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Mathematik © eriwst @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Nuhr nicht rechnen!

Wie Kabarettist Dieter Nuhr Nationalsozialismus und Islam gleichsetzt

In seinem Jahresrückblick zieht Kabarettist Dieter Nuhr einen Vergleich zwischen dem Nationalsozialismus und dem Islam. Um ihn zu begründen, bedient sich Nuhr der mathematischen Mengenlehre. Dabei stimmen weder Ergebnis noch Rechenweg. Von Tim Gerber.

Von Montag, 11.01.2016, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 11.01.2016, 21:54 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Ein klein bisschen hat er ja dazu gelernt, der ARD-Kabarettist Dieter Nuhr („Nuhr im Ersten“), wenn es um seine Witzchen über den Islam geht, oder was er davon zu verstehen glaubt. Vielleicht hat er es auch lernen müssen, weil seine Arbeitgeber, die ARD, es von ihm verlangt haben. Jedenfalls betont Nuhr seit geraumer Zeit in jeder seiner Sendung brav und sehr beflissen, dass die meisten Muslime rechtschaffene Menschen seien wie Du und ich. Als ob irgendjemand, der alle Beisammen hat, das bezweifeln würde. Bei Nuhr darf man daran allerdings schon deshalb zweifeln, weil er mit dieser gebetsmühlenhaft heruntergeleierten frohe Botschaft stets sein notorisches Lieblingsthema einleitet: den „islamistischen Terror“ und die seiner Meinung nach unleugbare Verbindung der Attentate zur Religion der Muslime. Soweit nichts Neues.

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Wenn der Komiker in seinem Jahresrückblick „Nuhr 2015″ nun aber sogar den Holocaust der Deutschen an den Juden dafür bemüht, um die seiner Meinung nach bestehende Verbindung von Islam und Terrorismus verdeutlichen zu wollen, dann hat das allerdings eine bislang nicht gekannte Qualität. Konkret hört sich das so an:

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„Das ganze Jahr über wird im Namen des Islam gemordet, dann hat es wohl auch etwas mit dem Islam zu tun. Und ich bin Deutscher. Ich habe mich mein Leben lang damit befassen müssen, was im Deutschen Namen passiert ist. Und das war richtig und gut so. Deutsche haben die Welt in Schutt und Asche gelegt, das geht auch mich etwas an, weil ich Deutscher bin. Und da werden sich auch die Muslime damit beschäftigen müssen, was in ihrem Namen passiert. Gleichzeitig dürfen Muslime erwarten, nicht als Täter behandelt zu werden. Die Attentäter waren Muslime, aber das heißt noch lange nicht: Muslime sind Attentäter.

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So wie unsere Nazis hier Deutsche sind, aber nicht: Die Deutschen sind Nazis. Das eine ist die Teilmenge des anderen. Das ist Mathematik, Mengenlehre. Für einige schon sehr schwierig.“

Offenbar auch für Nuhr. Mengenlehre erschöpft sich nämlich nicht darin festzustellen, dass eine Menge eine Teilmenge der anderen ist. Also schauen wir uns doch mal die konkreten Größenverhältnisse der jeweiligen Teil- und Gesamtmengen an: Die Zahl der Muslime beträgt weltweit 1,6 Milliarden Menschen (alle Zahlen aus Wikipedia). Wie viele Attentäter gibt es darunter, die sich selbst als Muslime bezeichnen? Wir kennen sie ja alle ganz genau, wo sie gewohnt haben, mit wem sie verwand und befreundet waren.

Hitler und seine Leute waren keine irrlichternden Einzeltäter im Namen der Deutschen. Sie wurden von Millionen Deutschen unterstützt, gewählt. Dazu ein paar Zahlen, wegen der Mathematik: Zur Zeit der Weimarer Republik gab es geschätzt etwa 70 Millionen Deutsche, etwa 40 Millionen dürften wahlberechtigt gewesen sein. Ein Drittel von ihnen hat 1932 die NSDAP gewählt, im März 1933 waren es knapp 44 Prozent. Die Partei Hitlers zählte im Mai 1943 etwa 7,7 Millionen Mitglieder, grob geschätzt war also jeder vierte Deutsche über 18 ein Nazi mit Parteibuch. Wenn ein nur annähernd so großer Teil der Muslime Terroristen wären oder auch nur mit dem Terrorismus sympathisierte, na dann gute Nacht du schönes Abendland.

