Interview zum Wochenende
Emigrant zu sein ist kein einfaches Schicksal
Weil es nur sehr wenige Übersetzer aus dem Albanischen ins Deutsche gibt, übersetzte Anila Wilms ihr Buch einfach selbst ins Deutsche; Ein schwieriges Unterfangen - für knapp 200 Seiten brauchte sie ein ganzes Jahr. MiGAZIN sprach mit ihr über ihre Motivation, die Sprache und ihre Migrationsgeschichte.
Von Francesca Polistina Freitag, 20.03.2015, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 05.07.2018, 15:04 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Was, wenn man die eigene Muttersprache verlässt, um sich mit einer neuen zu liieren? Was, wenn man Schriftsteller ist, und man sich trotzdem und bewusst dafür entscheidet? Eine Sprache ist mehr als eine Gesamtheit von Worten und Lauten, sie ist der Spiegel einer Kultur, einer Geschichte, einer Gemeinschaft und vieles mehr. Anila Wilms weiß das. Sie, 1971 in Albanien geboren, wohnt seit 1994 in Berlin. Ihren ersten Roman, Das albanische Öl oder Mord auf der Straße des Nordens, schrieb sie auf Albanisch und dann auch auf Deutsch; seitdem ist die deutsche Sprache eine feste Begleiterin von ihr. Im Jahr 2013 bekam sie den Chamisso-Förderpreis. Im Interview mit migazin.de spricht sie über ihr Deutsch und ihre Migration.
Wann haben Sie sich entschieden, auf Deutsch zu schreiben?
Anila Wilms: Es war 2008, ich hatte meinen zweiten Roman in albanischer Sprache geschrieben und in Tirana veröffentlicht. Ich wünschte mir sehnlich, dass er auch in Deutschland erscheint; ich lebte schon seit 14 Jahren in Berlin und dies war ein natürlicher Wunsch. Das Problem war, dass es nur sehr wenige Übersetzer aus dem Albanischen ins Deutsche gibt. Ich konnte unter ihnen keinen finden, der bereit wäre, mein Buch zu übersetzen. Nach einigen Wochen der Verzweiflung, entschied ich mich, die Sache in die Hand zu nehmen und mit der Übertragung meines Textes ins Deutsche zu beginnen.
Das ist sicher keine einfache Arbeit gewesen, nur wenige, mutige Schriftsteller trauen sich zu, in einer erlernten Sprache zu schreiben.
Wilms: Durchaus, es war eine wahre Herkules-Aufgabe für mich. Nach 14 Jahren, darunter 6 Jahre Studium an der Freien Universität Berlin, war mein schriftliches Deutsch sehr gut, aber Literatur und Dichtung sind eine ganz andere Dimension. Außerdem, lagen die beiden Sprachen, die ich miteinander zu verbinden versuchte, sehr weit auseinander, wie ich das empfand. Es galt, einen sehr großen kulturellen Unterschied sprachlich zu überbrücken. Es war sehr viel Such- und Denkarbeit notwendig, für knapp 200 Seiten habe ich ein ganzes Jahr gebraucht.
Haben Sie dann besondere literarische Modelle der deutschsprachigen Literatur berücksichtigt?
Wilms: Ich orientierte mich an den Arbeiten österreichischer Autoren, wie etwa Joseph Roth. Sie gaben mir Beispiele, wie man Themen und Geschichten aus dem Osten und Südosten Europas in deutscher Sprache darstellt, ihr Deutsch trägt dieses spezielle Balkan-Kolorit, die Stimmung, das Lebensgefühl, den Humor unserer Breitengrade. Diese Alchemie hat mich immer schon fasziniert. Ich habe mich dieser Arbeit mit großer Freude hingegeben – albanische Themen und Geschichten ins Deutsche zu übertragen. Und so zum spannenden interkulturellen Dialog beizutragen.
Was bedeutet es für Sie, auf Deutsch zu schreiben?
Wilms: Deutsch wird immer mehr zur natürlichen Schriftsprache für mich. Es ist ein fortschreitender Prozess und inzwischen bin ich so weit, dass es mir nicht mehr auffällt, in welcher der beiden Sprachen ich schreibe. Deutsch fühlt sich nicht mehr fremd an, es ist kein Hindernis mehr, es kostet keine extra Anstrengung, die Worte kommen von alleine, wenn ich sie brauche. Ein sehr, sehr kostbares Gefühl; ich habe in den letzten sieben Jahren sehr intensiv daraufhin gearbeitet.
Dass eine Fremdsprache oft mit Akzent und Ungenauigkeit gesprochen wird, kann in Deutschland zu Nachteilen führen – das ist zumindest die Erfahrung eines Teiles der Ausländer in Deutschland. Was ist ihre Erfahrung?
Wilms: Ich kann von keinen Nachteilen berichten, aber meine Perspektive ist schon eine sehr spezielle. Ich bin als DAAD-Stipendiatin nach Deutschland gekommen, ich lebte vom ersten Tag an an der Universität, unter Archäologen und später (Osteuropa-)Historikern, also unter „Berufskosmopoliten“. Universitäten sind in diesem Land ein geschützter Raum, wo humanistische Ideale gedeihen. Meine kulturelle Identität, meine eigentümliche Ausdrucksweise, mein Akzent und meine Grammatikfehler waren kein Problem, sondern genau das Gegenteil: ein Spiegel, eine Vergleichsmöglichkeit, Abwechslung, Bereicherung, Quelle von Einsicht, Quelle von Humor. Immer und ohne jede Ausnahme. In Sachen Arbeitsverhältnisse habe ich praktisch diesen geschützten Raum nie verlassen. Aktuell Feuilleton
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