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Flüchtlingslager Burgunstadt im Jahre 1988 ©

Zwei ehemalige "Asyl-Kinder" erzählen

Das Trauma der Geflüchteten hört am Bahnhof nicht auf.

Elif Küçük und Sinthujan Varatharajah haben als Kinder von Geflüchteten in den 80er und 90er Jahren in deutschen Ayslbewerberheimen gelebt. Ihre Erinnerungen sind geprägt von Essensrationen und Entmenschlichung – so wie das aktuelle Asylpaket es vorsieht.

Von Küçük, Varatharajah Montag, 05.10.2015, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 09.10.2015, 1:18 Uhr Lesedauer: 9 Minuten  |  

Deutschland wird in der sogenannten „Flüchtlingskrise“ innerhalb der Europäischen Union bisweilen eine geradezu vorbildliche Führungsposition zugesprochen. Während andere Staaten mit strukturellem Widerwillen und gar militärischer Gewalt auf die Geflüchteten reagierten, schien Deutschland bis vor kurzem Grenzen und Gewissen für 0Tausende geöffnet zu haben. Die große Welle der Wohltätigkeit erreicht derzeit öffentliche wie auch private Räume. Die vergangenen Monate werden wohl in Zukunft als „Sommer der Flüchtlinge und der großen Solidarität“ in Erinnerung bleiben. Eine vermeintlich wohlverdiente Nostalgie.

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Monatelang haben die deutschen Medien ausführlich Entwicklungen und Geschehnisse bezüglich der Geflüchtetenfrage kommentiert. Die meisten dieser Kommentatoren waren in der Regel weiße Journalisten, Politiker, Migrationsforscher oder freiwillige Helfer. Die Stimmen von Geflüchteten waren stets eher Randnotizen. In den seltenen Fällen, in denen sie zu Wort kommen durften, wurden diesen nur wenige Zeilen oder bestenfalls Sekunden gewährt. Geflüchtete sollten in ihrer eigenen Narrative vor allem als Bekräftigung des Konsenses der Mehrheitsgesellschaft über sie dienen. Sie sind nicht die Erzähler, sondern das Erzählte.

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Wir als Kinder von ehemaligen politischen Asylsuchenden, die selbst in den 80er und 90er Jahren in deutschen Ayslbewerberheimen gelebt und das System von innen erfahren haben, möchten eine andere, wichtige Perspektive auf diese Debatte liefern. Es ist weder unsere Absicht, als Repräsentanten oder Sprecher einer als homogen gedachten Gruppe von Menschen mit Asyl- oder Fluchterfahrung zu sprechen, noch maßen wir es uns an, im Namen der heutigen Geflüchteten zu schreiben. Unsere Intention ist es, eine Diskussion über die vorherrschenden Machtverhältnisse innerhalb dieser Debatte anzuregen und die vorhandenen Lücken innerhalb des Diskurses zu benennen.

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„Braucht Deutschland Flüchtlinge?“, auf diese Frage versuchten bisweilen die deutschen Medien immer wieder eine Antwort zu geben und versäumten es dabei, diese als profitorientiert und egoistisch zu entlarven. Stattdessen wird mit dem Geburtenrückgang, dem Aussterben von deutschen Städten, dem Arbeitskräftemangel und der Entlastung der Sozialkassen für Zuwanderung argumentiert. Geflüchtete sind also willkommen, da sie nützlich sind, nicht zuletzt als Auszubildende, Fachkräfte und Steuerzahler. Doch was ist mit den Analphabeten, den Alten und den psychisch und physisch Kranken? Sind diese nun weniger „rettenswert“, weniger willkommen? Steht denn das Asylrecht nicht jedem zu, der Schutz und Zuflucht sucht? Wie kann denn die Berechtigung eines solchen Grundrechts daran bemessen werden, inwiefern ein Mensch für das jeweils asylbietende Land von Nutzen wäre?

Kanzlerin Angela Merkel möchte ihrem Image als „Wirtschafts- und Flüchtlingskanzlerin“ entsprechend Asylpolitik und wirtschaftlichen Nutzen theoretisch gut verbinden. Während andere europäische Regierungen Mauern bauten, die Grenzkontrollen wieder einführten, um Geflüchteten die Einreise zu erschweren, reagierte Merkel zunächst mit Zuversicht und Pragmatismus. Jedoch ist an dieser Stelle zu überprüfen, inwieweit die hoffnungsvollen Reden der Kanzlerin Umsetzung innerhalb der Asylpolitik finden, hat doch auch Deutschland mittlerweile gemäß eines Beschlusses vom 13. September, pünktlich zum Beginn des Oktoberfests, die Kontrollen an den Grenzen wieder eingeführt. Damit schließt sich Deutschland eindeutig an die Abschottungspolitik von Ländern wie Ungarn, Großbritannien und Dänemark an.

Zweifellos wäre die Situation der Geflüchteten in Deutschland ohne die freiwillige Hilfe aus der Zivilbevölkerung angesichts der überforderten, unterbesetzten und inkompetenten Behörden und der Bürokratie gravierender als sie es bereits ist. Mag auch die Bundesregierung bislang öffentlich für Menschlichkeit und Solidarität plädieren und international als Vorreiter im Westen in der sogenannten „Flüchtlingskrise“ gesehen werden, hatte sie schon im Juli dieses Jahres die umstrittene Reform des Aufenthaltsgesetztes beschlossen. Damit sollen Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit sowie Geflüchtete, die falsche oder unvollständige Angaben bei ihrer Registrierung gemacht haben, fortan schneller abgeschoben werden können. Dies ist die erste offizielle gesetzliche Regelung, die die Flucht illegalisiert, werden doch die Betroffenen in diesen Fällen klar als Straftäter behandelt.

Deutschland blieb auch am 6. September in seiner harten Asylpolitik konsequent, als sich dessen Regierung im Koalitionsausschuss auf ein Maßnahmepaket, das „Fehlanreize beseitigen“ möchte, einigte. Um künftig Geflüchtete vor einem Asylantrag in Deutschland abzuschrecken, sollen die Betroffenen nicht mehr drei, sondern sechs Monate lang in Erstaufnahmelagern wohnen müssen und die Residenzpflicht, die in Bayern und Sachsen-Anhalt fortgehend erhalten geblieben ist, wieder bundesweit eingeführt werden. Zudem dürfen die Asylsuchenden nur noch Sachleistungen statt Bargeld erhalten. Wie Pro Asyl es richtig erkannte, handelt es bei diesen restriktiven Beschlüssen um soziale Ausgrenzung und Stigmatisierung. Menschen, die Zuflucht und ein menschenwürdiges Leben in Deutschland erhoffen, werden sichtbar entmündigt und diskriminiert.

Diese Politik ist keine Neuheit, sondern eine direkte Kontinuität der 90er Jahre. Unsere Familien mussten noch mit Gutscheinen in ausgewählten, meist nur einem einzigen Supermarkt einkaufen, Pakete mit Essensrationen annehmen oder gar in Kantinen ausgeschenkte Speisen essen. Um den Landkreis verlassen zu dürfen, mussten sie Anträge stellen. Bürokratische Hürden und Einschränkungen definierten ihren Alltag öffentlich wie auch privat. Die persönliche Entscheidung über die Ernährung oder die freie Mobilität innerhalb des Landes, welche für so viele Menschen eine Selbstverständlichkeit bedeutet, war damals nicht gegeben und soll auch heute wieder nicht gestattet sein. Leitartikel Meinung

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