Belgien
Rassistische Kolonialklischees zirkulieren nach wie vor
Es gibt ein Land ohne Rassisten: Belgien. Diese Selbstwahrnehmung bezeugt vor allem, wie normal der Rassismus dort mittlerweile geworden ist. Deutschland soll sich aber nicht zu sicher fühlen: Belgien ist nah. Von Johnny Van Hove
Von Johnny Van Hove Mittwoch, 01.04.2015, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.04.2015, 22:31 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Belgien kommt nicht häufig in den Medien vor, aber ist eigentlich überall. Wer wissen will, was mit einem europäischen Land passiert, das seine eigene Kolonialgeschichte nicht aufarbeitet und Rechtspopulismus lediglich abfängt, indem sämtliche Parteien nach rechts rücken, sollte sich den Nachbarn genauer anschauen.
Minister in blackface
Belgien und Rassismus. Diese Kombination ist ein journalistisches Problem. Denn Artikel sind überholt, sobald sie erscheinen: rassistische Vorfälle häufen sich so schnell, dass man kaum hinterherkommt.
Dies ist besonders der Fall, seitdem eine Koalition aus Christdemokraten und Liberalen unter Leitung von den flämischen Nationalisten (N-VA) die Regierung bilden. Rassistische Ressentiments, offener Hohn und systematische Ignoranz gegenüber Minderheiten gehören nun endgültig zum politischen Alltag.
Vor etwa zwei Wochen lief der Außenminister, Didier Reynders, in blackface durch die Straßen von Brüssel. Reynders nahm an der jährlichen Parade vom gemeinnützigen Verein Les Noirauds (die Schwarzen) teil, der unter Schirmherrschaft des belgischen Königs Leopold II. 1876 gegründet worden war.
Leopold II. war verantwortlich für den Genozid gegen kongolesische Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen im Kongo Freistaat. Aber das machte Reynders nicht weniger stolz auf seine Teilnahme. Gutgelaunt schickte er über Twitter die entsprechenden Bilder in die Welt.
Selbst schuld!
Ein paar Tage später, am Welttag gegen Rassismus, sammelte der Philosoph und Autor Bleri Lleshi tausende Rassismuserfahrungen bei Twitter und katapultierte #DailyRacism innerhalb weniger Stunden an die Spitze der Hashtag-Trends.
Als Reaktion darauf lud der öffentliche Sender Canvas den „Schattenpremier“ Belgiens ein, Bart De Wever (der selbst kein Teil ist von der föderalen Regierung, aber dennoch die Strippen zieht). Der immens populäre Vorsitzende der größten Partei Belgiens, N-VA, konnte in einem 15-minütigen Interview unwidersprochen seine Sicht auf das Problem von Rassismus darlegen:
Rassismus sei „relativ“ und werde zu häufig als eine Ausrede für persönliches Versagen benutzt. Die Betroffenen seien am Ende selbst verantwortlich: ihre misslungene Integration stelle den wichtigsten Nährboden für Rassismus dar, laut De Wever.
Die Entrüstung bei der parlamentarischen Opposition war zwar groß, aber eher strategisch motiviert als inhaltlich orientiert. De Wever sei das Problem, nicht die Haltung, die er verkörpert und die in zahlreichen Blogkommentaren von großen Zeitungen noch deutlich getoppt wird. Die eigene Verantwortung in der rassistischen Misere reflektieren? Fehlanzeige. Vorschläge, wie man die dramatisch schlechte Arbeitsmarktintegration und migrantische Schulperformanz lösen kann, wie 2015 erneut bemängelt von der OECD, gab es ebenfalls nicht.
Rassismus ohne Rassisten
Didier Reynders und Bart De Wever sind keine Rassisten – das sagen sie zumindest selbst. Diese Selbsteinschätzung reicht den großen Medien aus, um dergleichen Politiker weitgehend aus der Schusslinie zu halten; Eine unkritische Haltung, die bei Medienschaffenden mittlerweile Standard ist und Medien zum Teil des Problems machen.
Als die progressive Zeitung De Morgen im letzten Jahr bei Barack Obamas Besuch in Brüssel den amerikanischen Präsidenten und seine Gattin als Affen porträtierte – als ‚Witz‘, selbstverständlich – genügte die lauwarme Verneinung des eigenen Rassismus‘, um die Darstellung zu rechtfertigen.
Auch für das unpassende Geschenk an Obama eines flämischen, öffentlichen Radiosenders, entschuldigte sich Niemand. Radio 1 überreichte einen riesigen Lebkuchen, der Obama als Basketballspieler mit dicken Lippen, dicker Nase und Kraushaar darstellte.
Unhinterfragt bleiben in den Medien auch die vielen verfassungswidrigen Vorstöße der letzten Monate, besonders der N-VA. HIV-Medikation ohne gültige Aufenthaltspapiere? Soll abgeschafft werden. Kioske? Müssen extra besteuert werden, da sie das Niveau der Gegend senken. Sozialwohnungen? Weist erst einmal eure Sprachkenntnisse nach!
Viele Belgierinnen und Belgier wissen offensichtlich nicht mehr, was rassistisch ist. Wie ist diese Normalisierung von Diskriminierung und Rassismus zu erklären?
Koloniales Opfertum
Ein guter Erklärungsstart ist dieser: eine Dekolonialisierung der belgischen Geister hat nie stattgefunden. Statuen, Straßennamen oder Cafés mit dem Namen Leopold II. sind in Belgien omnipräsent. Schulbücher widmen der Kolonialgeschichte kaum oder lediglich eine einseitige Aufmerksamkeit: die Sicht der Belgier. Ausland Leitartikel Meinung
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Das Problem mit den Belgiern ist nicht, dass sie andere hassen, das tun die meisten Menschen, das Problem der Belgier ist ihr Hass auf sich selbst.
Haben sie das interview gesehen? Er sagt nicht: Rassismus sei „relativ“ und werde zu häufig als eine Ausrede für persönliches Versagen benutzt. Die Betroffenen seien am Ende selbst verantwortlich: ihre misslungene Integration stelle den wichtigsten Nährboden für Rassismus dar, laut De Wever.
Er sagt das falsche Politik (zu viel Immigration und nicht adaptiert auf Arbeitsmarkt) eine Ursache für Rassismus seien kann… Hier ist eine link: http://deredactie.be/cm/vrtnieuws/binnenland/1.2280423
schlechte und tendenziöse Journalismus…
Lieber Flame,
ich war in meinem Artikel noch sehr zurückhaltend über Bart De Wever. Seine Fokussierung und Stigmatisierung der marokkanischen Gemeinschaft habe ich sogar nicht erwähnt. Und wissen Sie warum? Weil die obigen Kommentare, die Sie für „nichts“ halten, außerhalb Belgiens ausreichen um eine ernsthafte Rassismusdebatte zu führen.
Ihr Kommentar ist die perfekte Illustration des Artikels: Rassismus ist so normalisiert in Belgien (und besonders in Flandern), dass er nicht mehr auffällt. Point proven.
Tendenziöse Grüße,
Johnny Van Hove