Buchkritik zum Wochenende
Unzulässige Kulturalisierung sozialer Fragen
Besorgniserregend ist die Diskussion um ein neu erschienenes Buch einer Bochumer Polizistin. Darin subsumiert die Polizistin Menschen unter Kollektivmerkmale und meint, ihr Verhalten sei eine Folge ihrer Religionszugehörigkeit. Von Çiğdem Deniz Sert
Von Çigdem Deniz Sert Freitag, 30.10.2015, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 01.11.2015, 12:54 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Die Bochumer Polizistin Tania Kambouri kurbelt mit ihrem jüngst erschienenen Buch „Deutschland im Blaulicht. Notruf einer Polizistin“ eine unsägliche Diskussion – vor allem im Ruhrgebiet. Die Polizistin subsumiert Menschen unter Kollektivmerkmale und impliziert, deren Verhalten sei eine deterministische Folge ihrer vermeintlich religiösen Zugehörigkeit. Das ist durchaus bedenklich und empörend.
Dies gilt vor allem jenen, die dieses Buch zum Anlass nehmen „endlich auch mal das zu sagen, was Realität ist.“ Und die dabei den Kritikern in grenzwertigen Leserbriefen vorwerfen, sie würden auf ihren „Gebetsteppichen“ in unrealistischen Sphären schweben. Es seien nun mal eben diese Migranten und Muslime, die dafür sorgen, dass sich die Polizistin und viele andere gemeinsam mit ihr „in ihrem Land fremd fühlen.“
In ihrem Land? Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit muslimischem Glauben, Menschen, die sozioökonomisch benachteiligt sind, Obdachlose, Arbeitslose, Atheisten – all diese Menschen leben auch in ihrem Land Deutschland.
„Der Rassismus übersieht und leugnet, dass der Mensch zwar über bestimmte erblich erworbene Anlagen verfügt, die aber immer in der politischen, sozialen und ökonomischen Umwelt geformt werden.“ Quelle: bpb
Dass niemand den Vorwurf des Rassismus auf sich sitzen lassen möchte, ist verständlich. Das Problem ist aber, dass Rassismus keine Frage von Absichten ist oder sich auf den Willen des Einzelnen beschränkt, sondern anhand objektiver Kriterien festzustellen ist.
Wenn eine Polizistin pauschal von den „straffälligen Migranten“ spricht oder „die ausländischen Bürger“, die sie angeblich nicht respektieren, dann ist dies ein ziemlich gefährlicher und undifferenzierter Umgang mit der Realität in der Migrationsgesellschaft. Hierbei ist völlig unerheblich, ob und falls ja, was sich eine Polizistin bei solchen Aussagen denkt. Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob sich dahinter eine von der Polizistin bewusst wahrgenommene rassistische Haltung befindet. Die Gefahrenanalyse der Polizistin bezieht sich nämlich pauschal auf „Muslime“.
Sie beklagt die „Überzahl an straffälligen Migranten“ und beschwert sich darüber, „sich im eigenen Lande fremd zu fühlen“. Wenn diese Terminologie als der naive, gut gemeinte Erfahrungsbericht einer Polizistin dargestellt wird, dann kann man wohl davon sprechen, dass der Rassismus inzwischen Normalität darstellt. Persönliche Erfahrungen legitimieren keine Sichtweisen, die den Rassismus in unserer Gesellschaft fördern.
Das Problem des Buches ist nicht nur die fehlende Analyse der Behauptungen – Überzahl an straffälligen Migranten? – sondern auch das Zuschreiben von rechtswidrigem, respektlosem und frauenfeindlichem Verhalten einzelner Menschen einem vermeintlichen Kollektiv, das sich unter die Gemeinschaft der „Muslime“ subsumieren lässt.
Fälle von Respektlosigkeit bis hin zu Gewalt gegenüber Polizeibeamten hört man auch von Mitgliedern rechter Szenen. So gab es im vergangenen Jahr gewalttätige Ausschreitungen durch rechte Hooligans gegen u.a. Polizeibeamte. Bei diesen Ereignissen ist richtigerweise niemand auf die Idee gekommen, dieses Verhalten zu kulturalisieren, unter ein Kollektiv (christlich-deutsch) zu subsumieren und dann ein Bild des gewalttätigen christlichen Deutschen zu etablieren. Auch die Gewalttaten des NSU wurden zu keinem Zeitpunkt einem religiösen oder nationalen Kollektiv zugeschrieben. Keiner der mutmaßlichen Täter wurde im Zusammenhang mit seiner religiösen Zugehörigkeit erwähnt. Es waren eben diese Einzeltäter. Kein Mitglied der christlich – deutschen Gesellschaft musste sich mit den Mitgliedern des NSU über askriptive Kollektivmerkmale identifizieren.
