Sabine Schiffer
Gefahr in den sozialen Netzwerken wird unterschätzt
Medienexpertin Sabine Schiffer berichtete über einen Hass-Post auf Facebook und muss sich nun gegen den Vorwurf der Rufschädigung wehren. MiGAZIN sprach mit ihr über ihren kuriosen Fall, über die Medien-Inkompetenz in weiten Teilen der Justiz und die Gefahren in den sozialen Netzwerken.
Mittwoch, 27.01.2016, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 27.01.2016, 21:47 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
MiGAZIN: Frau Schiffer, am Donnerstag findet vor dem Landgericht in Saarbrücken eine Gerichtsverhandlung statt wegen einem Artikel von Ihnen auf dem Nachrichtenportal DTJ-Online. Was genau ist da passiert?
Sabine Schiffer: Nun, ich berichtete im Juli 2014 über Hasspostings auf Facebook. Unter einem Hetzkommentar von Akif Pirinçci gegen eine Sexualforscherin der Uni Kassel posteten einige User schlimme Polemik – vielfach unter Klarnamen. Und eine Morddrohung war auch darunter. Darin wurde nahegelegt, der Professorin eine Kugel in den Kopf zu jagen.
Dr. Sabine Schiffer arbeitet seit Anfang der 1990er Jahre als Medienpädagogin und promovierte zur Islamdarstellung in den Medien. 2005 gründete sie das freie Institut für Medienverantwortung (IMV) und leitet es seither. Das IMV fordert mehr Verantwortung von Produzenten- und Nutzerseite.
Ein gutes halbes Jahr später verklagte mich der Drohende wegen Rufschädigung und strengte gegen das DTJ ein Zivilverfahren an. Letzteres wird am 28.1.2016 in Saarbrücken in öffentlicher Sitzung stattfinden. Zivilrechtliche Ansprüche müssen in jedem Fall geprüft werden. Warum jedoch die Staatsanwaltschaft Berlin die Strafverfolgung gegen mich aufrechterhält, ist ein Rätsel. Der Kläger behauptet, sein Facebook-Account sei gehackt und später gelöscht worden. Er selbst habe also gar nicht gepostet. Bisher konnte er aber keinen Beweis für seine Behauptungen beibringen.
Warum zweifeln Sie?
Sabine Schiffer: Wir haben genug gesicherte Belege, die beweisen, dass unter dem Namen des Klägers vor und nach dem behaupteten Hack Einträge von gleicher Qualität gepostet wurden. Und dann bliebe die zentrale Frage: Wer hat den Facebook-Account gelöscht? Er selbst kann es ja nicht mehr gewesen sein und der angebliche Hacker dürfte kein Interesse daran gehabt haben.
Wenn Facebook diese Löschung vornahm, müsste es zumindest einen Schriftwechsel geben, der belegt, dass der Kläger gegenüber dem Unternehmen glaubhaft macht, dass er der rechtmäßige Besitzer des Accounts gewesen sei. Das ist keine leichte Sache. Sonst könnte ja jeder kommen und Facebook-Accounts löschen lassen.
Im Ergebnis haben Sie also über einen Hass-Post auf Facebook berichtet und müssen sich nun selbst wehren vor Gericht. Wie bewerten Sie als Medienexpertin, dass Menschen auf sozialen Netzwerken meist folgenlos gegen geltendes Recht verstoßen können?
Sabine Schiffer: Es hat mich damals schon erstaunt, dass – obwohl auch die taz über den Fall berichtete – keine Staatsanwaltschaft tätig wurde, um die Morddrohung zu verfolgen. Nun könnte man mit der Fülle solcher Hassposts in Internetforen, Kommentarspalten und sogenannten sozialen Netzwerken argumentieren. Mir scheint, man wartet gerne auf eine konkrete Anzeige, anstatt selbst tätig zu werden, obwohl es sich um Offizialdelikte handelt. Das ist fatal und gibt vollkommen falsche Signale ab, wie wir an der zunehmenden und zunehmend enthemmten Hetze ja inzwischen sehen können.