Ich weiß jetzt nicht so genau, Herr Nuhr, wann sich die Dshihadisten mit ihrem Programm vom Terror gegen den Westen den 1,6 Milliarden Muslimen zur Wahl gestellt haben und wie viel Zustimmung sie gefunden haben. Ich habe allerdings meine Zweifel, dass sie dort auf eine solche Begeisterung stoßen, wie sie der Plan von der Endlösung und vom totalen Krieg seinerzeit bei den Deutschen fand. Man konnte das ja alles nachlesen in der in Deutschland millionenfach verkauften Schwarte „Mein Kampf“. Die meisten Deutschen sind ihrer „Erweckungsbewegung“ übrigens beigetreten als man die Reichspogromnacht schon erlebt hatte. Wie viele Deutsche im ganzen Land haben sich daran beteiligt, haben gejubelt, als unter ihren Augen ihre jüdischen Nachbarn abtransportiert wurden, und sich an ihrem Hab und Gut bereichert? Ich wüsste nicht, dass das bei den Muslimen so wäre, dass es dort eine solche „Sammlungsbewegung“ zum gemeinschaftlichen Begehen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit je gegeben hätte. Und die wenigen Aufrechten im Dritten Reich mussten Denunziationen von ihren „Volksgenossen“ fürchten. Welcher Muslim denunziert seinen Nachbarn, weil der vielleicht zu Hause christliche Kirchenmusik hört? Und bei wem?

Kennen Sie Muslime, in deren Familien und unter deren Vorfahren sich Terroristen finden? Es wäre ein Zufall. Kein Zufall wäre das hingegen in deutschen Familien, denn unter denen gibt es das in jeder zweiten. Und erst nachdem sie fast alle gestorben sind, haben wir Deutsche „unsere Mütter, unserer Väter“ nach ihrer Mitschuld an den Verbrechen der Deutschen gefragt. Die strafrechtliche Aufarbeitung der massenhaften Verbrechen ist bis heute ein Schandfleck in der Geschichte des Nachkriegsdeutschlands Ost wie West. Und da verlangt einer im deutschen Farbfernsehen mit Verweis auf die Scham der anständigeren Deutschen – bei weitem nicht aller — von den Muslimen in unserem Land, sie sollten sich mit den Verbrechen einer Hand voll Terroristen ebenso schamhaft und schuldbewusst auseinandersetzen, wie wir es hin und wieder mit den massenhaften Verbrechen unserer Väter und Mütter, Großeltern, Onkels und Tanten tun? Weil es mit ihrer Religion zu tun haben soll? Und zwar was genau?

Das Ergebnis der Auseinandersetzung der Deutschen mit dem Nationalsozialismus war konsequenter Weise die Abkehr von der „völkischen Idee“ einschließlich der Ausrottung anderer Völker. Welche Idee vom Terrorismus aber wohnt denn dem Islam inne, von der sich die Muslime abwenden könnten? Das ist das Problem: Während die Ideologie der Nazis die Vernichtung anderer Völker vorsieht, ist der Islam eine friedliche Religion wie das Christentum – das übrigens auch nicht gefeit davor ist, dass Irre in seinem Namen töten.

Man darf Äpfel ja durchaus mit Birnen vergleichen – um an dieser Stelle mal mit einem landläufigen Irrtum aufzuräumen. Aber wer dabei zu dem Ergebnis kommt, dass beide Früchte dieselbe Form und denselben Geschmack hätten, wer also Ungleiches gleich setzt wie Nuhr den Nationalsozialismus mit dem Islam gleichsetzt, der hat einen an der Waffel.

