Schikane geht weiter
Stümperhafte Härtefallregelung zu Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug
Die Koalitionsfraktionen wollen eine allgemeine Härtefallregelung zu den Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug. Der Vorschalag ist aber Pfusch und beseitigt den Verstoß gegen EU-Recht nicht. Die Schikane beim Ehegattennachzug geht weiter. Von Sevim Dağdelen
Von Sevim Dağdelen Montag, 15.06.2015, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 17.06.2015, 16:30 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Eine Ausnahme vom Sprachnachweis soll künftig gelten, wenn ein „Bemühen“ um den Spracherwerb im Ausland nicht möglich oder unzumutbar ist. So lautet der Vorschlag in einem am Freitag nachmittag versandten Änderungsantrag von CDU/CSU/SPD zum Gesetzentwurf zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung, der noch vor der Sommerpause verabschiedet werden soll. Diese Formulierung ist offenkundig missraten und fällt sogar hinter die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zurück. Denn wann soll schon ein „Bemühen“ um den Spracherwerb unmöglich oder unzumutbar sein? In der gegenwärtigen Praxis wird dies jedenfalls nur in Bezug auf die Länder Syrien und Eritrea angenommen, in konkreten Einzelfällen wird dies praktisch niemals anerkannt.
Die Begründung des Änderungsantrags – doch bekanntlich ist der Wortlaut einer gesetzlichen Norm entscheidend – lässt erkennen, dass eigentlich eine allgemeine Härtefallregelung eingeführt werden soll, die Aspekte berücksichtigt wie „den Gesundheitszustand des Betroffenen, seine kognitiven Fähigkeiten, die Erreichbarkeit von Sprachkursen oder die zumutbare tatsächliche Verfügbarkeit eines Sprachlernangebots“. Doch auch das ist unzureichend: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat bereits vor kurzem (in der Rechtssache C-579/13, Urteil vom 4. Juni 2015) entschieden, dass bei Integrationsprüfungen weiterhin die Kosten der Test- und Kursteilnahme, das Alter, Analphabetismus und das Bildungsniveau der Betroffen berücksichtigt werden müssen. Diese Kriterien wollte die Koalition wohl schon deshalb nicht mit aufnehmen, weil die soziale Selektion beim Ehegattennachzug das zentrale, wenn auch unausgesprochene Ziel der Regelung der Sprachtests im Ausland war – die angebliche Bekämpfung von Zwangsverheiratungen und eine bessere Integration der Betroffenen waren von Beginn an bloße Propaganda.
Ob das Bestehen eines Sprachtests überhaupt zur Bedingung des Familiennachzugs gemacht werden darf, darüber wird der EuGH übrigens am 9. Juni entscheiden (in der Rechtssache C-153/14), wie aus dem Gerichtskalender des Gerichtshofs hervorgebt.
Zurück zum Änderungsantrag der Koalition. Dort wird tatsächlich behauptet, insbesondere die Dogan-Entscheidung des EuGH vom Juli 2014 würde hierdurch umgesetzt. Das ist falsch. Der EuGH hatte entschieden, dass die Einführung der Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug ein Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot des EWG-Türkei-Assoziationsabkommens und deshalb unzulässig sei. Beim Nachzug zu assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen dürfen keine Sprachnachweise mehr verlangt werden, das ist der Inhalt der Dogan-Entscheidung. Dass die Bundesregierung, und nun auch die sie tragenden Fraktionen, daraus eine bloße Härtefallregelung machen wollen, wird sie erneut vor den Gerichtshof bringen. Die EU-Kommission hat ein entsprechendes Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland bereits eingeleitet. Auch Österreich muss sich deshalb vor dem Gerichtshof verantworten. Aus einem Schriftsatz der EU-Kommission vom 28. April 2015 in diesem Verfahren können die Bundesregierung und die Fraktionen CDU, CSU und SPD im Detail entnehmen, warum es auch keine übergeordneten Gründe gibt, die einen Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot ausnahmsweise rechtfertigen könnten.
Besonders enttäuschend ist, wieder einmal, die Rolle der SPD. Sie hat die Schikaneregelung im Jahr 2007 mit beschlossen. In der Opposition angelangt, wollte sie diese wieder abschaffen und hat damit auch Wahlkampf gemacht. Erneut in der Regierungsverantwortung ist sie jedoch nicht einmal dazu im Stande, für eine korrekte Umsetzung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts zu sorgen, was eigentlich eine rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit sein sollte.
Im letzten Jahr wurde jeder dritte Sprachtest im Ausland nicht bestanden. Das betraf etwa 12.000 Menschen, die deshalb zwangsweise von ihren Lebenspartnern getrennt wurden. Dabei würden sie hier in Deutschland, zusammen mit ihren Ehegatten, in einem dafür vorgesehenen Integrationskurs und im deutschsprachigen Alltagsumfeld die geforderten Sprachkenntnisse weitaus schneller, leichter und ohne psychische Belastungen infolge einer unfreiwilligen Familientrennung erlernen. Vom Schutz der Familie und einer Willkommenskultur sollte diese Koalition ganz einfach schweigen, solange sie an dieser menschenrechtswidrigen und familienfeindlichen Schikane festhält. Aktuell Meinung
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Die Autorin schrieb:
„Doch auch das ist unzureichend: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat bereits vor kurzem (in der Rechtssache C-579/13, Urteil vom 4. Juni 2015) entschieden, dass bei Integrationsprüfungen weiterhin die Kosten der Test- und Kursteilnahme, das Alter, Analphabetismus und das Bildungsniveau der Betroffen berücksichtigt werden müssen.“
Dieses Zitat ist nur scheinbar in Zusammenhang zu bringen. Es ging beim EUGH darum, ob die Niederlande für das Nicht- oder nicht erfolgreiche Ablegen einer Integrationsprüfung für langfristig Daueraufenthaltsberechtigte ein Bußgeld in Höhe von 1.000,- € erheben dürfen und zwar, das ist m.E. auch entscheidungserheblich, immer wieder solange der Test nicht erfolgreich bestanden wurde.
Dieses Urteil auf die Frage der Zumutbarkeit von Deutschkenntnissen vor der Einreise anzuwenden, halte ich zumindest für fragwürdig.
Im Übrigen würde mich der aktuellste Entwurf der Regelung interessieren. Ist der bereits irgendwo abrufbar?