Kolumne ohne Migrationshintergrund
Leistungsideologie zwingt Migranten, sich beweisen zu müssen
Rassismus ist vielfältig. Über unterschiedliche Kanäle, Logiken und Diskurse bahnt er sich seinen Weg in die Mitte der Gesellschaft. Aktuell findet er besonders über das Leistungsprinzip, das Menschen primär nach ihrem wirtschaftlichen 'Nutzen' bewertet, eine sagbare Ausdrucksform – und irritiert darüber mitunter selbst diejenigen, die sich eigentlich gegen rassistische und diskriminierende Zuschreibungen positionieren wollen.
Von Ellen Kollender und Janne Grote Montag, 08.06.2015, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 09.06.2015, 16:32 Uhr Lesedauer: 10 Minuten |
Vor einigen Wochen erhielt die Inhaberfamilie eines deutsch-griechischen Restaurants einen anonymen Brief. Der Brief war gefüllt mit vielem, was zurzeit in (rechts-)populistischen Debatten über Griechenland zu hören und zu lesen ist. Das Verhalten der griechischen Regierung, hieß es, erpresse „andere fleißig arbeitende Länder um den Griechen ihr faules und bequemes Leben weiter zu ermöglichen“. Die Familie solle sich deshalb in ‚ihr‘ „stinkendfaules und total unfähiges Drecksgriechenland zurück aufmachen“.
Die Familie entschied sich, den Brief auf Facebook zu veröffentlichen und kommentierte: „Unsere Familie führt seit 31 Jahren das Restaurant Platon […]. Wir leben in Deutschland und fühlen uns verbunden zu Deutschland. Wir sprechen und schreiben deutsch und zahlen Steuern genau wie jeder Bürger in Deutschland. Wir haben Arbeitsplätze geschaffen und unser Leben hier aufgebaut.“ Die Familie erhielt dafür im Internet breiten Zuspruch und Solidaritätsbekundungen.
Liebe Gäste und Freunde Unsere Familie führt seit 31 Jahren das Restaurant Platon in Düsseldorf. Wir leben in…
Posted by Restaurant Platon on Dienstag, 3. März 2015
Die Argumentation, die im anonym verfassten Brief zum Ausdruck kommt, ist bekannt. Sie wiederholt sich täglich in unterschiedlichen Kanälen und Formen und trifft Menschen in unterschiedlichen Lebenslagen. 1 Es kommt darin ein Gerechtigkeitsprinzip zur Sprache, das sich an der wahrgenommenen Leistungsbereitschaft der in einer von ungleich verteilten und umkämpften Ressourcen geprägten Gesellschaft lebenden Menschen bemisst. Sei es in Deutschland, der EU oder im globalen Zusammenhang. Aus dem Brief spricht das Prinzip: Anerkennung, Solidarität und Zugehörigkeit soll jenen zuteil werden, die sich ‚leistungsbereit‘ zeigen. Was damit implizit auch gesagt wird: Wer diese Bereitschaft vermeintlich nicht aufweist, dem steht eine gesellschaftliche Unterstützung nicht oder zumindest nur eingeschränkt zu. Dies erscheint im Sinne des Leistungsprinzips als gerecht.
Die Leistungsideologie drückt sich nicht immer so direkt aus wie im beschriebenen Fall. Weit verbreiteter spiegelt sie sich in der Einstellung wider, dass gesellschaftliche Anerkennung vor allem denjenigen gebührt, die sich (privat wie) beruflich aktiv, eigenverantwortlich, motiviert, kreativ und flexibel zeigen und sich entsprechend auf dem Arbeitsmarkt ’sichtbar‘ einbringen. Bereitschaft zur Leistung wird dann in Bereitschaft zur ‚Selbstoptimierung‘ übersetzt. Sie wird Teil eines Nützlichkeits- und Eigenleistungsdiskurses, der an die genannte Leistungslogik anschließt.
