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Der Mann in Schwarz © Robert Couse-Baker @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Flüchtlingspolitik

Sind Ihnen Ihre neuen Schuhe auch wichtiger als ein ertrinkendes Kind?

Stellen Sie sich vor, Sie gehen spazieren und sehen, wie in einem Teich ein schreiendes Kind zu ertrinken droht. Sie könnten das Kind retten, würden dann aber Ihren schicken Anzug und Ihre schönen neuen Lederschuhe ruinieren. Kann man Ihnen diesen Verlust moralisch zumuten oder halten Sie diese Frage schon für unmenschlich?

Von Donnerstag, 30.04.2015, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 05.05.2015, 17:06 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Auf der anderen Seite fliehen Menschen wegen Krieg, Verfolgung und Chaos aus ihren Heimatländern, um Zuflucht in Europa zu suchen. Viele von ihnen kommen dabei ums Leben. Sie ertrinken im Mittelmeer. Sind wir moralisch dazu verpflichtet, Schutzbedürftige aufzunehmen oder halten Sie auch diese Frage schon für unmenschlich?

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Das Kind zu retten ist eine Verpflichtung, die keiner Kosten-Nutzen-Rechnung unterliegen darf. Unterlassene Hilfeleistung ist strafbar. 1 Flüchtlinge zu schützen ist eine humanitäre und völkerrechtliche Verpflichtung, die ebenfalls keiner Kosten-Nutzen-Rechnung unterliegen darf.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte in ihrer letzten Neujahrsansprache: „Eine Folge dieser Kriege und Krisen ist, dass es weltweit so viele Flüchtlinge gibt wie noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg. Viele sind buchstäblich dem Tod entronnen. Es ist selbstverständlich, dass wir ihnen helfen und Menschen aufnehmen, die bei uns Zuflucht suchen.“ Merkel redet schön.

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Übertragen wir die Haltung Deutschlands im Umgang mit Flüchtlingen aber auf das Kind im Teich, ergibt sich folgende Szene: Der Anzugträger geht spazieren und sieht, wie das Kind im Teich zu ertrinken droht. Moralisch und juristisch ist er verpflichtet, das Kind zu retten. Wenn er das aber tut, wird er seinen Anzug und seine Lederschuhe opfern. Das möchte er nicht. Dilemma. Und weil das Schreien des Kindes herzzerreisend ist und den moralischen Druck steigert, legt er sich einfach Ohrstöpsel auf und schaut weg.

Die Bundesregierung sieht sich in einem ähnlichen „Dilemma“. Sie bekennt sich offiziell zu den internationalen Vereinbarungen und Menschenrechten, will aber schon lange nicht mehr Personen „selbstverständlich“ aufnehmen, die „buchstäblich dem Tod entronnen“ sind, um bei den Worten Merkels zu bleiben. Unser Wohlstand ist der Anzug mit den teuren Lederschuhen. Um dieses Problem zu lösen, legt sich Deutschland einfach Ohrstöpsel an und schauen weg nach folgendem Schema:

Flüchtlinge, die in Deutschland Zuflucht suchen, können einen Antrag auf Asyl nur auf deutschem Boden stellen. Die Ohrstöpselpolitik der deutschen Regierung ist deswegen seit 25 Jahren bemüht, dass ein Flüchtling gar nicht erst zum Schreien kommt, also deutschen Boden betritt und einen Antrag stellen kann. So kann sich Deutschland offiziell zu seinen humanitären Verpflichtungen bekennen, ohne einen einzigen Flüchtling aufzunehmen. Wo kein Kind gibt im Teich, da keine Rettungspflicht.

Dieses Prinzip verfolgt auch die EU. Wer Zuflucht in einem Mitgliedstaat der EU sucht, muss erst nach Europa gelangen. Mangels sicherer und legaler Zugangswege nach Europa, mutet die EU mit ihrer Politik denjenigen, die „buchstäblich dem Tod entronnen“ sind, einen weiteren Überlebenstest im Mittelmeer zu. Die Flüchtlinge haben nicht viel zu verlieren und nehmen das Risiko auf sich. Auf diese Weise ist das Mittelmeer zu einem Massengrab geworden. Seit Ende des Kalten Krieges sind etwa 25.000 Flüchtlinge ertrunken, jährliche Tendenz steigend. Diese Zahlen nennen nur die bekannten Fälle, die Dunkelziffer dürfte höher liegen.

