Koloniale Kontinuitäten
Der Ekeko ist zurück in Bolivien
Koloniale Kontinuitäten zeigen sich nicht nur in Denkweisen und Weltbildern, sondern auch im deutschen Alltag. Die Initiative No Humboldt21! kritisiert, dass noch immer Kulturgüter in europäischen Museen ausgestellt werden, die aus einem kolonialen Unrechtskontext stammten.
Von Delia Friess Freitag, 07.08.2015, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Samstag, 05.09.2015, 10:32 Uhr Lesedauer: 7 Minuten |
Da sei zum Beispiel das Tangué aus dem Kamerun, das sich im Münchner Völkerkundemuseum befindet, berichtet Christian Kopp, Fachreferent für Dekolonisierung im Berliner Promotorenprogramm bei Berlin Postkolonial. Die Königsinsignie, eine hölzerne Bugverzierung, sei um 1884/85 nach Deutschland gebracht worden, nachdem deutsche Soldaten eine Stadt im Kamerun niedergebrannt und geplündert hätten. Der beteiligte deutsche Konsul und spätere Direktor des Münchner Völkerkundemuseums, Max Buchner, bezeichnet das Tangué in seinen Memoiren als seine „Hauptbeute“. Es gehörte Kum’a Mbape, dessen Enkel Kum’a Ndumbe es zurückfordert, und für dessen Nachfahren es ein Medium zwischen dem Diesseits und Jenseits darstelle, das nur einmal im Jahr zum Wasserfest der Öffentlichkeit gezeigt werde. Im Münchner Völkerkundemuseum wird es nun das ganze Jahr über ausgestellt.
Ein weiteres Beispiel sei der Thron Bamoun-Sultans Ibrahim Njoya aus Foumban in Kamerun, der im Ethnologischen Museum der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin zu sehen ist. Laut der Beschreibung des Ethnologischen Museums handelt es sich um eine Schenkung, die im Kamerun üblich gewesen sei, um diplomatische Beziehungen zu festigen. Der Verein No Humboldt21 bezweifelt das. Der Sultan habe eine Kopie anfertigen lassen und musste das Original verschenken. Um ihm die neuen Machtverhältnisse nochmals deutlich zu machen, sei ihm ein lebensgroßes Porträt des Kaisers Wilhelm II. geschenkt worden, kritisiert NoHumboldt21 die Umstände der „Schenkung“.
„Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz wolle einzelne Fälle von Kulturraub im Kontext des Kolonialismus prüfen. Diese Aussage impliziert aber, dass ein Großteil der Gegenstände unter fairen Bedingungen erworben sei. Es ist aber höchst unwahrscheinlich, dass Völker ihre Masken, Gottesfiguren oder Kunstschätze freiwillig verschenkten oder billig verkauften“, sagt Kopp. Im Besitz der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sind auch etwa 500 wertvolle Bronzestatuen, die aus Benin, Hauptstadt des Edo-Königreiches, dem heutigen Nigeria stammen. Während der Zerstörung von Benin durch britische Soldaten seien sie unter fragwürdigen Umständen nach Großbritannien gekommen. „Obwohl sich der Großteil der Statuen in Großbritannien befindet, sind immer noch mehr Bronzestatuen aus Nigeria im Besitz der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin als in Nigeria selbst“, berichtet Kopp. „Etwa 10 dieser Statuen werden ausgestellt, der Rest wird im Keller gelagert“, meint der Historiker.
„Es handelt sich nicht um Kulturgüter, die im Austausch mit anderen Ländern oder Museen in Deutschland ausgestellt werden, sondern um Gegenstände, die direkt während des Kolonialismus geklaut wurden, oder unter problematischen Bedingungen nach Europa kamen, das heißt durch Gewaltanwendungen oder Drohungen erpresst wurden oder durch den Bruch mit sogenannten Verträgen oder andere Betrügereien erbeutet wurden“, sagt Tahir Della, Vorsitzender des Vereins Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland. Und: „Die Gegenstände sind nicht nur wertvoll, sondern nicht selten in einem religiösen Kontext von Bedeutung oder stellen Gottesfiguren in den jeweiligen Kulturen dar.“
Laut Senat habe das Ethnologische Museum die Herkunft der rund 500.000 Gegenstände seiner Sammlung noch immer noch nicht systematisch und detailliert erforscht. „Das Ethnologische Museum bemüht sich nach eigenen Bekundungen zwar darum, die Provenienzforschung voranzubringen und mit dem kolonial-rassistischen Blick zu brechen, aber uns ist das nicht genug“, äußert Della.
