Verfolgung vor Armut
Ausschlaggebend für die Offenheit der Deutschen ist der Fluchtgrund
Was bestimmt die Haltung der Deutschen gegenüber Flüchtlingen – ökonomischrationale oder kulturellsymbolische Überlegungen? Einer Studie zufolge ist die Unterstützung sehr viel geringer, wenn die Flucht wirtschaftliche Gründe hat.
Von Ruth Ditlmann, Susanne Veit, Ruud Koopmans, Ines Michalowski und Anselm Rink Mittwoch, 30.03.2016, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 04.04.2016, 17:45 Uhr Lesedauer: 8 Minuten |
Nach dem Gesetz erhält in Deutschland Asyl, wer bestimmte (politische) Fluchtgründe glaubhaft nachweisen kann. Über eine Million Menschen haben sich im Jahr 2015 auf diese Bestimmung berufen. In der öffentlichen Diskussion über das Für und Wider der Aufnahme von Flüchtlingen geht es aber bei Weitem nicht nur um die rein juristische Frage, ob im jeweiligen Einzelfall die Bedingungen der Genfer Flüchtlingskonvention oder des Grundgesetzes erfüllt sind. Vielmehr werden auch andere Aspekte beleuchtet, etwa das Bildungsniveau der Geflüchteten und damit ihre vermutliche Integrationsfähigkeit in den deutschen Arbeitsmarkt sowie ihre Religion und bestimmte Wertvorstellungen und Überzeugungen.
Um diese Auseinandersetzungen einzuordnen, sind sozialwissenschaftliche und psychologische Theorien zu Konflikten zwischen Gruppen hilfreich. Sie betonen, dass die Einstellungen gegenüber als fremd wahrgenommenen Menschen stark von Ängsten und dem Gefühl von Wettbewerb und Bedrohung beeinflusst werden. Dabei kann unterschieden werden zwischen eher rationalökonomischen und eher symbolischkulturellen Konfliktlinien. Diese zwei Arten von potenziellen Konfliktlinien finden sich auch in Debatten über die möglichen Folgen des starken Zustroms von Asylsuchenden. Auch hier werden sowohl Sorgen über die ökonomischen Folgen ihrer Aufnahme diskutiert als auch die Sorge, dass kulturelle Unterschiede zwischen Asylsuchenden und Einheimischen zu Konflikten führen könnten.
Mit Blick auf die Frage, inwiefern ökonomische und/oder kulturelle Aspekte die Einstellungen der Bevölkerung in Deutschland gegenüber Asylsuchenden beeinflussen, lassen sich eine Reihe von Hypothesen generieren. Wenn die Angst vor einer übermäßigen finanziellen Belastung für Deutschland im Vordergrund steht, sollte sich dies in einer Bevorzugung von besser ausgebildeten Asylsuchenden zeigen, da gut ausgebildete Personen bessere Aussichten auf einen erfolgreichen Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt haben. Wenn hingegen der Wettbewerb um Werte und die Angst vor kulturellen Unterschieden die Meinung der Menschen in Deutschland gegenüber Asylsuchenden prägt, dann sollten insbesondere kulturelle Merkmale wie die Religionszugehörigkeit eine zentrale Rolle spielen.
Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, haben wir im November und Dezember 2015 in Kooperation mit Jutta Allmendinger und dem Institut für angewandte Sozialforschung infas eine repräsentative Telefonumfrage in Deutschland durchgeführt. Insgesamt wurden etwa 1.500 Personen zu ihren Einstellungen gegenüber Flüchtlingen befragt. Ein Teil der Umfrage war ein Experiment, mit dem untersucht werden sollte, welche Merkmale von Asylsuchenden die Haltung von Menschen in Deutschland gegenüber Asylsuchenden beeinflussen. Spielen eher ökonomische (Ausbildungsniveau der Asylsuchenden), kulturelle (Religion) oder politischrechtliche (Fluchtgrund) Kriterien eine zentrale Rolle? Um diese Fragen zu beantworten, wurde den Teilnehmern der Umfrage zunächst eine sogenannte Vignette vorgelesen, die Beschreibung einer fiktiven Person. Die Teilnehmer wurden dann gefragt, ob Deutschland dieser Person Asyl gewähren sollte und ob sie es gut fänden, wenn die Person in ihrem Wohnort untergebracht würde.