Öffentliche Aufmerksamkeit erregen nur die etwa jährlich stattfindenden größeren Unglücke mit mehreren hundert Toten. Der Ablauf ist stets der gleiche: 1) Moralische Größen wie der Papst oder der UN-Generalsekretär verdammen die Politik der EU und fordern Maßnahmen; 2) die EU betrauert die Toten, erklärt die Schlepper zum Sündenbock und mahnt an, dass man etwas unternehmen müsse; 3) nichts Wesentliches passiert – auch nicht nach dem nächsten Unglück.

Schlepper und kriminellen Banden nutzen nicht nur die Misere der Flüchtlinge aus, sondern profitieren in erster Linie von der rigiden Abschottungspolitik der EU, die Flüchtlingen keine legalen Fluchtwege nach Europa bietet. Weil die EU bisher keine ernsthaften Bemühungen zeigte, die Situation der Flüchtlinge zu verbessern, ist das Mittelmeer zum Symbol einer Abschreckungspolitik geworden, die ertrunkene Flüchtlinge stillschweigend als Kollateralschaden in Kauf nimmt, um weitere Schutzbedürftige davon abzuhalten, nach Europa zu gelangen.

Dabei ist Asyl nicht nur ein universelles Menschenrecht sowie moralisch und juristische Verpflichtung, sondern es ist auch ein Teil der grundlegenden Werte, auf denen das heutige Europa aufgebaut wurde. Es sind nicht die Flüchtlinge, die eine Gefahr für unsere Gesellschaft darstellen. Die Gefahr sind Menschen, die Flüchtlingen das Asyl verweigern wollen und eine Politik, die diesem Wunsch stattgibt.

Wenn wir Flüchtlingen den Schutz verwehren, vergessen wir, wer wir sind, was unsere Prinzipien sind und wofür wir stehen. Wir wären dann Anzugträger, denen die schönen Schuhe wichtiger sind, als die Rettung eines ertrinkenden Kindes.

  1. § 323c Strafgesetzbuch: „Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.“
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  1. Matthias sagt:

    Hallo SP,

    wenn wir über das Asylrecht sprechen, insbesondere wenn dies hier kritisiert wird, sollten schon die rechtlichen Rahmenbedingungen geklärt werden.

    Ein Asylantrag dem nicht stattgegeben wird, kann entweder abgelehnt werden oder als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden (§ 30 AsylVfG).

    Der Begriff offensichtlich unbegründet ist ebenfalls gesetzlich definiert. Zusammengefasst:

    Wer aus einem sicheren Herkunftsstaat (siehe Anhang II zu § 29a AsylVfG) stammt oder klar erkennbar über seine Identät täuscht, hat mit einer Ablehnung seines Asylantrages zu rechnen. Die Ablehnung erfolgt dann eben als „offensichtlich unbegründeter Asylantrag“.

    Und von der Systematik her kann ich das gut nachvollziehen. Wer offensichtlich täuscht über seine Identität, meist werden andere Namen und andere Staatsangehörigkeiten angegeben, dessen Antrag kann kein Staat der Welt wirklich prüfen.

  2. Hans Peter Klause sagt:

    Herr Patel,

    wenn’s nach mir ginge, ich würde niemanden abschieben bzw. alle ins „gelobte Land“ lassen. Aber geht das denn überhaupt? Wir müssen die vorhandenen Resourcen betrachten. Nehmen wir mal an, ein Dämon würde nun jedem Bürger Afrikas eine bequeme Überfahrt nach Europa und Weiterfahrt nach Deutschland bezahlen. Samt Transfer, Übernachtung, Essen. Eine Milliarden Menschen würden sich auf den Weg zu uns machen. Was würden Sie dazu sagen? Ich weiß, das Beispiel ist abstrakt und unrealistisch, aber in Ihrer Eigenschaft als Mathematiker sollte Sie das nicht schrecken. Die Frage ist ja: wann ist Schluß? Wo zieht man die Grenze? Laut Ihrer Argumentation ja nirgends, oder? Jeder der kommt, soll bleiben. Und zwar für immer.

  3. Sanjay Patel sagt:

    Hallo Matthias,

    mir ist selbst klar, dass eine Täuschung nicht mit unserem Recht kompatibel ist. Das ist jedoch nicht der Punkt, den ich meinte.