Übrigens, die Polizei in Erlangen verfügt nicht einmal über einen Internetzugang für alle Beamten. Dies sei nur bestimmten Stellen vorbehalten, damit die Kollegen nicht surfen statt zu arbeiten – so sagte mir der Dienststellenleiter auf Rückfrage. Ehrlich gesagt, mir fällt dazu nichts mehr ein. Bei einer solchen Weltfremdheit kann auch mehr Personal nicht helfen. Und ich habe den Eindruck, da müsste man erst einmal mit Schulungen beginnen, wo Meinungsfreiheit endet und Rassismus und Hetze beginnen. Allerdings gibt es im Falle einer Morddrohung die Grenzziehungsprobleme ja nicht.
Die Hetze in den sozialen Netzwerken wird zunehmend registriert. Der Justizminister hat sich inzwischen eingeklinkt und Gespräche geführt. Facebook hat Besserung und schnellere Löschung von Hasskommentaren versprochen. Wurde die Gefahr in den sozialen Netzwerken in Deutschland unterschätzt?
Sabine Schiffer: Ja, und die Gefahr wird nach wie vor unterschätzt. Das Hetzpotenzial, das nun seine Früchte auf die Straße trägt, beschreiben wir vom Institut für Medienverantwortung ja seit Jahren und werden dafür gerne als Alarmisten gebrandmarkt.
Ich erinnere mal exemplarisch an meinen Aufsatz „Grenzenloser Hass im Internet“ von 2010 im Buch von Thorsten Gerald Schneiders „Islamfeindlichkeit“. Dort wird die „Argumentationsweise islamophober Hetzblogs“ beschrieben und der nicht selten erfüllte Straftatbestand der Volksverhetzung. Staatliche Stellen tun sich bis heute schwer, den volkverhetzenden Charakter als echtes Problem anzuerkennen.
Übrigens speisen sich diese Hetzportale aus dem, was sie in den Medien finden, um diese dann gleichzeitig als Verharmloser zu diffamieren – dieser durchschaubare Trick ist nicht neu und lebt heute bei HoGeSa und Pegida fort. Darum sorgt das „Lügenpresse“-Geschrei auch nur bei den Journalisten und Politikern für Verwunderung, die jahrelang ihren Kopf in den Sand steckten.
Ich habe übrigens Herrn Maas in einem Brief über unseren kuriosen Fall – den ich für einen Ausdruck mangelnder Medienkompetenz vonseiten der Justiz halte – in Kenntnis gesetzt, ebenso den Innensenator von Berlin. Schließlich positioniert man sich ja inzwischen öffentlich gegen das Ignorieren von strafbaren Postings im Netz. Und das gilt übrigens auch, wenn sie gelöscht wurden – denn die strafbare Handlung erlischt damit nicht: Und die erwünschte Hilfe von Facebook sollte ja nicht dazu führen, dass Beweismittel vernichtet werden.
Die Parteien AfD und NPD haben auf Facebook mehr „Fans“ als die Parteien der Großen Koalition CDU, CSU und SPD zusammen? Können diese Mehrheitsverhältnisse im Netz Politikern und Journalisten ein falsches Meinungsbild über die Gesellschaft vermitteln und sie beeinflussen?
Sabine Schiffer: Immer noch bewegen sich viele Teile der Bevölkerung nicht online. Die Kommentarspalten vieler Online-Medien werden befüllt von Menschen mit viel Freizeit – das ist nicht der Bevölkerungsdurchschnitt. Und darüber hinaus bewegen sich die Internet-User in zunehmend geschlossenen Zirkeln.
Wer die Algorithmen und das Phänomen der Filter Bubble nicht kennt, der erliegt schnell dem falschen Eindruck, man hätte es mit überdurchschnittlich vielen Menschen zu tun. Auch hier ist dringend mehr Medienkompetenz erforderlich, damit diesen Schwarmblasen nicht noch das Zeug geredet wird – wie wir es derzeit schon wieder beobachten können. Aktuell Interview
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