Deshalb ist Nuhr für mich wegen dieses Vergleichs auch ein islamophobistischer Fernsehterrorist und wir können uns auch mal lustig darüber unterhalten, wie viel Mitschuld der gewöhnliche deutsche Fernsehzuschauer an dieser Form von Berieselungsgewalt und ihren Opfern, meinen muslimischen Nachbarn, trägt.

Wie gesagt, Nuhr hat dazu gelernt. Aber nicht etwa, dass man seine Islamophobie nicht mit Mitteln des Kabaretts verbreiten sollte – und auch nicht mit anderen Mitteln –, sondern besser diskret bei einem verschwiegene Therapeuten kuriert. Nein, er hat vielmehr gelernt, wie er die Verbreitung dieser Angststörung, an der er wie zehntausende AfD-Anhänger und Pegida-Demonstranten zu leiden scheint, salonfähig machen kann und sendefähig für die ARD.

Geistesgestörte Verbrecher berufen sich sehr häufig auf irgendetwas, von dem sie irgendwie mal gehört haben. Das haben sie übrigens mit Berufsquasslern wie Nuhr gemeinsam. Und wenn man mir jetzt vorwerfen will, diesen begrenzt komischen Vogel mit Terroristen gleich zu setzen: Äpfel und Birnen gehören auch beide zur Sorte der Kernobstgewächse. Mehr soll dazu nicht gesagt werden.

Ich will auch nicht missverstanden werden: Ich bin froh und dankbar, dass in diesem Land jeder Clown straffrei seinen Unsinn verbreiten darf. Soll er nuhr weiterquasseln und behaupten, dass Birnen rund sind und dass man sich auf die Mengenlehre berufen kann, ohne die gegebenen Größenverhältnisse zu beachten. Für 2016 hätte ich nuhr einen Vorschlag: Rechnen lernen oder einfach mal Klappe halten! Aktuell Meinung

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  1. Matthias sagt:

    @Magistrat
    Unsere Westliche Lebensweise ist also im Orient beheimatet… Das ist doch kein Problem und kein Widerspruch zu bisherigen Aussagen. Deswegen ist das kulturelle Erbe ja nicht schlechter oder besser.

    Der islamistische Terrorismus (wohlbemerkt: nicht der orientalische Terrorismus) ist aber ein Phänomen der vergangenen 40 bis 50 Jahre. Und da kann ich den Zusammenhang zum kulturellen Erbe nicht herstellen. EX ORIENTE PAX wäre mir momentan am Liebsten.

    Und Cengiz, Ausbeutung ist kein Phänomen europäischer Staaten. Das höchste BIP pro Kopf finden Sie in Katar. Auch Brunei als Schariaorientierter Staat ist in den Top 5. Saudi-Arabien hat auf 23 Mio. Staatsbürger immerhin 20 Milliardäre, im Libanon sind es 19 bei weniger als 6 Millionen Einwohnern. Wenn Sie sich jetzt mal die Ausbeutung in Saudi-Arabien und in Katar, Oman, etc. angucken, fällt es schwer, Ausbeutung als rein westliches Problem darzustellen.

  2. Türkin mit Zuckerpeitsche sagt:

    Nuhr macht Satire. Satire ist Kunst. Satire ist Karikatur der Sprache.
    Und Schluss mit allen Religion und erst Recht die, die 1400 Jahre alte undeutbare Sprache wortwörtlich nehmen wollen oder gar versuchen.

  3. Cengiz K sagt:

    … Er reizt zumindest manche zum Denken und diskutieren….

    Das ist Ihre Meinung. Noe, das tut er eben nicht. Beim Kabarett ist in den allermeisten Faellen auf der Buehne ein Unterhalter, und unten in den Zuschauerraengen sitzen die Konsumenten, und ergehen sich im oft angetrunkenen Zustand einem Gefuehl einer kulturellen Veranstaltung bei zu wohnen. Wie es kommt, dass besonders dieser Komoediant eine deutschlandweit ausgestrahlte Buehne erhaelt, laesst sich womoeglich senderratspolitisch, als auch nachfragetechnisch belegen.