Dass diese Logik gesellschaftlich weit verbreitet ist, zeigt eine aktuelle Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Zwei Drittel der ‚Deutschen‘ (hier: deutsche Staatsangehörigkeit und deutschsprachig) stimmen darin der Aussage zu „wer nicht bereit ist, was Neues zu wagen, ist selber schuld, wenn er scheitert“. Und über die Hälfte (56 Prozent) ist überzeugt: Wer sich nicht selbst motivieren kann, hat es selbst zu verantworten, wenn der Erfolg ausbleibt. Die Forscher_innen subsummieren diese und weitere Einstellungen unter dem Phänomen des „marktförmigen Extremismus“. Sie meinen damit Einstellungen, die Menschen in der Gesellschaft in erster Linie nach ihrem wirtschaftlichen Nutzen bewerten und dabei jenen die gesellschaftliche Solidarität und Unterstützung absprechen, die in ökonomischer Hinsicht als ’schwach‘ und ‚wenig gewinnbringend‘ angesehen werden. Die Studie zeigt auch, dass der marktförmige Extremismus vor allem unter Personen aus ökonomisch privilegierten Bevölkerungsgruppen verbreitet ist. Also jenen, die im marktförmigen Sinne als ‚erfolgreich‘ gelten.
- vgl. u.a. Sebastian Friedrich (Hg.) (2011): Rassismus in der Leistungsgesellschaft. Analysen und kritische Perspektiven zu den rassistischen Normalisierungsprozessen in der „Sarrazindebatte“. Münster.
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Hallo,
schöner Beitrag, vielen Dank dafür.
Ich hätte eine Frage dazu: Wie stehen Sie zur ökonomisch motivierten Zuwanderung? Handelt es sich bei den Forderungen der Wirtschaft, die von der Politik propagiert werden, um einen Nützlichkeitsrassismus, der Zuwanderer als Humankapital reduziert? Liegt hier aus Ihrer Sicht im erweiterten Sinne des Neo-Rassismus eine Diskriminierung auf Grundlage der „Klassenzugehörigkeit“ vor?
Beste Grüße
aloo masala
Hallo!
Wieder einmal ein sehr differenzierter Artikel, der zum innehalten und Nachdenken einlädt …
Vielen Dank dafür!
@aloo masala
Hallo!
Sehr interessante Frage, würde mich auch interessieren …
Das ist europäisches Kultur, kurz gesagt, die Logik des Calvinismus: Wer reich ist, der führt automatisch ein gottgefälliges Leben (aber nur wenn er dem Luxus und der Völlerei entsagt und das, was er hat, reinvestiert!)
Wer arm ist, wird des sündhaften Lebenswandels verdächtigt. Dem wird Gottes Gnade nicht zuteil. Geldverdienen ist daher Christenpflicht. Darum ist es auch Pflicht, sparsam zu sein, bescheiden zu sein und zu arbeiten. Wer nicht arbeitet, läuft Gefahr, die göttliche Prädestination zu verlieren. Darum muss man fleißig sein, ehrlich und korrekt. Wenn man das nicht ist, verliert man den „Kredit“ Gottes und den der Mitmenschen. Einfach ausgedrückt: Der Deutsche lebt, um zu arbeiten. Arbeit ist die Religion der Deutschen. Darum gibt es auch hierzulande relativ wenige Arbeitslose (ein echter Calvinist von Schrot und Korn weiß gar nicht, was das ist!). Ich weiß nicht, wie das die Muslime sehen, aber interessant wäre es schon. Einem echten Calvinistenmillionär würde vermutlich der Schauder in die Knie fahren, wenn er luxussüchtige saudische Milliardäre sähe. Der ganze Schmuck, schönes Leben, teure Autos, wertvolle Uhren, Reichtum aus Bodenschätzen und nicht aus „Arbeit“. Völlig unmöglich …
Natürlich alles Polemik, aber einen wahren Kern hat das schon. Sehen Sie sich doch nur mal die Chefetage der AFD an!
Na ja, der einfache Grieche ist schon gestraft. Durch die korrupte Militär-Lobby, die an die deutsche Rüstungsindustrie (auf Pump!) riesige Aufträge vergeben hat. Aber auch durch eine Regierung, die es nicht schafft, eine Reichensteuer einzuführen oder gar das hinterzogene Geld der grieschichen Reeder aus der Schweiz zurückzuholen. Warum eigentlich nicht?
