Franchise Restaurants
Wer schaut schon nach dem Kloputzer?
Wann kommt es schon vor, dass ein Bildungsbürger im McDonald's seinen Royal mit Käse bestellt und einen Gedanken an die Frau oder den Mann verschwendet, der nach ihm das Urinal saubermacht? Duško Bašić hat's gemacht und ist eingetaucht in die Abgründe der deutschen Dienstleistungsgesellschaft.
Von Duško Bašić Freitag, 19.06.2015, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 24.06.2015, 16:57 Uhr Lesedauer: 12 Minuten |
„Warum ihr Weißen diesen Job nicht macht?“ sagt Ama, eine ältere Frau aus Ghana. „Weil ihr denkt, wir Schwarze seien Tiere. Ihr haltet uns für Bestien. Aber ich will dir etwas verraten: wenn man einem Schwarzen die Adern aufschneidet“, dabei zieht sie ihre linke Handkante über die rechte Innenseite ihres Handgelenks, „ist das Blut, das herausschießt, auch rot. Wir haben dasselbe Blut. Schwarze und Weiße – wir sind gleich.“
Ich habe dieses Argument im Lauf meiner Arbeit schon öfter gehört, wenn auch in etwas moderaterer Form. Einige Informanten antworteten auf die Frage, warum in diesem Sektor überproportional viele Migranten aus dem subsaharischen Afrika beschäftigt seien, mit den Worten: „Weil die Weißen es nicht tun würden. Für sie ist es zu dreckig.“
Wir sitzen vor den Toiletten der Aachener McDonald’s – Filiale am Holzgraben. Das Restaurant ist gut besucht an diesem Nachmittag, die Leute kommen und gehen. Die meisten von ihnen beachten uns nicht, doch manche werfen einen neugierigen Blick auf dieses eher ungewohnte Bild. Es riecht stechend nach Urin aus dem Männerklo.
Ama erzählt weiter. Ich könne mir gar nicht vorstellen, sagt sie, wie schlimm ihre Arbeit sei. Vor allem hasst sie es, wenn manche Leute nicht dichthalten. Erst gestern liefen einem Mann beim Gehen der Durchfall durchs Hosenbein, eine gerade Spur vom Flur bis zur Toilette. Alles musste sie aufwischen. Nicht einmal ein 20-Cent-Stück als Dankeschön habe sie bekommen. Manche Leute verstopfen die Toilette auch mit Absicht, einfach so, nur um sie zu ärgern. Und wenn sie mit dem Reinigen fertig ist und zurück zu ihrem Platz kommt, passiert es nicht selten, dass ihr in der Zwischenzeit der Becher mit den Münzen gestohlen wurde. Ein ganzer Tag Schufterei umsonst! Diese Arbeit ist so eklig, sagt sie. Wenn sie abends nach Hause komme, könne sie kaum noch essen.
Es ist der zweite Monat in einem Projekt, das im Rahmen eines Ethnologie-Seminars der Uni Köln stattfindet. Die Studierenden sollen eigenständige Ideen entwickeln und anhand der Feldforschung die Methoden in der Ethnologie erproben; teilnehmende Beobachtung, verschiedene Interviewtechniken, das Erstellen von Fragebögen, das ganze Programm. Für meine Forschung habe ich achtzehn Interviews durchgeführt und ausgewertet, Fragebögen entwickelt und verteilt, mehrere Stunden systematisch beobachtet, mit den Chefs gesprochen (bzw. versucht mit ihnen zu sprechen), Experten in Deutschland und anderswo kontaktiert, und viele Großstädte NRWs von Münster bis Aachen abgeklappert. Ich wundere mich in diesen zwei Monaten so oft über Deutschland – das Land, in dem ich lebe – wie noch nie.
Zu dem Thema selbst komme ich rein zufällig. Im Frühjahr 2014 bin ich eines Abends, nach einem Treffen mit zwei Freunden, in der Kölner Innenstadt unterwegs und gehe im McDonald’s in der Hohen Straße auf Toilette. Nachher, beim Waschen der Hände, trällert der WC-Page, offensichtlich ein Afrikaner, eine kleine Weise.
„Welche Sprache ist das?“ frage ich neugierig.
„Englisch“, gibt er mit einem Lächeln zurück.
„Englisch?“ Ich muss lachen. So wenig klingt dieses gutturale Tonrollen nach Oxfords Leitakzent. „Und wo wird dieses Englisch gesprochen?“
„In Nigeria.“
Es entwickelt sich ein netter small talk von mehreren Minuten. Am Ende frage ich ihn, was mir schon an vielen Abenden wie heute aufgefallen ist: Warum gibt es in deutschen Fastfoodketten so viele schwarze Kloputzer? Wir unterhalten uns noch gut eine Stunde darüber und reißen die verschiedensten Themen an. Vom guten Rapport zwischen uns ermuntert, entscheide ich mich, in meiner Feldforschung im kommenden Semester dieser Frage weiter nachzugehen.
Bevor ich meine Idee jedoch präsentieren kann, muss ich erst einmal feststellen, ob wirklich so viele Afrikaner in Franchise-Restaurants wie McDonald’s, Burger King, Pizza Hut und Kentucky Fried Chicken usw. arbeiten oder ob es sich vielleicht nur um eine verzerrte Wahrnehmung meinerseits handelt. Hierzu mache ich eine einfache Liste und laufe viele Filialen in Köln und der näheren Umgebung ab. Ich spekuliere auf einen Anteil von vielleicht dreißig Prozent, um von einer „ethnischen Nische“ oder etwas in der Art sprechen zu können, doch das tatsächliche Ergebnis wirft mich um: von den 13 Restaurants, die ich an diesem Tag besuche, haben 11 einen Toilettenpagen verpflichtet. Von den 11 Pagen sind alle Afrikaner, das Geschlechterverhältnis ist annähernd ausgeglichen. Spätere Befragungen ergeben, dass fast alle von ihnen aus Ghana stammen, einige wenige aus Nigeria und Togo. Und Reisen in andere große Städte in der Rheinschiene und dem Ruhrgebiet zeigen tendenziell in eine ähnliche Richtung. Warum ist das so?
Mein anfänglicher Optimismus straft mich schnell Lügen. Vielerorts wird meiner Fragerei mit Misstrauen begegnet. Das liegt mit Sicherheit auch daran, dass ein Deutscher, der Migranten sehr direkt Fragen über ihren Beruf und ihre Situation stellt, verdächtig wirken muss. Welcher Deutsche auf der Straße interessiert sich schon für die Lage von afrikanischen Kloputzern? Die Jobs, von denen wir sprechen, sind ein geeignetes Schlupfloch für undokumentierte Migranten und Arbeit ohne Papiere, denn die WC-Pagen (auch die mit Papieren) arbeiten alle ohne Vergütung. Der Lohn besteht einzig aus dem, was die Gäste ihnen in Form von Trinkgeld in den Teller werfen. Bar auf die Hand. Keine Abrechnung, nichts. Für die „Illegalen“ in Deutschland ist das oft der einzige Weg, um an etwas Geld zu kommen. Feuilleton Leitartikel Meinung
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