Jeder Teilnehmer wurde mit nur einer Vignette eines fiktiven Geflüchteten konfrontiert, insgesamt gab es 24 verschiedene Personenprofile. Jeder und jedem Befragten wurde zufällig ein Vignettenprofil zugeteilt. Mit Hilfe dieses Experiments wurde der Einfluss des Profils auf die Beantwortung der Fragen nach Asylgewährung und Unterbringung im eigenen Wohnort gemessen. Die 24 verschiedenen Profile ergaben sich aus der Kombination von vier Merkmalen, anhand derer der oder die fiktive Geflüchtete beschrieben wurde.
1) Der Fluchtgrund: In der Hälfte der Vignettenprofile suchte die Person wegen politischer Verfolgung, in der anderen Hälfte aus wirtschaftlichen Gründen Zuflucht in Deutschland. 2) Der Ausbildungsgrad: Zu je einem Drittel hatte die asylsuchende Person einen Universitätsabschluss, eine Berufsausbildung oder keine Berufsausbildung. 3) Die Religionszugehörigkeit: In der einen Hälfte der Vignettenprofile wurde die Person als Muslim/in, in der anderen Hälfte als Christ/in vorgestellt. 4) Das Geschlecht: Die Hälfte der beschriebenen Personen waren Männer, die andere Hälfte Frauen. So lautete zum Beispiel eines der Profile: „Wir möchten Ihnen jetzt den konkreten Fall einer Asylbewerberin vorlegen, die vor kurzem nach Deutschland gekommen ist: Sie ist wegen politischer Verfolgung aus ihrem Land nach Deutschland geflohen. Sie ist Christin. Sie hat in ihrem Land keine Berufsausbildung abgeschlossen.“
Die Vignettenmethode ermöglicht eine detaillierte Analyse der relativen Bedeutsamkeit unterschiedlicher Merkmale von Asylsuchenden auf die Einstellung der Befragten. Durch den Vergleich der Reaktionen auf die unterschiedlichen Profile kann der Einfluss der vier Merkmale Fluchtgrund,Ausbildungsniveau, Religion und Geschlecht sowohl einzeln als auch in Kombination miteinander analysiert werden. Zum Beispiel kann untersucht werden, ob Personen, die aus wirtschaftlichen Gründen in Deutschland Zuflucht suchen, kritischer betrachtet werden als Asylsuchende, die in ihrem Heimatland politisch verfolgt werden. Ist die Skepsis gegenüber gering qualifizierten Asylsuchenden grundsätzlich höher als gegenüber besser qualifizierten? Welche Rolle spielen Geschlecht und Religion? Treten solche Merkmale in den Hintergrund, wenn als Fluchtgrund politische Verfolgung angegeben wird?
Zustimmung zur Asylgewährung
Offensichtlich gibt es eine klare Präferenz für Asylsuchende, die aufgrund politischer Verfolgung ihr Heimatland verlassen haben. Die durchschnittliche Unterstützung des Asylgesuchs für politisch Verfolgte liegt bei 94 Prozent. Dabei ist es vollkommen unerheblich, ob der oder die Asylsuchende gut oder schlecht ausgebildet, christlichen oder muslimischen Glaubens und männlich oder weiblich ist. Den Ergebnissen unserer Umfrage zufolge sind bei der Beurteilung des Asylanspruchs politisch Verfolgter Geschlecht, Religion und Ausbildungsgrad augenscheinlich nicht relevant.
Das Bild verschiebt sich jedoch, wenn die Flucht wirtschaftliche Gründe hat. Wenn die in der Vignette beschriebene Person aus wirtschaftlichen Gründen ihre Heimat verlassen hat, sinkt der Wille, dieser Person Asyl zu gewähren, auf 52 Prozent. Hier zeigen allerdings die einzelnen Balken, dass die Unterstützung der Befragten stark nach weiteren Merkmalen differiert. Die Einstellung gegenüber Asylsuchenden, die vor der wirtschaftlichen Lage in ihrem Land geflohen sind, variiert mit Ausbildungsniveau und Religion der fiktiven Asylsuchenden. Besser ausgebildete Asylsuchende, die mit größerer Wahrscheinlichkeit in den deutschen Arbeitsmarkt integriert werden können, werden deutlich bevorzugt. Auch wird bei Fehlen eines politischen Fluchtgrunds ein Augenmerk auf die Religion der nach Deutschland kommenden Personen gelegt: Christen werden Muslimen vorgezogen.