Im Falle der Bronzestatuen aus Nigeria erklärte der Senat, dass es für die Rückgabe dieser Sammlung keine völkerrechtliche Grundlage gebe. Tatsächlich greift das Internationale Völkerrecht nur bei Kulturgütern, die nach 1954 bzw. 1970 gestohlen wurden. Es existieren zwei internationale Vorgaben: Die Haagener Konvention zum Schutz von Kulturgütern bei bewaffneten Konflikten (1954) und die UNESCO-Konvention über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut (1970). Der Internationale Museumsrat veröffentlichte 1986 einen Leitfaden für ethische Richtlinien „Code of Professional Ethics“ (ICON). Darin steht: „Wenn ein Herkunftsland oder -volk die Rückgabe eines Objektes oder Gegenstandes erbittet, von dem belegbar ist, dass es/er […] auf anderem Wege übereignet wurde und es/er zum kulturellen oder natürlichen Erbe dieses Landes oder Volkes gehört, sollte das betroffene Museum umgehend verantwortungsvolle Schritte einleiten, um bei der Rückgabe zu kooperieren, sofern es rechtlich dazu befugt ist.“
Die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland kritisiert, dass sich Museen noch immer hinter rechtlichen Konzepten versteckten: „Zwar gibt es Anfragen von den Linken und den Grünen an die Bundesregierung, aber es wird immer darauf verwiesen, dass überhaupt nicht klar sei, wer überhaupt ein Recht auf Rückforderung hat. Ganz dubios wird dann auf Zeit gesetzt, dass die Dinge eben im Sande verlaufen. Das ist eine ganz generelle politische Linie. Nur langsam wird erkannt, dass man auch selber eine Verantwortung benehmen muss. Die Einrichtungen müssen sich selbst auf den Weg machen, selbst Verantwortung zeigen und fragen „Gibt es Gegenstände, die in einem Unrechtskontext erworben wurden, gibt es die Möglichkeit Dinge zurückzugeben oder Gegenstände in den Ländern selber auszustellen?“
In Fällen für vor 1954 unrechtmäßig eingeführte oder erworbene Kulturgüter, treten an die Stelle internationaler Gesetze, diplomatische Beziehungen. Diese sollen durch ein Kontrollgremium der UNESCO geregelt werden. Die Krux: Nur Mitgliedsstaaten der UNESCO können es in Anspruch nehmen. Und: Es besitzt keinerlei rechtlichen Anspruch. Für Privatpersonen, Volksgruppen, Stämme oder Regionen ist es also schwierig den Gegenstand zurückzuerhalten. Staaten forderten ihre Kulturschätze allerdings erst gar nicht zurück, um die diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Deutschland nicht zu gefährden, meint Christian Kopp. Feuilleton Leitartikel
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Der Artikel ist komplett lächerlich. Wenn man danach ginge, dürfte kaum ein bedeutendes Gemälde dort hängen, wo es ist. 60% aller Bilder müssten zurück in Kirchenbesitz. So sieht es aus!
Was ich nicht verstehe: Was soll das Foto aus dem Pergamon-Museum in dem Artikel? Dort ist ein so genanntes späthethitisches Relief abgebildet, das hat mit den im Beitrag genannten Kulturgütern nichts zu tun.
Früher war es umgekehrt, da waren jene Kulturgüter im Westen nicht sicher: Durch allierte Luftangriffe wurde die Fassade des Wüstenschlosses Al-Muschatta im Pergamon-Museum in Berlin schwer beschädigt und die Statuen aus Tell Halaf größtenteils zerstört.
Heute jedoch sind Kunstschätze und Handschriften aus manchen Teilen der Islamischen Welt in westlichen Museen und Bibliothken sicherer untergebracht als in ihren Heimatländern. Bei der „Befreiung“ des Iraks durch die US-Terminatoren wurde bspw. eine Bibliothek mit wertvollen alten Koranhandschriften geplündert und zerstört, das Nationalmuseum ausgeraubt usw. In Timbuktu wurden seltene Handschriften von den abziehenden „Islamisten“ mutwillig verbrannt. Handschriften und Bücher mit Inhalten, die nicht ihrer kruden Glaubenslehre entsprechen, werden vernichtet. Man stelle sich vor, die Bronzestatuen würden an Nigeria und der Thron des Bamoun-Sultans nach Kamerun zurückgegeben, und dann kommen die Kämpfer von Boko-Haram und zerstören sie!
@karakal Jaja und Bagdad wurde von den Mongolen zerstört. Das ist der Lauf der Welt. Wer das vergisst, beweist nur einen Mangel an Bildung. Zerstört wird im Übrigen am meisten in Friedenszeiten, nicht im Krieg.
Realist sagt: 7. August 2015 um 12:16
„60% aller Bilder müssten zurück in Kirchenbesitz.“
Ich glaube kaum, dass 60% ALLER Bilder je im Kirchenbesitz waren. Das dürfte selbst für 60% der Bilder aus dem europ. Raum schon kaum zutreffen, geschweige denn weltweit.