Liebe söngül, liebe aloo masala,
vielen Dank für die Kommentare.
Zur ersten Frage „Wie stehen Sie zur ökonomisch motivierten Zuwanderung?“: Für uns fällt die Frage, ob Menschen aufgrund welcher Motivation auch immer migrieren nicht in den hier beschriebenen Diskurs. Wir würden ihn deshalb auch nicht in diesem Zusammenhang bewerten wollen. Wenn jedoch Aufenthaltsrechte im Kontext stigmatisierender Gruppenbezeichnungen und -bewertungen wie „Armutsmigrant“ oder „Wirtschaftsflüchtling“ verhandelt werden, lassen sich die von uns beschriebenen Konsequenzen, insbesondere Punkt 3, wiederum gut beobachten – eine Logik, die wir hier ja deutlich kritisiert haben.
Zur zweiten Frage „Handelt es sich bei den Forderungen der Wirtschaft, die von der Politik propagiert werden, um einen Nützlichkeitsrassismus, der Zuwanderer als Humankapital reduziert?“ : Es handelt sich nicht gleich um Rassismus, wenn in Deutschland über die Anwerbung von Arbeitnehmer_innen für bestimmte Sektoren bzw. die Öffnung von bestimmten Sektoren für ausländische Arbeitnehmer_innen diskutiert wird. Sicherlich trifft aber zu, dass Migrant_innen in diesem Kontext oft zunächst auf ihr Humankapital reduziert und andere Aspekte und auch Dynamiken weniger diskutiert werden. Mögliche Folgen dieser Logik haben wir oben diskutiert. Auch dass eine solche Reduzierung anschlussfähig für Rassismus ist und dadurch wieder stärker Ausdruck finden kann, haben wir beschrieben. In diesem Zusammenhang würden wir dann aber fragen, in wie weit dieser Nützlichkeitsdiskurs Auswirkungen auch auf andere Zuwanderungskanäle hat, also ob z. B. darüber nachgedacht wird, dass nur noch ökonomisch-’nützliche‘ Schutzsuchende aufgenommen werden sollen. Aber wie ist denn ihre/eure Einschätzung dazu?
Zur dritten Frage „Liegt hier aus Ihrer Sicht im erweiterten Sinne des Neo-Rassismus eine Diskriminierung auf Grundlage der “Klassenzugehörigkeit” vor?“: Wir denken auch, dass in diesem und anderem Zusammenhang Klassismus und Rassismus häufig miteinander verwoben sind. Wir möchten den Gedanken gerne aufgreifen und auf dieses Thema gerne ausführlicher in einer unserer nächsten Kolumnen eingehen. Wir würden uns freuen, die Diskussion darüber dann weiterzuführen.
Herzliche Grüße
ellen und janne
Hi Ellen und Janne,
danke für Ihre ausführliche Antwort.
Zunächst zu Ihrer Frage: “ ob z. B. darüber nachgedacht wird, dass nur noch ökonomisch-‘nützliche’ Schutzsuchende aufgenommen werden sollen. Aber wie ist denn ihre/eure Einschätzung dazu?“
Asyl ist Menschenrecht. Menschenrecht ist universell. Wer Schutzsuchende nicht nach menschenrechtlichen Kriterien, sondern nach ökonomischen Kriterien Schutz gewährt bricht Menschenrecht. Also von meiner Seite eine totale Ablehnung dieses Gedankens. Um Missverständnisse zu vermeiden, das heißt natürlich nicht, dass Schutzsuchende vom Arbeitsmarkt ferngehalten werden sollen.
Nun zu meiner Frage. Ich muss gestehen, ich habe meine Frage schlecht gestellt. Ich hatte eigentlich nur eine Frage, habe aber drei gestellt. Die ersten beiden Fragen sollten nur den Kontext liefern. Mir ging es um die dritte Frage.