Wenn ein Flüchtlingsheim angezündet wird, erfährt man von den Tätern nur, ob sie der rechten Szene angehören oder nicht – wenn überhaupt. Keineswegs ist es aber der stereotypisierte Deutsche, der zugleich Angehöriger christlichen Glaubens ist. Nein, es ist der Einzeltäter mit einer bestimmten politischen Gesinnung.
Wird nun ein Jugendlicher mit Migrationshintergrund straffällig, ist er eben Migrant muslimischen Glaubens; sein Sozialverhalten wird zudem kulturalisiert und ethnisiert. Der „auffällige, straffällige und frauenfeindliche Migrant“ ist kein Individuum, sondern Teil eines Kollektivs und wird immer und ausnahmslos im migrationspolitischen Diskurs als Vertreter eines Kollektivs, zu dem etliche andere Menschen gehören, erwähnt. Er ist eben so, weil er eben Migrant und allen voran Muslim ist.
Solche Sichtweisen werden von Balibar als „Rassismus ohne Rasse“ bezeichnet. Längst geschieht der Rassismus über Kultur und Religion. Aber genau das ist eben Rassismus – der Rassismus im neuen Gewand.
Und ja, es gibt sie. Diese Stadtteile in den Ruhrgebietsstädten, die geprägt sind von Armut. Und dass diese überwiegend von Menschen bewohnt werden, die eben eine Zuwanderungsgeschichte haben, ist keine Frage ihrer Kultur oder Religion, sondern eine Soziale. Wird nun genau diese Realität verzerrt und werden all diese sozioökonomischen Probleme ethnisiert, begibt man sich – ob man will oder nicht – in eine Debatte, der Rassismus zugrunde liegt.
Aktuell warnen Politiker vor geistiger Brandstiftung. Sie warnen davor, dass sich rassistische Ressentiments gegen Zugewanderte und Flüchtlinge in Gewalttaten umwandeln. Um so achtsamer muss man demnach sein, ehe man Stoff für rassistische Diskussionen liefert und den Nährboden dafür bereitet. Um so mehr muss das doch für eine Polizistin gelten. Aktuell Rezension
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Zu „Wenn ein Flüchtlingsheim angezündet wird, erfährt man von den Tätern nur, ob sie der rechten Szene angehören oder nicht – wenn überhaupt. Keineswegs ist es aber der stereotypisierte Deutsche, der zugleich Angehöriger christlichen Glaubens ist. Nein, es ist der Einzeltäter mit einer bestimmten politischen Gesinnung.“:
Dem Autor kommt anscheinend nicht der Gedanke, dass dies deswegen nicht geschieht, weil Religion in Mitteleuropa keine Rolle mehr spielt, besonders nicht im Alltagsleben.
Und empörend ist, dass der Autor empörend findet, was eine einfache Polizisten beschreibt. Denn letztlich käme das einem Schreibverbot für Nicht-Politologen/-Soziologen gleich. Ausdrücke wie „die Muslime“ werden von dieser Polizisten wohl nur so verwendet wie im Alltagsgebrauch üblich – als Abkürzungen beim Sprechakt – weil ansonsten kein Alltagsgespräch zustande käme. Jeder vernünftige Mensch, ich bin sicher, auch diese Polizistin, weiß, dass mit „alle Muslime“, „die Jugendlichen“, „die Ausländer“ nur ein größerer Teil der jeweiligen Menschengruppe gemeint sein kann, von der gerade spezifisch die Rede ist (also: ein größerer Teil von Muslimen in dem Stadtteil, in dem ich als Polizistin meinen Dienst versehe). Dass man wissenschaftlichen Publikationen anders vorgehen muss, ist klar; darf aber nicht zu einem Schreibverbot für Nicht-WissenschaftlerInnen führen.
