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Rezension zum Wochenende

Von Windhuk nach Auschwitz?

Wurde in Deutsch-Südwestafrika der Holocaust erprobt? Gleich zwei neue wissenschaftliche Werke widmen sich dieser alten Frage. Das Ergebnis hätte nicht unterschiedlicher ausfallen können. Eine Sammelrezension.

Von Freitag, 28.08.2015, 8:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 30.08.2015, 12:45 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Spätestens seit Hannah Arendts Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, vor 50 Jahren in deutscher Version erschienen, wird über die Kontinuität zwischen dem Massenmord an den Nama und Herero in Deutsch-Westafrika und an den Jüdinnen und Juden unter den Nationalsozialisten debattiert. Momentan scheint die Frage wieder eine Hochkonjunktur zu erleben, denn gleich zwei Bücher greifen das Thema auf: Florian Fischers und Nenad Čupićs Die Kontinuität des Genozids: Die europäische Moderne und der Völkermord an den Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika sowie Jonas Kreienbaums Ein trauriges Fiasko: Koloniale Konzentrationslager im südlichen Afrika 1900-1908.

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„Rassenkampf“

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Die zwei Monographien rufen die bekannten Genozid-Befehle des Generals Lothar von Trotha in Erinnerung, in denen der Untergang der Herero durch „Rassenkampf“ beschworen wurde – „[die Herero] müssen jetzt im Sandfeld untergehen“.

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Braucht man wirklich noch mehr Beweise, um zu zeigen, dass die Vernichtung der Kolonisierten in Südwestafrika genauso geplant war wie der Holocaust? Ist mit dem Zitat die Sache nicht eigentlich geklärt?

Ja, sagen Fischer und Čupić, zwei Critical Whiteness Trainer und anti-rassistischen Aktivisten. Sie interpretieren von Trothas geflügelte Wörter als direkten Beleg dafür, dass es eine gezielte und intentionale Ermordung gegeben hat – einen Genozid kurzum, der das rassistische soziopolitische Klima in Deutschland widerspiegelte. Die daraufhin entstandenen Konzentrationslager folgten dem gleichen Ziel mit anderen Mitteln, so die Autoren.

Jein, meint Jonas Kreienbaum dagegen, Forscher an der Universität Rostock. Er rückt die Vorläufigkeit und die relativ rasche Revision des Trotha’schen Vernichtungsbefehl ins Visier. Fast drei Monate nach dem Anfang haben die damaligen Machthaber Trothas Befehl widerrufen. Vielleicht hätten sie es schneller gemacht, so der Autor, wären die Kommunikationswege nicht so lange gewesen.

Der Autor hebt dabei das Unbehagen der deutschen Eliten hervor – August Bebel nannte die Kolonialpolitik „bestialisch“; Reichskanzler von Bülow warf von Trotha „Unmenschlichkeit“ vor. Auch die eingerichteten Konzentrationslager folgten, laut Kreienbaum, eher einer militärischen Logik (die ‚Pazifizierung‘ der Kolonie) als einer Vernichtungstaktik.

Geschichte und Critical Whiteness

Fischer und Čupić lassen keinen Hauch von Zweifel in ihrer Arbeit aufkommen. Sie sehen in der (weißen) Theorie und der (weißen) Praxis des Sozialdarwinismus des 19. und 20. Jahrhunderts einen wichtigen Motor für sowohl den Genozid in Südwestafrika als auch den Holocaust in Europa. Personelle, ideologische, symbolische und institutionelle Überschneidungen zwischen Windhuk und Auschwitz können festgestellt werden, laut der Autoren – von Zwangsarbeit über Passmarken bis hin zu Todesmärschen und Zwangsumsiedlungen.

Die Selbstsicherheit der Analyse gehört zum Stil des Critical Whiteness-Ansatzes, den die Autoren offensichtlich  in ihre Untersuchung versuchen zu integrieren. Das wird bereits in den ersten Sätzen deutlich. In den Vorbemerkungen entschuldigen die Autoren sich ausgiebig dafür, dass sie möglicherweise Rassismus reproduzieren durch die Zitation von unwissenschaftlichen, sozialdarwinistischen Begriffen und Denkmustern, wie sie in Quellen vorgefunden wurden. Dieses Geständnis ist zwar sensibel, aber gleichzeitig auch absurd: Warum würde man eine Arbeit veröffentlichen, von der man glaubt, dass sie, durch die Benutzung von historischen Quellen (die nun einmal unabdingbar sind), Rassismus mitproduziert? Wenn sie wirklich an diese Aussage glauben, wäre die Nicht-Veröffentlichung eine naheliegendere Schlussfolgerung gewesen.

