Baden-Württemberg
Das Schweigekartell zum NSU-Komplex … bekommt Risse
Die Aufklärung des NSU-Komplexes wird auf Biegen und Brechen verhindert. Ein Dickicht an Abhängigkeiten zwischen Geheimdiensten und diversen neonazistischen Kameradschaften sorgen dafür, dass Zeugen schweigen - müssen. Von Wolf Wetzel
Von Wolf Wetzel Mittwoch, 15.07.2015, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 20.07.2015, 20:27 Uhr Lesedauer: 9 Minuten |
Manche verstehen nicht, warum in Baden-Württemberg erst Anfang 2015 ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss (PUA) eingerichtet wurde, der der Frage nachgehen soll, welche Rolle Baden-Württemberg im NSU-Komplex spielte.
Noch weniger versteht man – auf den ersten Blick – warum alle im Parlament vertretenen Parteien einen PUA auf ihre je eigene Weise zu sabotieren versuchten. Warum sträubte sich auch die gegenwärtige rot-grüne Landesregierung gegen die Einsetzung eines PUA? Warum deckt sie damit die Vorgängerregierungen, die von der CDU und FDP gestellt wurden? Was eint CDU, FDP, SPD und die Grünen?
Warum leugnen sie bis heute die herausragende Rolle, die Baden-Württemberg für die Geschichte des NSU und ihre Nicht-Aufklärung markiert?
Dazu zählen nicht nur die ausgezeichneten Kontakte, die der NSU nach Baden-Württemberg hatte, zu weiteren neonazistischen Gruppierungen, die dem NSU ideologisch und konzeptionell sehr nahe standen.
Tipp: Wolf Wetzels „Der NSU-VS-Komplex. Wo beginnt der Nationalsozialistische Untergrund – wo hört der Staat auf?“ ist in 3. erweiterter Auflage erschienen.
Dazu zählt auch der Mordanschlag auf zwei Polizisten in Heilbronn 2007, der dem NSU zugeschrieben wird. Diese Tat bricht nicht nur mit der Terror- und Mordserie, der eine rassistische und neonazistische Lebensideologie zugrunde liegt. Nicht minder irritierend ist das hohe Maß an Unwillen der Ermittlungsbehörden, den unzähligen Spuren zu folgen, die es in diesem Mordfall gibt. Zeugenaussagen und Indizien, die zu anderen Tätern führen, als zu den uns genannten toten NSU-Mitgliedern Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos.
Auch was den im NSU-Abschlussbericht in Berlin konstatierten ‚institutionellen Rassismus‘ anbelangt, ist man in Baden-Württemberg geradezu an vorderster Front: Dort haben sich so viele Polizeibeamte als aktive Rassisten verstanden, dass der Ku-Klux-Klan/KKK in Schwäbisch Hall eine eigene Sektion für Polizeibeamte gründen wollte. Wie nah all dies an das Mordgeschehen in Heilbronn heranreicht, belegt auch der Umstand, dass sich mehrere Mitglieder des KKK im (beruflichen) Umfeld der ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter bewegten.
Eine ähnliche Sabotage der Aufklärung betrieb man, als es darum ging, die Rolle von V-Leuten beim Gewährenlassen des NSU-Netzwerkes zu vertuschen. Der Verfassungsschutz bestritt einen solchen V-Mann-Einsatz und leugnete das Wissen, das man über diese Quelle gewonnen hatte. Tatsächlich hatte der Verfassungsschutz eine Top-Quelle im Nahbereich des NSU: Es handelte sich um Achim Schmid, der als V-Mann den Ku Klux Klan/KKK Schwäbisch Hall gegründet hatte.
Summa summarum ein Netzwerk aus Neonazis, Polizisten und V-Leuten. Von alledem wollen alle beteiligten Behörden in Baden-Württemberg bis heute nichts gewusst haben.
In die Reihe der Ahnungslosen reihte sich jüngst der Verfassschutzmitarbeiter mit Aliasnamen ‚Harald Schaffel‘: „Dass der baden-württembergische Ku-Klux-Klan schon im März 1999 im Amt bekannt war, erfuhr Verfassungsschützer ‚Harald Schaffel‘ erst vor drei Wochen durch die Stuttgarter Nachrichten.“ 1
Wenn dies so wäre, dann wäre der Verfassungsschutz bei dieser Zeitung in besseren Händen und man könnte viel Geld sparen. Abgesehen von dieser Posse, darf man festhalten:
Dass diese Behörden, die damalige und aktuelle Landesregierung Teil des Problems, und nicht Teil der Lösung sind, stellen sie gemeinschaftlich und fortlaufend unter Beweis.
Im Großen und Ganzen können sie sich dabei auf den Korpsgeist der Beamten verlassen, auf die Angst setzen, die alle haben, wenn sie der offiziellen Version widersprechen und sich damit zu ‚Kameradenschweinen‘ machen.
Doch es gibt sie – die Zivilcourage, die man bei Festakten so gerne bemüht.
Dazu zählt die ehemalige V-Frau mit Decknamen ‚Krokus‘, die jahrelang über neonazistische Gruppierungen und Aktivitäten berichtete, u.a. davon, dass ‚Mandy‘ (der Deckname von Beate Zschäpe) zu Besuch in Baden-Württemberg war, unter ‚Kameraden‘, die alles vereinen, was die Neonazi-Szene ausmacht: NPD-Mitglieder, ehemalige kroatische Söldner, kroatische Faschisten, Sympathisanten von ‚White Power‘ und KKK-Irrsinn, bis hin zu neonazistischen Kameradschaften. Als sie dieses Wissen den Ermittlern zur Verfügung stellen wollte, im Glauben, nun werde (viel zu spät) aufgeklärt, bekam sie viel zu spüren, nur keine Unterstützung. Anstatt ihre Erfahrungen und ihr Wissen für die ‚Aufklärung‘ zu nutzen, wurde sie von Geheimdienstmitarbeitern bedroht, sollte sie mit ihrem Wissen an die Öffentlichkeit gehen. Man drohte ihr mit einer Anklage wegen Geheimnisverrat und schaffte es schließlich, dass sie aus Angst um ihr Leben das Land verließ und seitdem nur mit einem konfrontiert ist: Denunziationen.
Diese Methode, Menschen zum Schweigen zu bringen, hat mittlerweile in Baden-Württemberg auch eine Blutspur hinterlassen.
Während man die ehemalige V-Frau ‚Krokus‘ einfach für unglaubwürdig und dubios abstempeln konnte, war dies in einem weiteren Fall nicht ganz so einfach.
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Unmittelbar nach dem vor knapp neun Jahren verubten Bombenanschlag des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) in der Kolner Keupstra?e waren laut einem ZDF-Bericht zwei Polizisten vor Ort. Dies habe das nordrhein-westfalische Innenministerium bestatigt, berichtet das heute journal am Sonntagabend laut einer Vorabmeldung unter Berufung auf ein entsprechendes Schreiben des Ministeriums. Darin wurden die beiden Beamten namentlich genannt.Der Zeuge Ali D., der die Beamten damals beobachtet hatte, habe nach eigener Aussage direkt nach dem Anschlag der Polizei von seinem Wissen berichtet, so das ZDF. Trotzdem sei er erst 2013 von der Polizei vorgeladen worden. SPON 7.4.2013