Der Hintergedanke meiner Frage war folgender: Beschränkt man Rassismus nicht nur auf Rasse, Kultur, Ethnie, Religion usw., sondern differenziert und wertet Menschen nach ihrem ökonomischen Nutzen, dann erhalten wir möglicherweise eine Variante des Neo-Rassismus oder der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit.
Auf den ersten Blick sieht der Wunsch der Wirtschaft nach Zuwanderung nicht nach Rassismus aus. Da stimme ich Ihnen zu. Doch er könnte auf Neo-Rassimsus basieren. Ich schreibe könnte, weil ich eine Annahme mache, die von den meisten Autoren bei Migazin nicht geteilt wird.
Meine Annahme ist, die Wirtschaft braucht keine Fachkräfte, sondern billige Fachkräfte. Das heißt, die Wirtschaft braucht in erster Linie Zuwanderer, die unter schlechten Konditionen die Löhne drücken. Dazu benötigt die Wirtschaft eine Rechtfertigung. Vor allem dann, wenn die Wirtschaft selbst gut läuft, aber die Schwere zwischen arm und reich sich kontinuierlich öffnet.
Eine Rechtfertigung ist der angebliche Fachkräftemangel. Die andere jedoch der Leistungsgedanke. Wie Sie in Ihrer Studie zeigen, sind die Abgehängten selbst schuld an ihrer Misere und fühlen sich selbst auch schuldig. Kurz, die Loser sind aus Sicht der ökonomischen Verwertbarkeit minderwertiges Material.
Diese perverse leistungsorientierte Sichtweise kommt der Wirtschaft sehr entgegen. Sie kann auf Fachkräftemangel pochen, billige Arbeitskräfte einstellen und trägt keinerlei Verantwortung für soziale Missstände, denn schuld sind die minderwertigen Arbeitslosen ja selbst.
Die Frage, die ich eigentlich hätte stellen wollen war also: Beruht die von der Wirtschaft geforderte Zuwanderung nicht auf einer Ideologie des Neo-Rassismus (wie im oben dargestellten Zusammenhang)?
Wenn ich Sie richtig verstanden habe, muss ich mich mit einer Antwort noch etwas gedulden, bis das Thema Klassismus dran ist.
Beste Grüße
aloo masala
@aloo masala
Ich bin mir nicht sicher, ob der Begriff der Neorassismus hier wirklich passt. Die Forderungen der Wirtschaft orientieren sich hier doch eher am Homo oeconomicus; „Rasse“, Kultur, Ethnie sind weniger relevant, wie ökonom. Verwertbarkeit und Abhängigkeit besser sogar Erpessbarkeit. Wenn auch historisch belastet scheinen mir Kuusinens Punkte zum Sozialfaschismus besser zu passen: (siehe WIki-Eintrag)
„„Die Faschisten sind Nationalisten, Imperialisten, Kriegshetzer, Feinde des Sozialismus, Feinde der Demokratie, Würger der selbständigen Arbeiterbewegung, Arbeitermörder usw. […] Die Sozialfaschisten handeln in der Regel wie die Faschisten, aber sie tun ihr faschistisches Werk nicht mit offenem Visier, sondern arbeiten hinter einem Nebelrideau, wie man es im Krieg anwendet. Das gehört zum Wesen des Sozialfaschismus: Imperialistische Politik im Namen des Internationalismus, kapitalistische Politik im Namen des Sozialismus, Abbau der demokratischen Rechte der Werktätigen im Namen der Demokratie, Abbau der Reformen im Namen des Reformismus, Arbeitermörderpartei im Namen der Arbeiterpolitik usw. […] Die Ziele der Faschisten und Sozialfaschisten sind dieselben, der Unterschied besteht in den Losungen und teilweise auch in den Methoden.“[4]“
@Tei Fei
danke für den Hinweis auf den Sozialfaschismus. Das kannte ich noch nicht.
Es geht mir weniger um den korrekten Begriff, sondern mehr um den Bezug zu den Darstellungen des Artikels. Treffen die Überlegungen von Janne und Ellen auch auf die Mechanismen zur Rechtfertigung der ökonomischen Zuwanderung zu?
@Tei Fei kann man das auch so ausdrücken, dass es ein normaler Menscn versteht?