@Tei Fei sehe ich nicht so. Vor 1800 waren die meisten Bilder in Europa in Kirchenhand. Noch nie eine katholische Kirche besucht? Im Übrigen haben auch die meisten antiken Statuen in irgendeiner Form einen mythisch-sakralen Hintergrund. Die Venus war kein Attribut weltlicher Vorstellungen, die stand im Tempel und nicht im Museum.
@Kunsthistoriker
Spätestens ab dem 16. Jh. gab es in Europa eine starke bürgerliche Kunst, von Kunst in Besitz der Adelshäuser gar nicht zu reden. Die kathol. Kirche ist auch kein Rechtsnachfolger heidnischer Tempel. In Kirchen herrschte und herrscht i.d.R. christl. Votivkunst vor. Das dürfte jedoch HEUTE nur noch ein kleiner Anteil an der gesamten Kunstszene sein. Ferner hieß es im Original Posting „60% aller Bilder müssten zurück in Kirchenbesitz“ Das würde bedeuten die Kirchen hätten weltweit 60% aller Bilder im Besitz gehabt. Das ist absolut lächerlich.
PS: entschädigungslose Kirchenenteignung großen Stils dürfte es in Europa auch lediglich in Frankreich und Russland gegeben haben.
@Tei Fei Bis ins 20. Jahrhundert war „Bürgertum“ mit 20%, bestenfalls 30% der Bevölkerung identisch. Bürgertum war auch oft mehr protestantisch, also eher bilderfeindlich. Außerdem war das Bürgertum auch lange Zeit religiös, also Teil der „Kirche“, genauso wie der Adel. Die Unterscheidung zwischen Bürgertum, Adel und Kirche ist unsinnig, weil die Zugehörigkeit zur Kirche für jeden völlig selbstverständlich war.
Kirchliche Kunst ist zudem nicht nur Votivkunst. So ein Schmarrn! Viele reiche Klöster sind im Übrigen zu 100% enteignet worden. Soviel zu Ihren Bildungslücken. Alles was vor 1700 gemalt wurde, ist zu 75% religiös (geschätzt).
https://de.wikipedia.org/wiki/Kloster_Ottobeuren#/media/File:BasilikaOttobeurenHauptschiff02.JPG
Das hätte sich kein „Bürgerlicher“ leisten können. Punkt.
@Katholikin
1. Protestantisches Bürgertum war Bilderfeindlich? Wie kommen Sie auf diese Idee? Ein Besuch im Amsterdamer Reichsmuseum sollte Sie eines Besseren belehren. Mit der Renaissance setzte ein gewaltiger künstlerischer Schub ein, der eben vor allem vom aufkommenden Bürgertum finanziert wurde. Und die konnten sich das sehr wohl leisten. Familien wie Fugger und Medici finanzierten Flotten, Armeen, ja ganze Staaten. Die gesamte Conquista war zum größten Teil privatwirtschaftlich finanziert, die VOC oder die EOC waren ebenfalls private Gesellschaften, die lediglich einige staatliche Beteiligungen erhielten und i.d.R. vor allem rechtlich subventioniert wurden. Diese Gesellschaften kontrollierten ganze Kontinente.
2. Eine „ENTSCHÄDIGUNGSLOSE“ (das ist der entscheidende Begriff) Enteignung im großen Ausmaß geschah vor allem in der französischen und in der russischen Revolution. In Deutschland gibt es bis heute keine Richtige Trennung von Staat und Kirche. So haben die Kirchen seit der Säkularisation Anspruche auf staatliche steuerliche Zuschüsse. Ansonsten gab es natürlich bereits seit dem Mittelalter immer wieder Bestrebungen Kirchenbesitz zu annektieren, wobei es hier vor allem jedoch mehr zum Land ging.
3. Es geht um Besitzverhältnisse. Dass Kirche, Adel und Bürgertum bis ins 18. Jh. eine politische Einheit bildeten, ändert NICHTS an Besitzverhältnissen. Besitztümer des Adels gehörten NICHT der Kirche und deren auch nicht dem Bürgertum.
4. Vor 500 u.Z spielte das Christentum in Europa gar keine große Rolle spricht alles was DAVOR gemalt wurde hatte mit der Kirche NICHTS zu tun. Im Originalpost hieß es zudem „60% aller Bilder müssten zurück in Kirchenbesitz“ Das hieße auch alle Bilder aus dem muslimischen, chinesischen, japanischen und indischen Kulturbereich, die ebenfalls NIE im Besitz einer Kirche waren.
Ich bestreite keineswegs die Bedeutung der Kirche für die Kunst. Aber zu behaupten, dass 60% ALLER heute existierenden Bilder mal der Kirche gehörten, ist eine maßlose Übertreibung.