Unsichere Herkunftsstaaten
Noch immer hoffen Flüchtlinge vom Balkan auf ein besseres Leben
Die Einstufung der Balkanländer zu sicheren Herkunftsstaaten durch die Bundesrepublik hat die Zahl der Asylbewerber aus der Region einbrechen lassen. Doch an den Verhältnissen vor Ort hat sich nichts geändert.
Von Karsten Packeiser Donnerstag, 17.03.2016, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 22.03.2016, 17:32 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Fürs erste sind Violetta und Dragan Demirovic (Namen geändert) in einem Wohnblock am Rand der rheinland-pfälzischen Kreisstadt Alzey untergekommen. Besucher bitten die beiden in das karg eingerichtete Wohnzimmer einer Verwandten. Die beiden wirken erschöpft, Violetta ist schwanger, aber die Schwangerschaft werde kein gutes Ende nehmen, und sie bräuchte dringend medizinische Hilfe. Dennoch, versichert ihr Mann, gehe es ihnen gut. Sie und ihre Kinder hätten zu essen und keine Angst vor Verfolgung mehr – kein Vergleich mit der Roma-Siedlung am Stadtrand von Belgrad: „Ich will nie wieder nach Serbien, wenn ich nur daran denke, macht es mich krank.“
In den vergangenen Jahren war die Zahl der Asylbewerber aus der Westbalkan-Region sprunghaft angestiegen. Weil so viele Menschen kamen, wurde Serbien mit Mazedonien und Bosnien-Herzegowina bereits 2014 zum sogenannten sicheren Herkunftsstaat erklärt. Inzwischen stellen kaum noch Flüchtlinge aus der Balkan-Region Asylanträge. Im Februar wurden bundesweit gerade noch 384 Neuankömmlinge aus Serbien und zusammen weniger als 1.000 Menschen aus allen anderen Balkan-Staaten in den Erstaufnahmestellen registriert. Deren Anerkennungsquote bewegt sich im Promillebereich.
„Die Menschen kommen aber immer noch“, berichtet Aleksandar Ceh, der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft rheinland-pfälzischer Integrationsbeiräte. Statt Asyl zu beantragen, würden Flüchtlinge zunehmend als Besucher einreisen und dann einfach illegal bleiben – so wie die Roma-Familie Demirovic. Deren Geschichte ist tragisch und bezeichnend für die systematische Diskriminierung der Minderheit in Südosteuropa.
Die Eltern hatten ihren Sohn bei einem Verkehrsunfall verloren und waren dann von Bekannten des Unfallfahrers eingeschüchtert, bedroht und zusammengeschlagen worden. Als der Mann schließlich doch zu einer geringen Gefängnisstrafe verurteilt wurde, habe er noch im Gerichtssaal angekündigt, er werde ihn umbringen lassen, berichtet Dragan Demirovic. Richter und Behörden hätten dazu nicht einmal mit der Wimper gezuckt.
Die niedrige Schutzquote für Flüchtlinge aus Südosteuropa erklärt der stellvertretende „Pro Asyl“-Geschäftsführer Bernd Mesovic mit politischem Druck auf das Bundesamt für Flüchtlinge (BAMF). Andere EU-Staaten ziehen – bei wesentlich niedrigeren absoluten Zahlen – aus der systematischen Benachteiligung der Roma deutlich großzügigere Schlussfolgerungen: So erhielten in Ländern wie der Schweiz oder Italien mehr als ein Drittel aller serbischen Asylbewerber einen Schutzstatus.
Problematisch bleibt die Lage auf dem Balkan aber auch, weil die Folgen der jugoslawischen Zerfallskriege weiter den Aufbau moderner Rechtsstaaten verhindern. Fidan Tahiri (Name geändert) bekam das selbst zu spüren. Der Polizist war 1993 im Bürgerkrieg von bosnischen Kroaten in das berüchtigte Konzentrationslager „Heliodrom“ bei Mostar verschleppt und dort bestialisch misshandelt worden. Die Foltermeister zertrümmerten seinen Kiefer und zwangen ihn, beim Beseitigen der Leichen zu helfen. „Müll wegschmeißen“ sei ihr Begriff dafür gewesen, erzählt Tahiri. Den kroatischen Fahrer des Leichentransporters habe er aus dem Sportverein gekannt.
Mit Hilfe ehemaliger Polizei-Kollegen gelang ihm die Flucht über Kroatien nach Deutschland. Als er nach Kriegsende in das seither faktisch dreigeteilte Bosnien-Herzegowina zurückkehrte, musste er feststellen, dass die Verbrecher in Mostar noch immer in führenden öffentlichen Ämtern saßen. Seine Wohnung im kroatischen Stadtteil war von einem der einstigen Folterer beschlagnahmt worden, aber auch in der muslimischen Stadthälfte schlugen ihm und seiner christlichen Frau Hass entgegen: „Für Kroaten war ich Moslem, für die Muslime war ich ein Deserteur.“
Im Jahr 2015 packte er erneut die Koffer und flüchtete zum zweiten Mal nach Deutschland – in Todesangst, dass die KZ-Schergen ihn als möglichen Belastungszeugen beseitigen könnten. Jetzt wartet die vierköpfige Familie, zur Tatenlosigkeit verdammt, ob die Wiederaufnahme ihres alten Asylverfahrens noch eine Chance auf ein Leben in Deutschland bietet. Tahiri ist vom Krieg gezeichnet, ihm bleibt nur die Erinnerung an bessere Zeiten: „Jugoslawien war ein gutes Land.“ (epd/mig) Gesellschaft Leitartikel
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