Übrigens
Asylbewerber im Systemstau
Deutschland kann nach Ansicht von Unions-Fraktionschef Volker Kauder deutlich mehr Flüchtlinge aufnehmen. Die Industrie- und Handelskammer kritisiert, dass nach einer noch nicht veröffentlichten Studie der Bertelsmann Stiftung 200.000 Asylanträge unbearbeitet sind und sich Deutschland nicht leisten kann, "auf das Potenzial von Flüchtlingen zu verzichten." Wo hakt es also?
Von Fritz Goergen Freitag, 17.04.2015, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 08.09.2015, 17:54 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Die Frage erinnert mich an eine Tagung mittlerer und höherer Funktionäre der Arbeitsverwaltung Ende der 1990er Jahre. Es ging um die schleppende Vermittlung von Arbeitssuchenden durch die Arbeitsämter. Im inoffiziellen Teil vergaßen die Anwesenden wohl, dass sie mit mir einen Zuhörer von außen dabei hatten. Ein damaliger Amtsleiter sagte: Leute, seien wir doch ehrlich, darauf sind wir gar nicht ausgerichtet. Uns hat man beigebracht, Arbeitslosigkeit zu verwalten. Uns wurde eingeimpft, Arbeitslose immer mal wieder auf Fortbildung zu schicken – als Beschäftigungs-Therapie und weil das die Statistik schönt, nicht als Qualifikation für einen neuen Job. Ruhig stellen sollten wir Arbeitslose, nicht in neue Arbeit vermitteln. Jobvermittlung ist für unsere Behörde eine derart neue Aufgabe, die wir den meisten unserer Leute gar nicht beibringen können oder nur in Jahren.
Die Zuständigen in den deutschen Behörden haben nach den einschlägigen Vorschriften zu prüfen, ob die einzelnen Asylbewerber die Flüchtlingskriterien erfüllen. Im „Dublin-Verfahren“ wird erst einmal festgestellt, welcher EU-Mitgliedsstaat für die Durchführung des „Asylverfahrens“ überhaupt zuständig ist. Erst dann beginnt sich die Prüfungsmühle für den einzelnen tatsächlich zu drehen. Ich drücke das mal in Analogie zu meinem Arbeitsamtsleiter aus: Leute, seien wir doch ehrlich, wir sind darauf getrimmt, Asylbewerbern nachzuweisen, dass sie gar keine Flüchtlinge sind, damit möglichst viele abgeschoben werden können.
Im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist niemand für die vorläufige Prüfung der Eignung von Flüchtlingen als dringend gesuchte Fachkräfte zuständig. Eine Behörde für die Identifizierung der Berufsqualifikationen von Asylbewerbern gibt es nicht. Eine staatliche Stelle, die zusammen mit Kammern und Unternehmen, Betriebsräten und Gewerkschaften schnell und unbürokratisch freie Jobs und Ausbildungsplätze für geeignete Asylbewerber findet, muss erst noch eingerichtet werden. Oder die existierenden Jobcenter müssen das übernehmen.
Es wird also noch Jahre dauern, bis Flüchtlinge nicht nur verbal willkommen geheißen werden, sondern ihnen durch Aufnahme von Arbeit und Ausbildung der natürliche Weg zur Integration eröffnet wird. Solange damit nicht begonnen wird, bleibt es beim Widerspruch zwischen öffentlichen Bekundungen und der nicht enden wollenden und für alle Seiten unbefriedigenden Unterbringung und Verwahrung von Menschen am sozialen Rand der Gesellschaft. Mit Abschiebung als wahrem Ziel. Solche Verwaltungswirklichkeit provoziert das negative Ausländerbild von der Einwanderung in die Sozialsysteme. Asylbewerber dürfen nicht arbeiten. Daraus wird schnell, sie wollen nicht arbeiten. Dabei würden so viele, die sofort arbeiten, den wenigen gegenüberstehen, die tatsächlich lieber von der Stütze leben. Wenn sie denn endlich arbeiten dürfen. Von Anfang an. Die Bürokratie kann auch parallel und nachträglich stattfinden. Und wer sich hier nützlich macht, dem sollte sie ganz erspart bleiben. Aktuell Meinung
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Dass sich die Schnelligkeit bessern muss: keine Frage. Auch nicht, dass diese Haltungen deutscher Behörden alles andere ist als eine Willkommenskultur, dass wahrhaft nur nach möglichst viel Abschiebung geschaut wird. Hier stinkt m.E. der Fisch auch vom Kopf, ich würde bezweifeln, dass dies wirklich schon von den zuständigen Ministerien anders gewollt wird. Dass das rassistische Ressentiments stärkt ist ebenfalls keine Frage.
Aber Bevorzugung für „Humankapital“? Das erscheint mir unter den Bedingungen, unter denen Asylsuchende nach Europa und Deutschland kommen, inhuman. Es müssen doch alle mit einer wirklichen Willkommenskultur begrüßt werden, die Anliegen schnell und sachlich individuell geprüft werden – für Alle! Eine Bevorzugung hätte doch eher eine Unwillkommenskultur zur Folge, dass sich alle nur noch unter dem gesichtspunkt des „Humankapiatals“ betrachten lassen müssen, merken, dass sie nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen wilkkommen sind und ihre Anliegen selbst eigentlich weniger oder nicht zählen solange sie nicht wirtschaftlich für Deutschland verwendbar sind. Das ist wie heute schon bei den Behörden – bei Ausländerbehörden wie bei Arbeitsverwaltungen: die „nützlichen“ werden von den „Unnützen“ getrennt, bekommen einen besseren Service (z.B. Akademiker*innenberatungen, wo allein der Umgangston meist ein viel höflicherer ist als bei Nichtakademiker*innen).
Das ist im Alltag bereits abzulehnen, zumal sich auch alle Personen, die den besseren Service genießen, wissen, das nicht Sie als Person gemeint sind. Unter dem Aspekt des „Hilfesuchens“ von Asylbewerber*innen ist dies aber geradezu ein m.E. moralisch verwerflicher Gedanke, der dem Sinn von Asyl widerspricht.
[…]
Die Prüfung des Dublinverfahrens ist kein langwieriger Prozess. Über Fingerabdrücke wird abgeglichen und das während das normale Asylverfahren läuft.
Und wer ernsthaft glaubt, die Behörden seien darauf aus, möglichst schnell abzuschieben, der irrt ebenfalls gewaltig. Nicht umsonst sind die Möglichkeiten zur Arbeitsaufnahme erst kürzlich verbessert worden. Das Arbeitsverbot gilt nur in den ersten drei Monaten.
Die Asylverfahren der Syrer sind ebenfalls schnell entschieden, positiv in Massen.
Und zur Anerkennung von ausländischen Abschlüssen hat die Bundesregierung extra anabin geschaffen.
Tqtsäche dauern viele Asylverfahren lang, da deutlich zu wenig Personal für die Prüfung der nicht eindeutigen Fälle vorhanden ist. Und es wird eingestellt und eingestellt.
Wenn man aber den zuständigen Behörden ständig Rassismus vorwirft, bleibt es dabei, dass nur wenige dort arbeiten wollen.