Ausstellung
„Immer bunter. Einwanderungsland Deutschland“
Besonders in Tagen wie diesen, an denen die Ausländerfeindlichkeit für Schlagzeilen sorgt, ist die Ausstellung im Bonner Haus der Geschichte einen Besuch wert - auch wenn sie die Sonnenseite der Gastarbeitergeschichte in den Vordergrund rückt. Von Francesca Polistina
Von Francesca Polistina Donnerstag, 22.01.2015, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 05.07.2018, 15:04 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Sabri Güler kam 1964 nach Deutschland. Seine Werkstatt in der Türkei, wo der gebürtige Bulgare seit Jahren lebte, war pleitegegangen. Der Umzug nach Deutschland schien damals die beste Entscheidung zu sein: bei Bielefeld fand er eine Stelle als Elektroschweißer, Jahre später kamen auch seine Frau und die drei Kinder nach. Mit ihnen und einem gebrauchten Ford Transit fuhr er jedes Jahr in die Türkei in den Urlaub, genauso wie viele tausende Arbeiter. Keine Überraschung, dass der großräumige Transporter zum typischen Erscheinungsbild von Gastarbeitern auf der Urlaubs- oder Heimreise wurde.
Mit anderen Objekten nun stellt der Kleintransporter einen Teil der Ausstellung „Immer bunter“ dar, die im Bonner Haus der Geschichte den Weg Deutschlands zum Aufenthaltsland und schließlich zum Einwanderungsland beschreibt. Die Ausstellung, kostenfrei wie das ganze Museum, ist bis zum 9. August 2015 zu sehen. Besonders in Tagen wie diesen, an denen die Ausländerfeindlichkeit für Schlagzeilen sorgt, ist sie einen Besuch wert.
Was den heutigen Debatten vor allem fehlt, ist eine historische Perspektive und ein – wenn man es so nennen darf – „Gedächtnis der Migration“. Die Ausstellung versucht das Gegenteil: chronologisch porträtiert sie die Einwanderung nach Deutschland von der Nachkriegszeit bis heute und thematisch verweilt sie auf den wichtigsten Wendepunkten des Phänomens. So erfährt der Besucher zum Beispiel, dass das erste „Anwerbeabkommen“ für ausländische Arbeiter schon 1955 von der BRD unterschrieben wurde, und zwar mit Italien: Deutschland brauchte Arbeitskräfte, das Wirtschaftswunder forderte es, die Unternehmen selbst machten Druck. Es folgten weitere Verträge mit acht Ländern, die Millionen Gastarbeitern den Weg in das Land öffneten: vorgesehen war, dass sie nach einer befristeten Zeit wieder in ihre Heimatländer zurückkehren sollten. Doch, wie der Schriftsteller Max Frisch sagte, „Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen“ – und die Menschen, zumindest ein Teil von ihnen, entschieden sich zu bleiben.
Die verschiedenen Phasen der Migration sind in der Bonner Ausstellung gut dargestellt: von der ersten Gastarbeiterphase bis zur heutigen Debatte um den Islam, durch Etappen wie die Ölkrise 1973 und den daraus resultierenden Anwerbestopp oder die dramatischen Geschehnisse der Neunziger, wo in Mölln, Solingen oder Rostock-Lichtenhagen Ausländer von Rechtsextremisten verletzt oder brutal getötet wurden. Dabei handelt es sich um ein trauriges Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte, das auch hier mit viel Aufmerksamkeit und Kritik dargestellt wird. Denn das ist klar: das alles darf nicht in Vergessenheit geraten.
Dabei nimmt das Haus der Geschichte eine klare Position gegen den Rechtsextremismus, was durchaus gerecht aber auch ziemlich einfach scheint. Einfach, weil man keinen großen Mut braucht, um sich gegen die rechtextremistischen Anschläge zu stellen: der Großteil der deutschen Gesellschaft würde das gleiche tun. Schwieriger ist hingegen, die graue Zone zu analysieren und zu kritisieren: und zwar die Zone der falschen Toleranz und der subtilen Ausländerfeindlichkeit, wo die körperliche Gewalt nicht ausgeübt aber stillschweigend legitimiert wird, wo die Vorurteile entstehen und ständig genährt werden. Es ist eben dieses grenzwertige Substrat, aus dem die Anschläge der Neunziger sowie die des NSU gewachsen sind. Und viele von uns gehören dazu. Auch die Behörden? Auch unsere Familien und besten Freunde? Wir?
So findet man in der Ausstellung eine detaillierte Beschreibung der rechtsextremistischen Anschläge, aber keine ausführliche Antwort auf die Frage, wie die deutsche Gesellschaft (und gemeint ist die nichtextremistische) auf die Ausländerflüsse reagiert hat. Wie waren die alltäglichen Beziehungen zwischen den Einheimischen und den Gastarbeitern? In der Ausstellung spricht man vom Wohnungsproblem, doch war es das einzige? Dass das Leben vieler Ausländer von einem Alltagsrassismus geprägt war, während sie für das deutsche Wirtschaftswunder als überaus wichtig galten, wird nicht tiefgründig genug beleuchtet.
Die Interviews, die man sich anhören kann, wären dabei eine gute Gelegenheit gewesen, den Migranten selbst die Stimme zu geben. Eine Stimme, die in diesem Fall leider sehr einheitlich klingt: so schildert Lorenzo Annese, ein perfektes Bild der Integration, dass er als einziger Italiener auf der Arbeit keine Probleme mit den Kollegen hatte. Oder eine jugoslawische Migrantin, dass ihr von den deutschen Frauen immer geholfen wurde. Dabei handelt es sich um sehr schöne persönliche Geschichten, doch war das immer so? Warum wird nichts über die andere Seite erzählt, und zwar die des gegenseitigen Unverständnisses und der Abneigung, die es natürlich auch gab? Nicht um auf jemanden mit dem Finger zu zeigen, sondern um den schwierigen Prozess der Migration zu schildern. Denn was das Leben der Ausländer in Deutschland wirklich schwierig macht, sind nicht nur die Anschläge der Extremisten, sondern auch die Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt und bei der Wohnungssuche und die kleinen aber unsterblichen Klischees. Aktuell Feuilleton
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