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Trauma

„Die Bilder sind noch in meinem Kopf“

Rund 20 bis 30 Prozent der Flüchtlinge in Deutschland sind schwer traumatisiert. Sie benötigen dringend eine psychotherapeutische Behandlung. Die Zentren für traumatisierte Flüchtlinge in Deutschland sind aber überlastet und unterfinanziert.

Von Martina Schwager Donnerstag, 11.06.2015, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 17.06.2015, 16:43 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Fast ihr ganzes Leben lang war Louise Nkunda auf der Flucht. Als Vierjährige sah sie in ihrer Heimat Ruanda Menschen mordend durch die Häuser ziehen. Die Familie floh in den benachbarten Kongo. Dort wurden ihr Vater und die Geschwister getötet. In Deutschland, hofft die 24-Jährige, kann sie nun zur Ruhe kommen. Vor vier Jahren ist sie hierher gekommen, allein, ohne Familie. Sie fühlt sich sicher – denn seit kurzem ist klar, dass sie auf Dauer als anerkannter Flüchtling in Deutschland bleiben kann. „Aber die Bilder sind noch in meinem Kopf“, sagt Louise Nkunda in gebrochenem Deutsch. „Ich denke immer, warum bin ich allein?“

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So wie Nkunda, die eigentlich einen anderen Namen trägt, sind Schätzungen zufolge rund 20 bis 30 Prozent der Flüchtlinge in Deutschland schwer traumatisiert. Sie benötigen dringend eine psychotherapeutische Behandlung. „Weitere 30 bis 40 Prozent brauchen langfristig ebenfalls Unterstützung, etwa durch psychologische oder psychosoziale Beratung“, sagt der Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer, Dietrich Munz. Allein von den rund 200.000 Asylsuchenden des vergangenen Jahres benötigten also mindestens 40.000 möglichst schnell eine Psychotherapie. Tatsächlich nahmen aber nur etwa 5.000 eine Behandlung auf.

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Die Gründe für die Misere sind vielfältig. „In den Aufnahmelagern arbeiten zu wenige Fachleute, die eine Traumatisierung erkennen könnten“, sagt Munz. Denn in der Regel sprächen die Flüchtlinge nicht von sich aus über die Grausamkeiten, die sie in ihrer Heimat oder auf der Flucht erlebt haben.

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Schweigen aus Scham
Viele wüssten nicht, dass ihre Ängste, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, depressiven Stimmungen, Alpträume oder ständige Unruhe Teil einer Krankheit sind, die behandelt werden kann und muss. „Viele schämen sich sogar für das, was sie erlebt haben“, sagt Munz, „aus Scham schweigen sie und versuchen, ihr Leiden in den Alltag zu integrieren.“

Auch Louise Nkunda hat lange gebraucht, bis sie Worte für die Bilder in ihrem Kopf fand. Sie leidet an Depressionen, hat ständig Kopfschmerzen und Schlafstörungen. Immer wieder muss sie an ihre Mutter denken, von der sie als Kind getrennt wurde.

Im Kongo hatten fremde Menschen sie aufgenommen. Doch dann wurde sie vergewaltigt. Da war sie 15. Sie floh zurück nach Ruanda und irgendwann weiter nach Deutschland. Vor zwei Jahren kam Nkunda dann ins psychosoziale Zentrum für traumatisierte Flüchtlinge nach Hannover. Dort merkten die Mitarbeiterinnen bald, dass eine Therapie unumgänglich war.

Zentren überlastet
Doch die insgesamt 26 Zentren für traumatisierte Flüchtlinge in Deutschland sind überlastet und unterfinanziert, wie Elise Bittenbinder von der Bundesarbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer sagt. Bei niedergelassenen Psychotherapeuten ergibt sich das gleiche Bild: Patienten müssen monatelang warten.

Derzeit stehe auch noch eine eigentlich positive Neuregelung beim Asylbewerberleistungsgesetz einer schnellen psychosozialen Hilfe entgegen, sagt Karin Loos vom Netzwerk für traumatisierte Flüchtlinge in Niedersachsen. Seit dem 1. März erhalten Flüchtlinge, die länger als 15 Monate in Deutschland sind, eine Krankenversicherung. Sie müssen nun nicht länger jede Leistung einzeln bei den Sozialämtern beantragen. Aber: Viele Psychotherapeuten und die meisten psychosozialen Zentren haben keine Kassenzulassung. Zudem erstatten die Kassen die Kosten für die dringend benötigten Dolmetscher nicht.

Deshalb kann auch Nkunda ihre begonnene Therapie derzeit nicht fortführen. Loos hatte für sie einen Therapeuten gefunden, der bereit war, sie mithilfe eines Dolmetschers zu behandeln. Die Kosten will nun aber niemand mehr übernehmen. Die ersten Sitzungen haben ihr gut getan, sagt Nkunda. „Jetzt warte ich.“

Situation wird sich verschärfen
Die Situation wird sich bei den weiter ansteigenden Flüchtlingszahlen noch verschärfen, sagt Munz. Allein in den ersten vier Monaten 2015 haben bereits 114.000 Menschen einen Asylantrag gestellt. Die Psychotherapeutenkammer und die psychosozialen Zentren fordern Bund und Länder auf, schnell Abhilfe zu schaffen: Der Gesetzgeber soll festlegen, dass von Anfang an eine psychotherapeutische Behandlung und die Dolmetscherleistungen finanziert werden. Das solle auch für die psychosozialen Zentren und die Psychotherapeuten ohne Kassenzulassung gelten.

Wenn psychische Erkrankungen über längere Zeit unbehandelt bleiben, verschlimmern sich die Symptome. Die Betroffenen kapselten sich zunehmend ab, auch innerhalb ihrer Familien, sagt Loos. Dadurch stehe der wichtige familiäre Zusammenhalt auf dem Spiel. Menschen mit einem unbehandelten Trauma hätten darüber hinaus große Schwierigkeiten beim Erlernen der deutschen Sprache oder eines Berufes.

Louise Nkunda möchte gerne Altenpflegerin werden. Zuerst muss sie aber den Sprachkurs beenden und einen Schulabschluss nachholen. Und sie hat noch einen ganz großen Wunsch für ihre Zukunft: „Ich möchte eine Familie. Ich will nicht allein bleiben.“ (epd/mig) Feuilleton Leitartikel

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