Die Dauerspannung zwischen dem Critical Whiteness-Anspruch und akademischer Wissensproduktion führt zu weiteren offensichtlichen Widersprüchen. Wenn Rassismus ein weißes Phänomen und Problem sein soll, warum zitieren die beiden Autoren dann hauptsächlich weiße Wissenschaftler_innen, lässt sich fragen? Auch die schablonenhafte schwarz-weiß Trennung – im Sinne von weiß = rassistisch und schwarz = oppositionell –  wird dem historischen Archiv einfach nicht gerecht.

Der afroamerikanischer Intellektuelle W.E.B. Du Bois beispielsweise, der gerne von Critical Whiteness-Unterstützer_innen zitiert wird, mochte etwa die Arbeit von dem beiläufig zitierten Musterrassisten Winwood Reade sehr gerne (besonders dessen Martyrdom of Man). Dieser Umstand deutet auf Ambivalenzen, Komplexitäten und Verbindungen hin, die mit einem verkürzten Verständnis von Critical Whiteness kaum verortet und verstanden werden können. Das Ergebnis ist schlichtweg eine Verarmung des Wissens über Rassismus.

Quellenglauben

Kreienbaums Arbeit stellt einen qualitativen Quantensprung im Vergleich zur Kontinuität des Genozids dar. Gleichzeitig beunruhigt auch seine Arbeit ein wenig.  Der auf den ersten Blick etwas seltsame Grund dafür ist dieser: „Ein trauriges Fiasko“ klammert sich ein wenig verkrampft an seine ausführlichen Archivrecherchen. Anhand von den dort vorgefundenen Texten des, nun ja, Unterdrückers, präpariert Kreienbaum unter Anderem den Alltag, die Funktionsweise und Wandlung der Konzentrationslager in Südwestafrikas heraus. Das gelingt gewinnbringend, führt aber dennoch in die Irre in Bezug auf die Kontinuitätsfrage.

Kreienbaum erwartet schlichtweg zu viel von seinen Quellen. Überspitzt gesagt: Was dort nicht explizit auftaucht, ist erst mal nicht existent für den Autor. Aber welches politische System ist so offen oder gleichgültig, dass es eine ethnische Säuberung, eine veritable ‚Endlösung‘ kurzum, von A bis Z dokumentiert und über längere Zeit aufbewahrt? Sogar Leopold II., der zusammen mit skrupellosen lokalen und internationalen Akteuren Zentralwestafrika terrorisierte und ausbeutete, verbrannte die entsprechenden Dokumente.

Kreienbaums Quellenglaube führt zu dem etwas zu wohlwollenden Schluss, dass die Konzentrationslager unter den Nationalsozialisten nur oberflächlich betrachtet Gemeinsamkeiten mit seinen Vorgängern aus Südwestafrika hatten. Überlappen tun sie sich lediglich in Sachen Zwangsarbeit, ‚Erziehung‘ der Internierten durch Erniedrigung und Bestrafung, so schreibt der Autor.

Dabei minimalisiert er die Koloniallager keineswegs – das ist, zu seinen Gunsten, wahrlich nicht seine hidden agenda. Die Sterberaten der dortigen KZs, so der Autor, lagen deutlich höher als in den nationalsozialistischen Pendants – wenigstens bis in den letzten Kriegsjahren, als viele Nazi-KZs in Sterbelager mutierten. Mit grundsoliden Befunden wie diesem rettet sich der Autor mit Bravour vor dem vorhersehbaren Vorwurf des kolonialen Apologeten.

Relevanz der Kontinuität

Trotz des großen Unterschieds in Qualität und Originalität haben die Autoren eine Gemeinsamkeit: Die Relevanz der Kontinuitätsfrage bleibt außen vor. Abgesehen von ein paar Randbemerkungen zu der akademischen Wichtigkeit und zu den zeitgenössischen Verbindungen zum Kolonialismus wird wirklich nicht viel darüber gesagt.

Es ist dennoch notwendig darüber nachzudenken. Warum sollte man die Kontinuitätsfrage eigentlich überhaupt für wichtig halten? Sind beide Massensterben, beide Systeme mit Konzentrationslagern, nicht schlimm und wichtig genug? Bedarf es des Holocaust, um den Kolonialismus in seiner Blutigkeit, oder vice versa, ‚aufzuwerten‘? Was genau ist der Gewinn dieser jahrzehntelangen Diskussion, die ganze Bibliotheksregale füllt und Emotionen hochkochen lässt? Aktuell Rezension

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