehr man in Richtung Süden geht, umso größer werden sie. Konstantinopel war noch um 1500 eine Stadt, die unendlich viel größer war als die meisten Metropolen des Reichs. Peking war eine Millionenstadt, ohne dass dies im Westen jemand – bis auf Ausnahmen – so richtig bemerkt hätte. Um 900 lebten in Deutschland kaum 1 Million Menschen. Das muss man einfach so sehen, wie es war.

    3. Ohne die karolingische Renaissance hätte man die Buchverluste der Spätantike nicht kompensieren können. Wenn Sie heute einen lateinischen 0815 Text zur Hand nehmen, war der nun mal irgendwann in Fulda oder Monte Cassino – salopp ausgedrückt. Es ist halt so.

    4. Außerdem verwechseln Sie den literarischen, geistig-philosophischen Austausch mit materiellem Austausch und naturwissenschaftlichem Austausch. Das antike Griechenland war ostwärts gewandt, gewiss, es hat aber Eigenes hervorgebracht genauso wie das christliche Abendland. Es wäre närrisch, das abzustreiten. Der chinesische und indische Kulturkreis war definitiv unbedeutend für uns.

    5. Rom war ursprünglich kein Vielvölkerstaat,, wenn man von den paar Bundesgenossenvölkern absieht, aber er wurde zu einem.
    Das verbindende Glied war ab der Spätantike die katholische Religion (Kaiser Konstantin) und die lateinische Sprache. Das war so prägend, dass sich der Franke Karl in Rom zum Kaiser krönen lassen konnte. Die Kalifen haben sich nicht als Fortsetzer der antiken Kultur verstanden, die fränkisch-deutsch-römischen Kaiser schon (Caesar wird ja bekanntlich nur im Deutschen korrekt ausgesprochen). Das Reich („Imperium“) ist im Selbstverständnis der Menschen des Mittelalters nie zusammengebrochen. Rom blieb immer das Zentrum.

    6. Die meisten lateinischen Texte hat das westliche Abendland selbst rezipiert. Wenn Sie es nicht glauben, dann schauen Sie halt mal in einem Handschriftenkatalog nach. Die für die Entwicklung des deutschen Nationalismus so wichtige „Germania“ des Tacitus stammt nicht aus dem Orient, die erst sehr viel später entdeckte Schrift de re publica auch nicht, um nur einmal zwei bekannte Beispiele zu nennen.
    Der Orient hat keine Pendelraduhr hervorgebracht, keine leistungsfähige Druckindustrie, keine vergleichbare Maschinen-, Montan-, Stahl- und Waffenindustrie. Unsere Gemäldegalerien beinhalten keine muslimisch beeinflussten Bilder (wie hätte der bilderfeindliche Islam da auch Einflüsse geltend machen können?) unsere Bibliotheken hauptsächlich Prachthandschriften mit christlichem Inhalt. Beim Barock ist der Einfluss auch nur ein äußerlicher.

    7. Gibt es in der arabischen Welt keine Bewegung, die mit der Renaissance vergleichbar wäre.

    8. Ab 1250 ist definitiv Sense. Mit den Mongoleneinfällen vergleichbare Katastrophen wie die Schwarze Pest, den Hundertjährigen Krieg, die Religionskriege, den 30jährigen Krieg oder den Sacco di Roma hat Europa bemerkenswert leicht überstanden. Das hat die kulturelle Blüte nicht beeinträchtigt. Im Gegenteil: Senken Sie nur an Boccaccio!

    9. Hat die arabische Welt, wie Sie ja zugeben, kein vergleichbares Bürgertum hervorgebracht auch keinen frühneuzeitlichen „Staat“, keinen vergleichbaren Kapitalismus, keine Aufklärung

    Fazit: Das Abendland hat die translatio studii eindeutig für sich gewonnen. Lernen darf man von anderen, aber die eigenen Leistungen sollte man sich nicht in Abrede stellen lassen!

  9. Ich habe auch Erfahrungen mit Rechtsradikalen gemacht.. Aber am Ende muss man das Ganze relativieren.

    Feridun Zaimoglu hatte z. B. Recht, als er sagte: „Ich bin nicht die Stiftung Türken-Warentest.“ und dieser Satz gilt auch für Deutsche. Mit dem Hintergedanken „typischer Ausländer oder typischer Deutscher“ sehen automatisch irgendwelche Gruppen sich als Opfer oder den anderen als Täter. Es mag sein, dass in Dresden mehr Rechtsradikale gibt. Irgendwo gibt es immer Radikale. Für mich aber überlebt trotzdem das Individuum. Denn am Ende sitzen wir alle im gleichen Boot und kämpfen gegen Vorurteile, weil jeder irgendwie irgendwer ist: Punker, Skins, Emos, dummen Hip Hopper, Macho, Tokio Hotel- Fans, Kommunisten, oder Frauen und eben Ausländer / homosexuelle Mitbürger usw..

  10. Saadiya sagt:

    @nanni60:“mit welchem Recht sagen Sie, Angst kann zu solchen und solchen Dingen verleiten. NUR die deutsche Angst? Es könnte ja auch in Ihrem Garten ein Krümelmonster wohnen, oder? Angst ist Angst, egal, welche Bevölkerungsgruppe sie nun empfindet.“

    Mit dem Recht der freien Meinungsäußerung. Nicht jeder regaiert auf empfundene Ängste in der gleichen Weise. Der eine bleibt eben dem Garten mit dem vermeintlichen Monsterchen fern, der andere stellt sich seinen Ängsten und schaut nach, ob es wirklich ein Monsterchen gibt, das da im Garten wohnen könnte.

    Ängste sind natürlich real, nicht immer aber sind die Ursachen der Angst rational begründet – also tatsächlich vorhandenen Gefahren. Ängste haben uns in unserer menschlichen Entwicklungsgeschichte geschützt, denn sie warnen vor MÖGLICHEN Gefahren. Dabei muss sich hinter einem raschelnden Busch nicht immer ein Tiger befinden, vielleicht ist es auch nur ein harmloser Igel.

    Die von PEGIDA heraufbeschworene „Islamisierung des Abendlandes“ und die daruch erzeugten Ängste bei der Bevölkerung halten bei kritischer Betrachtung der Realität nicht stand. 82 Millionen Einwohner, NUR 4 Millionen Muslime, davon tragen nur 28% ein Kopftuch (sichtbare Muslime), rund 3000 Moscheen (143 davon als Moschee nach außen erkenntbar) in ganz Deutschland stehen 40.000 Kirchen gegenüber….der Tiger ist nur ein Igel!