    Warum weiterhin das Bruttoinlandsprodukt zusammen mit den hoechsten Vermoegenden allein als Faktor fuer ein ‚Ausbeutungsphaenomen‘ steht, und seit wann isolierte wirtschaftliche Indikatoren als Beweise fuer Ausbeutung angefuehrt werden, das bleibt auch Ihr Geheimnis, da sie sonst nichts zu ihren Zahlen geschrieben haben. Aber ein netter Exkurs allemal. Mehr davon bitte, lassen Sie mich an Ihrem Wissen teil haben.

    Wenn Sie meinen vorherigen Beitrag nicht fokussiert gelesen haben sollten, und darauf antworteten, so ist es muessig mit Ihnen zu diskutieren, und man/frau kann konzedieren, dass Nuhr und mit ihm zusammen die gesamte zivilprogressive Errungenschaft der, nennen wir sie mal ‚Satire‘, auf voller Laenge und Breite symbolisch versagt haben! Meinen Sie nicht auch?

  4. Cengiz K sagt:

    …Satire ist Karikatur der Sprache….

    Das ist Ihr Kommentar auch, also sind Sie ein Satiriker auf Mission?

  5. Magistrat sagt:

    Echte Satiriker und Künstler legen sich mit dem „establishment“, mit den Mächtigen an. So tat es Voltaire, so tut es heute bspw Hagen Rether, oder die Anstalt. Was Nuhr Nacht ist billiger Populismus. Er kann das ja als CSU Politiker machen. Aber unter dem Deckmantel der Kunstfreiheit Ressentiments schüren, das is schon feige.

  6. Magistrat sagt:

    Ja Matthias, auch ich und wahrscheinlich alle Muslime wünschen sich ex oriente pax. Aber das wird leider eine Wunschvorstellung sein solange ex occidens armae (Waffen) et bellum geriert werden. Friede wird es erst geben, wenn die Nato endlich mit ihren römischen Befriedungen im Mittleren Osten aufhört. Es braucht schon zwei Hände zum klatschen.

  7. Frieda sagt:

    @Magistrat
    „Echte Satiriker und Künstler legen sich mit dem „establishment“, mit den Mächtigen an.“

    Jaja…blabla… Hauptsache man redet jetzt über Satiriker und nicht über die Defizite im Islam. ;) Wir haben es so langsam verstanden…

    „Friede wird es erst geben, wenn die Nato endlich mit ihren römischen Befriedungen im Mittleren Osten aufhört“

    Es gab nie Frieden im westlichen Sinne im mittleren Osten und es wird mit Ihrer antiwestlichen Einstellung auch nie Frieden geben, NATO hin oder her.

  8. Magistrat sagt:

    Blabla ist kein Argument. Und „Frieden im westlichen Sinne“ ist anscheinend Krieg im Osten. Aber gut, liebe Frieda, was Sie von sich geben – DAS ist Realsatire!

  9. Kindskopf sagt:

    Ich stelle die Redlichkeit des Autors wesentlich in Frage. Redlich wäre es gewesen, seriöse von nicht seriöser Islamkritik zu unterscheiden und anhand von Beispielen seriöser Islamkritik einen Maßstab zu schaffen, an dem man Nuhr als unseriöse Islamkritik hätte ausweisen können. Seriöse I-Kritik kann es nicht geben? Nun dann zurück ins gelebte Christentum des Mittelalters und ein dreifacher Fluch auf jeden, der es wagt, das Christentum zu kritisieren, denn damit beleidigt er doch alle Christen? Dumm, dümmer, Gutmensch.

    P.S. das Neue Testament ist bereits eine Kritik des Alten. Wir sind da weiter.

  10. Kindskopf sagt:

    @Magistrat
    „Echte Satiriker legen sich mit dem Establishment an“. So wie Theo van Gogh? Heute schwimmt man gegen den Strom einer Stasi2.0-Abteilung, des Regierungshandelns und des mainstream der Medien und bekommt obendrein Morddrohungen, wenn man

    a) Islamkritiker diffamiert oder
    b) Islamkritik übt?

    Beschäftigen Sie sich mit dem Werk von Bassam Tibi, mit den Untersuchungen von Ruud Koopmans und vor allem…..kommen sie grad mal runter..