Staatstreu mit Stoff?
Wie das Lehrerinnenkopftuch die Gesellschaft spaltet
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Kopftuchverbot wird kontrovers diskutiert. Die Debatte wird mitunter getragen von Ängsten. Aber sind diese auch begründet oder reden wir uns nur etwas ein? Von Jasamin Ulfat
Von Jasamin Ulfat Donnerstag, 19.03.2015, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 25.03.2015, 9:00 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Im Jahr 2006 habe ich im Rahmen eines Universitätsprojekts an einer Hauptschule im Ruhrgebiet unterrichtet. Die Lerngruppe bestand zum überwiegenden Teil aus Schülern mit Migrationshintergrund, die meisten von ihnen waren Muslime. Positiv überrascht waren sie wegen meines Kopftuchs, verblüfft vernahmen sie, dass ich trotz meiner Hautfarbe und Religionszugehörigkeit an einer deutschen Universität studieren darf – ein Fakt, der bisher erschreckenderweise nicht zu ihnen vorgedrungen war.
Bereits nach wenigen Wochen kam eine meiner jüngsten Schülerinnen auf mich zu und erklärte, sie wolle – so wie ich – ab kommendem Montag ein Kopftuch tragen. Der Stolz in ihrer Stimme überzeugte mich nicht. Ich beglückwünschte sie zuerst dafür, dass sie den Mut hat, ihr Leben so zu gestalten, wie sie es für richtig hielt. Dann hakte ich nach und fand schnell heraus, dass es bei ihr zuhause zwar keinen Zwang zum Kopftuch, wohl aber ein starkes Drängen in diese Richtung gab. Wir redeten. Ich erklärte ihr, dass das Tragen eines Kopftuchs viel Kraft kostet und dass man auch ohne Kopftuch eine gute Muslimin, vielmehr: ein guter Mensch sein könne. Ich erklärte ihr, dass nur sie allein die Entscheidung darüber treffen dürfe, wie sie sich kleidet. Sie versprach mir, noch einmal intensiv darüber nachzudenken. In der nächsten Woche erschien sie weiterhin unverhüllt, und lächelte mir verschwörerisch zu.
Ich gebe also den Kritikern gerne Recht: eine Lehrerin mit Kopftuch kann ihre Schülerinnen und Schüler beeinflussen. So wie jeder andere Lehrer auch, so wie jeder Mensch ständig seine Umwelt beeinflusst und von dieser beeinflusst wird. Das Bundesverfassungsgericht hat mit dem Urteil zum Kopftuch im Lehrberuf eine wichtige Aussage getroffen: relevant ist nicht, dass eine Beeinflussung stattfindet, sondern wie diese aussieht. Wenn ich als Lehrerin Schüler manipuliere, ihnen meine Meinung aufzwinge, dann ist das falsch, ganz egal um welche Meinung es geht. Als Lehrerin habe ich die Aufgabe, meine Schüler im Sinne des Grundgesetzes zu erziehen, und das kann ich auch mit Kopftuch. In manchen Fällen ist das vielleicht sogar noch effektiver, gerade dann, wenn es um Auseinandersetzungen mit schwierigen Familien geht, in denen ein fundamentalistischer Islam treibende Kraft ist.
Diese Meinung ist jedoch nicht sehr populär, so wie auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Gesellschaft zu spalten scheint. Sehr deutlich kamen die gängigen Ängste besorgter Bürger im Interview des ZDF-Journalisten Claus Kleber mit der Grünen-Vorsitzenden Katrin Göring-Eckhardt zum Vorschein. Während Göring-Eckhardt die Vorzüge einer freien Gesellschaft gegen die Diskriminierungen, welche sie selbst in der DDR erfahren hatte, abwog, sprach Kleber unentwegt vom „Anblick einer Lehrerin mit Kopftuch“ den Kinder und Eltern jetzt „aushalten“ müssten, und dass ihr Recht „diesem Anblick nicht ausgesetzt zu sein“ nun vom Bundesverfassungsgericht abgewertet wurde. Damit zeigt Kleber wohl ungewollt den Kern des Konflikts: es geht hier nicht darum, muslimischen Schülerinnen aus der Unterdrückung zu helfen. Es geht um das Recht der Mehrheit, Minderheiten weiterhin in der Peripherie zu halten, sie in der Mitte der Gesellschaft nicht sichtbar werden zu lassen. Es geht darum, dass unsere Kinder deutsche Realitäten nicht als normal kennenlernen sollen. Die einen protestieren gegen den Anblick von homosexuellen Elternpaaren in Schulbüchern, die anderen stören sich an selbstbewussten jungen Frauen mit abweichendem religiösem Bekenntnis. Beides – angeblich – zum Schutz der Kinder.
Entgegen der Unkenrufe funktioniert aber der deutsche Rechtsstaat: Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, welche bereits im Jahr 2003 wesentlich ambivalenter ausfiel als Claus Kleber es darstellt,wenn er behauptet, dass es im Jahr 2015 seine eigene Rechtsprechung „auf den Kopf“ stellt, gewährleistet die sichtbare Vielfalt der Lebensformen.
Nicht sehr überraschend meldet sich auch Berlins kontroversester Bürgermeister, Heinz Buschkowsky zu Wort. Er bezeichnet das Urteil als „Katastrophe“, sieht gar den Kampf gegen religiösen Fundamentalismus bedroht. Dass eine Lehrerin mit Kopftuch ihren Einfluss auch zur Mäßigung nutzen kann, und im Fall salafistischer Propaganda und Rekrutierung durch ISIS auch nutzen muss, bedenkt er nicht.
Lehrer wird man in Deutschland nur nach langjährigem, anspruchsvollem Studium. Das anschließende Referendariat prüft die Lehramtsanwärter noch einmal auf Herz und Nieren. Wer seine fundamentalistische Agenda unbeschadet und unbemerkt durch eine solche Ausbildung tragen kann, der lässt sich auch durch ein Kopftuchverbot nicht vom Schuldienst abhalten. Wer manipulieren will, der findet Wege. Leitartikel Meinung
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@aloo masala
Auch durch wiederholung wirds nicht richtiger.
„…wenn diese billigend in Kauf nimmt, dass nur bestimmte Gruppe von Menschen in ihren Grundrechten gehindert werden“
Alle werden gleichermaßen „benachteiligt“. Die Atheisten dürfen genausowenig ihre Weltanschauung öffentlich kund tun. Das Problem scheint zu sein, dass die Religiösen mal wieder keine Kompromisse eingehen wollen, wahrscheinlich auch weil man neutral mit atheistisch gleichstellt.
Eine laizistische Schule ist in Deutschland GG-konform und es ist nur eine Frage von politischem Willen. Es gibt gute Gründe warum ich der Meinung bin dass Religionen in unseren Schulen nichts verloren haben und man konnte mir bisher nur die Richtigkeit meiner Behauptung untermauern.
Seltsam auch dass in Frankreich die Muslime viel flexibler sind, wenn die Linie klipp und klar vorgegeben ist. Man nutzt hier lediglich aus dass es den Deutschen gehörig an Selbstbewusstsein mangelt.
Also mir gehts um Frieden.