    Wir müssen noch einmal zurück zum Ausgangspunkt. Sie erwähnten Wirtschaftsflüchtlinge und wiesen auf Asylmissbrauch hin.

    Ich pflichtete diesem bedingt bei und verwies auf eine Art von Missbrauch, eine rechtlich abgesicherte seitens des deutschen Staats. Wenn ein Bürgerkriegsland als sicheres Herkunftsland deklariert wurde, dann spielte es für das Asylverfahren keine Rolle, ob ein individueller Asylbewerber verfolgt oder an Leib, Leben oder Freiheit bedroht wurde. Sein Asylverfahren hatte aufgrund dieser Regelung keine Aussicht auf Erfolg, obwohl er faktisch schutzbedürftig war. Auf diese Weise hatten Asylanträge von Flüchtlingen aus Bürgerkriegsländern keine Aussicht auf Erfolg.

    Es ist nun eine über 20-jährige Tradition, dass auch viele Menschen, die schutzbedürftig sind, mit allerhand juristischen Winkelzügen keinen Schutz in Deutschland erhalten.

    Die Zeit hat in den letzten Tagen einen Artikel veröffentlicht, der gut zu Ihren Sorgen vor Wirtschaftsflüchtlingen passt: http://www.zeit.de/politik/deutschland/2015-05/asylantraege-fluechtlinge-herkunftslaender-statistiken?google_editors_picks=true

    Beste Grüße

    sp

  4. Sanjay Patel sagt:

    Nicht alle aber etwa die Hälfte der Flüchtlinge, die über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen versuchen, sind nach internationalen Vereinbarungen Flüchtlinge, denen Schutz zusteht.

    Welche Verantwortung haben wir gegenüber Schutzbedürftigen, die unsere Regierung aus politischem Kalkül im Meer ertrinken lassen?

    Wem internationale Vereinbarungen nichts bedeuten und wer eigene ökonomische Motive über das Asylrecht und menschenrechtliche Aspekte stellt, sich aber gleichzeitig über Wirtschaftsflüchtlinge echauffiert, weil sie in die soziale Hängematte Deutschlands einwandern würden, ist ein prinzipienloser Egoist. Wie kann man von sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen erwarten, dass sie sich an Recht und Ordnung halten, während man sich selbst einen Feuchten um Menschenrechte und internationale Vereinbarungen schert?

  5. Matthias sagt:

    Hallo SP,

    Nennen Sie mir bitte das Bürgerkriegsland, welches Deutschland als sicheren Herkunftsstaat deklariert hat.

    Mir ist kein sicheres Herkunftsland bekannt, in dem Bürgerkrieg herrscht!!!!

  6. Sanjay Patel sagt:

    Hallo Matthias,

    hier ein Link:

    http://www.friedenskooperative.de/ff/ff08/3-70.htm

    Gruß

    sp

  7. Matthias sagt:

    Schade,

    Im Kosovo herrscht kein Bürgerkrieg mehr. Schon lange nicht mehr. Der Artikel (undatiert) sagt das aber auch nicht aus, sondern erklärt, welche Not dort herrscht.

    Gerade Deutschland leistet dort massivste Hilfe für Rückkehrer, beschäftigen Sie sich mal mit dem URA II Projekt. Oder reisen sie mal in das Kosovo und schauen sich der Verhältnisse vor Ort an. Kein anderes Land leistet dort soviel gute Aufbauhilfe wie die BRD.

    Wenn tatsächlich die Kosovaren hier als Flüchtlinge anerkannt werden sollten, wird die Genfer Konvention konterkariert. Allein dass dieser Staat wirtschaftlich schwach ist, kann doch nicht ernsthaft eine Begründung dafür sein den dortigen Staatsangehörigen ein Bleiberecht in der EU zu verleihen.

    Dieser Staat ist im Aufbau, hat durchgängig ein solides Wirtschaftswachstum und wird massivst durch das Ausland unterstützt. Erst durch die Staatsgründung des Kosovo konnte nachhaltig Frieden geschaffen werden. Und jetzt soll man diesen Menschen die Flüchtlingseigenschaft verleihen? Haarsträubende Argumentation.

    Bosnien ist tatsächlich ein sicherer Herkunftsstaat. Mehrfach habe ich das Land bereist und kann keinesfalls nachvollziehen, woher hier eine Flüchtlingseigenschaft konstruiert werden soll.