Unterbringung im eigenen Wohnort
Betrachtet man die Haltung der Befragten gegenüber der Unterbringung dieser Person im eigenen Wohnort, so zeigt sich erneut ein sehr positives Gesamtbild. Bei politisch Verfolgten befürworten 93 Prozent der Befragten eine Unterbringung im eigenen Wohnort. Diese hohe Zustimmungsquote ändert sich kaum mit dem Ausbildungsniveau, der Religionszugehörigkeit oder dem Geschlecht der beschriebenen Person. Wenn die Vignette hingegen eine Person beschreibt, die aufgrund der schlechten Wirtschaftslage im Herkunftsland Asyl in Deutschland sucht, sinken die Zustimmungsraten um 21 Prozentpunkte auf 72 Prozent. Zudem zeigt sich erneut, dass die Einstellung gegenüber Menschen, die vor der wirtschaftlichen Situation in ihrem Land fliehen, stark von weiteren Merkmalen der Person abhängt. Wieder spielt dabei insbesondere das Ausbildungsniveau eine entscheidende Rolle. So würden beispielsweise 75 Prozent der Befragten eine aus wirtschaftlichen Gründen geflohene Person mit Universitätsabschluss oder abgeschlossener Berufsausbildung gern an ihrem Wohnort begrüßen, während dies bei Personen ohne Berufsausbildung nur 61 Prozent der Befragten angeben. Etwas geringer ist der Einfluss der Religion. Drei Viertel der Befragten würden einen aus wirtschaftlichen Gründen geflüchtete Christen gern an ihrem Wohnort begrüßen, während diese positive Haltung um 7 Prozentpunkte fällt, wenn es sich um eine ansonsten vergleichbare Person muslimischen Glaubens handelt (75 statt 68 Prozent Zustimmung). Ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt, ist hingegen unerheblich.
Der Fluchtgrund zählt
Wie sind die Ergebnisse des Experiments einzuordnen? Zunächst zeigt sich Deutschland als ein offenes Land, in dem neun von zehn Bürgern politisch Verfolgten Asyl gewähren möchten und auch einer Unterbringung dieser Menschen an ihrem Wohnort positiv gegenüber stehen. Damit reflektiert das Umfrageexperiment auch das in Deutschland geltende Recht, demzufolge nur politisch Verfolgten Asyl gewährt werden kann. Der Fluchtgrund zählt: Im Vergleich zur außerordentlich positiven Haltung gegenüber politisch Verfolgten sinken die Zustimmungswerte der Befragten drastisch, wenn es sich um Menschen handelt, die vor wirtschaftlicher Not geflohen sind. Die Zustimmungswerte sinken um weitere 20 Prozentpunkte, wenn diese Personen zudem keine Berufsausbildung und dadurch schlechtere Aussichten auf dem Arbeitsmarkt haben. Die Religion der in Deutschland Schutz suchenden Personen hatte zum Zeitpunkt der Befragung einen vergleichsweise geringen Einfluss auf die Einstellungen gegenüber dem Asylgesuch der Person und der Unterbringung am Wohnort der Befragten.
Im Ergebnis zeigen sich drastische Unterschiede: Während 95 Prozent der Befragten der Meinung sind, dass ein politisch verfolgter muslimischer Mann ohne Berufsausbildung in Deutschland Asyl erhalten sollte, stimmen einer Aufnahme nur 32 Prozent der Befragten zu, wenn es sich um einen Muslim ohne Berufsausbildung handelt, der vor wirtschaftlicher Not geflohen ist. Etwas geringer, aber dennoch beachtlich ist der Unterschied, wenn es um nicht um das Asyl generell, sondern um die Frage der Unterbringung am Wohnort geht (91 gegenüber 52 Prozent).
Einschränkend ist anzumerken, dass die Befragung vor der Silvesternacht 2015 stattfand, in der es zu einer Reihe von sexuellen Übergriffen auf Frauen unter anderem durch Asylsuchende kam. Die daran anschließende gesellschaftliche Debatte könnte die Einstellungen im Jahr 2016 gegenüber Asylsuchenden beeinflusst haben. Zudem liegt der Fokus des Vignettenexperiments auf Einstellungen gegenüber Einzelpersonen. Es könnte durchaus sein, dass das Asylgesuch eines Einzelnen bzw. die Unterbringung einer weiteren Person als unerheblich empfunden wird. Ob solch hohe Zustimmungswerte aber auch dann zu finden wären, wenn die Asylfrage für eine große Zahl solcher Einzelpersonen zu beantworten wäre, bleibt offen. Gesellschaft Leitartikel
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