Der Schwachsinn, den hier einige Leute von sich geben ist wirklich zum fremdschämen. Der einzige lesenswert Kommentar ist der von Katrin McIntosh.
Zwei Sachen stoßen mir bei der Art und Weise, wie Frau Tania Kambouri ihr Anliegen darstellt, negativ auf.
1. Sie erschlägt sich selbst mit der Nazi-Keule.
Niemand hat etwas dagegen, wenn man sachlich-fundiert und objektiv die Ursachen von Gewaltbereitschaft bei muslimisch geprägten Jugendlichen benennt. Sofern Frau Kambouri nicht nur ihre subjektive Gefühlslage schildert, sondern auch objektive Fakten liefert und die von ihr festgestellen Befunde mit anderen bzw. ähnlichen Problemen, z. B. der Gewaltbereitschaft von Hooligans, Links- und Rechtsextremen, vergleicht, wird da niemand etwas gegen haben. Natürlich wird es Spezifika geben, die man bei vergleichbaren gewaltbereiten Bevölkerungsgruppen nicht finden wird. Sich jedoch selbst mit der Nazi-Keule zu erschlagen, verhindert jede Art von kritischer Auseinandersetzung mit dem Gesagten, da man seine Kritiker gleich unter den Pauschalverdacht stellt, einen doch nur als Nazi brandmarken zu wollen.
2. Sie stellt sich selbst als Positivbeispiel einer gelungenen Integration dar.
Auch dieser Aspekt ist völlig irrelevant, wenn man lediglich das Problem beschreiben möchte und Lösungswege aufzeigen will. Genau genommen spielt bei solch einem Anliegen die Ethnie des Verfassers oder der Verfasserin überhaupt keine Rolle. Dieses Buch hätte selbstverständlich auch von einer „urdeutschen“ Polizistin kommen können. Oder von einer türkischstämmigen. Und wenn man von Positivbeispielen sprechen möchte, dann sollte man diese aus dem Kreis der türkischstämmigen Menschen holen und sich nicht selbst als Griechin, Polin, Französin etc. ins Spiel bringen. Griechischstämmige Menschen haben in Deutschland trotz Euro-Krise nunmal ein weitaus beresses Image als türkischstämmige Menschen, ebenso sind ihre kulturellen Hintergründe andere. Es fängt allein schon mit der Religion an, denn Griechen sind in der Regel keine Muslime. Frau Tambouri hatte ganz andere Startbedingungen – falls sie überhaupt von „Urdeutschen“ ad hoc als Griechin identifiziert wird.
Und dann würde mich brennend interessieren, worin die spezifischen Unterschiede in der Gewaltbereitschaft von Linksautonomen, die sich beispielsweise in Hamburg regelmäßig im Schanzenviertel mit der Polizei prügeln, von Fußball-Hooligans, die beispielsweise in der Saison 2012/2013 allein für vier Risiko-Spiele 60 % der Jahresarbeitszeit der Bremern Polizei gebunden haben, und Rechtsextremen, die sich beispielsweise in Heidenau mit der Polizei geprügelt haben, bestehen? Diese Unterschiede mag und wird es sicherlich geben, aber ich befürchte, sie werden bei weitem nicht so groß sein, wie manche uns das glauben machen wollen.
Und dann würde mich noch interessieren, wie Frau Kambouri zu den gewaltsamen Protesten der Griechen während der Euro-Krise steht, wo die Polizei mit Steinen und Brandsätzen beworfen wurde und es zu nicht unerheblichen Sachbesschädigungen kam.
Nicht noch so ein Buch.. Bereits schon Spiegel-Bestseller, neben Ratzinger und Sarrazin?. Wie lange noch wollen die Leute, die so ein Buch kaufen und sich als mutige Widersacher der political correctness begreifen, leugnen, dass im Wesentlichen soziale Benachteiligung, sprich Ausgrenzung, Diskriminierung, systematischer Rassismus, solcherlei dramatische Zustände in einigen Vierteln Deutschlands hervorruft.. Man wird ja mal die Wahrheit sagen dürfen… Da soll man/frau verstehen, warum Flüchtlingsheime in Deutschland brennen und Schwarze und Inder und Obdachlose in deutschen Großstädten gejagt werden.. Nicht erstaunlich auch, dass diese Staatsbeamtin die Heldin einer bestimmten Szene ist seit Jahren..