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Flüchtlingspolitik

Merkel gegen Abschottung, de Maizière dafür

Angesichts steigender Asylbewerberzahlen geht die Flüchtlingsdebatte weiter. Während Bundeskanzlerin Merkel sich gegen Abschottung ausspricht, fordert Bundesinnenminister de Maizière bessere Grenzsicherung.

Freitag, 09.10.2015, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 11.10.2015, 23:26 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Die Zahl der Asylsuchenden hat einen neuen Höchststand erreicht. Bundesweit wurden im September knapp 164.000 Männer, Frauen und Kinder neu registriert. Das waren fast 60.000 mehr als im August, wie das Bundesinnenministerium am Mittwochnachmittag in Berlin mitteilte.

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Am Morgen hatte die Bundesregierung beschlossen, politische Entscheidungen in Flüchtlingsfragen künftig direkt im Bundeskanzleramt zu bündeln und Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) die Koordination zu übertragen. Nach der Kabinettssitzung reiste Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach Straßburg, wo sie zusammen mit dem französischen Präsidenten François Hollande im Europaparlament auftrat, um für europäische Geschlossenheit in der Flüchtlingskrise zu werben.

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Merkel gegen Abschottung, de Maizière dafür

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Merkel rief die anderen Staaten eindringlich zur Hilfe für Flüchtlinge auf: „Abschottung und Abriegelung im Zeitalter des Internets sind eine Illusion“, sagte sie und fügte hinzu: „Selbst wenn wir versuchen würden uns vollständig abzuschotten, sogar bewusst um den Preis, dass Menschen an unseren Grenzen zu Schaden kommen könnten, wäre damit niemandem gedient.“

Bundesinnenminister Thomas de Maizière indes fordert eine bessere Absicherung der EU-Außengrenzen und konsequentere Abschiebungen. „Ein Europa ohne gesicherte Außengrenzen wird weiter ein Europa voller interner Grenzkontrollen sein“, sagte de Maizière zum Auftakt eines Treffens mit seinen 27 Amtskollegen am Donnerstag in Luxemburg. „Das wollen wir nicht.“ De Maizière kündigte an, dass die EU-Grenzagentur Frontex gestärkt werde, um die Nationalstaaten beim Grenzschutz mehr zu unterstützen. „Deutschland wird einen Beitrag dazu leisten.“

Merkel und Hollande für Ursachenbekämpfung

Merkel wie Hollande wiederum forderten ein entschlossenes Vorgehen zur Bekämpfung von Fluchtursachen in den Herkunftsregionen der Flüchtlinge. Merkel sagte, wenn die Zahl der Flüchtlinge geordnet und eingedämmt werden solle, führe kein Weg daran vorbei, dort anzuknüpfen, wo Flucht verursacht wird.

Merkel hatte im September entschieden, in Ungarn gestrandete Flüchtlinge ungehindert nach Deutschland einreisen zu lassen. Infolgedessen stieg die Zahl der neuankommenden Asylsuchenden deutlich. Mehr als die Hälfte der im September eingereisten Flüchtlinge stammt aus Syrien (rund 85.500). Weitere gut 19.000 kamen aus dem Irak, mehr als 18.000 aus Afghanistan. Zugänge aus Balkanstaaten gingen deutlich zurück: Knapp 6.000 Asylsuchende kamen aus Albanien.

Zahlen unverlässlich

Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gingen im September demgegenüber gerade einmal 43.071 Asylanträge ein. Durch den Flüchtlingsandrang und die frühe Verteilung Asylsuchender in die Kommunen vergeht immer mehr Zeit zwischen der Registrierung und dem Stellen eines Asylantrags.

Weil die Zahlen des Bundesamts daher kaum mehr den tatsächlichen Zugang von Flüchtlingen widerspiegeln, operiert die Bundesregierung verstärkt mit den Zahlen aus dem Registrierungssystem der Länder. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) wies aber wiederholt darauf hin, dass dieses System mit dem Namen Easy Doppelregistrierungen nicht ausschließe. Andere angekommene Flüchtlinge seien unter Umständen gar nicht erfasst, weil sie in andere EU-Länder weiterreisen wollten.

Auf den Zahlen des Easy-Systems fußt auch die Prognose der Bundesregierung, wonach bis Ende des Jahres rund 800.000 Menschen nach Deutschland kommen. Bis Ende September waren es nach den aktuellen Zahlen 577.000. Das Bundesinnenministerium sieht auch nach dem Anstieg derzeit keinen Anlass, die Prognose zu korrigieren. Zur Begründung hieß es unter anderem, dass der Flüchtlingsandrang zum Winter erfahrungsgemäß nachlasse.

Bayern erwägt Zurückweisung an der Grenze

Derweil erwägt Bayern, Flüchtlinge an der deutsch-österreichischen Grenze zurückzuweisen. „Sollte unser Nachbarland Österreich weiterhin das europäische Recht missachten, muss auch Deutschland prüfen, ob es Flüchtlinge nicht unmittelbar an der österreichischen Grenze zurückweist“, sagte der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) der Süddeutschen Zeitung. In Österreich seien die Flüchtlinge bereits sicher.

Vorrangig sieht der Minister Italien und Griechenland in der Pflicht: „Wir werden den Zuzug nur in den Griff bekommen, wenn die Außengrenzen des Schengen-Raums endlich wieder gesichert werden, also vor allem in Griechenland und Italien“, sagte Herrmann. Die beiden Länder müssten dabei massiv durch die EU-Organisation Frontex unterstützt werden. „Es ist absolut inakzeptabel, dass sich Tausende Menschen völlig unkontrolliert durch den Schengen-Raum bewegen“, unterstrich der Innenminister.

Diakonie warnt vor „Boot ist voll“-Debatte

Unterdessen kritisiert Diakonie-Präsident Ulrich Lilie die Diskussion um eine Begrenzung der Zahl der Flüchtlinge kritisiert. „Eine Debatte nach der Parole ‚Das Boot ist voll‘ bedient die Stammtische und verunsichert“, sagte Lilie am Mittwoch in Berlin. Eine Begrenzung der Zahl der Menschen, die in Deutschland Schutz suchen, gehe nur mit Gewalt. Damit würde man die universelle Geltung der Menschenrechte in Europa relativieren.

„In diesen Tagen sollten wir die vielen Engagierten in den Willkommensinitiativen stärken und mit vereinter Kraft, Gottvertrauen und langem Atem die anstehenden Aufgaben bewältigen“, ergänzte Lilie. Deutschland sei ein wohlhabendes Land, das ausreichende Ressourcen für die Aufnahme in dieser Notsituation habe.

Kanzleramt hat übernommen

Das vom Kabinett beschlossene neue Konzept in der Flüchtlingspolitik überträgt Kanzleramtschef Altmaier zwar die politische Gesamtkoordination, das Bundesinnenministerium soll aber weiter die Fäden bei operativen Entscheidungen in der Hand halten. Vize-Regierungssprecher Georg Streiter widersprach am Mittwoch der Vermutung, Innenminister de Maizière würden Aufgaben entzogen. Es gehe darum, die Last auf mehrere Schultern zu verteilen, sagte Streiter.

Das Konzept sieht vor, dass das Innenministerium an der Spitze eines Lenkungsausschusses steht, in dem alle mit Fragen der Flüchtlingshilfe befassten Ressorts vertreten sind. Darunter sind unter anderem das Finanz-, das Arbeits- und das Bauministerium sowie das Auswärtige Amt und das Entwicklungsministerium. (epd/mig) Aktuell Politik

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