Gelichter
Der Tag, an dem das Lachen starb
Böhmermann hat letzten Ende nicht die Grenzen von Satire aufgezeigt, denn Satire darf weiterhin alles; was ihm vielmehr gelungen ist, ist das Aufzeigen der Grenzen des Denkens von Menschen. Von Sven Bensmann
Von Sven Bensmann Dienstag, 19.04.2016, 8:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 20.04.2016, 21:01 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
In Umberto Ecos „Der Name der Rose“ führt uns der Philosoph beispielhaft vor, wie sehr absolutistische Regime Angst vor dem Lachen haben. Das Lachen untergrabe die Autorität und sei deshalb geeignet, das auf der Drohung der ew’gen Verdammnis, beziehungsweise der Angst davor, aufbauende System von Religion zu unterminieren – so jedenfalls die Ansicht des mittelalterlichen Abtes, der es nicht so sehr mit der frohen Botschaft seines Erlösers hat.
Heute ist dieses 1980 veröffentlichte und 1986 verfilmte Gleichnis Ecos wohl aktueller denn je. Es kam mir in den Sinn, als an dem Tag, an dem in Brüssel Bomben explodierten und im Hagel der Durchhalteparolen, des „Wir dürfen unseren Lebensstil wegen denen nicht ändern!“ Fernsehanstalten Ihre komödiantischen Programme strichen. Als kaum drei Tage später unsere endemischen Radikalen einen „Feiertag“ begingen, anlässlich dessen Sie allen Ungläubigen das Feiern und Lachen verboten, war es ebenso aktuell. So war es allerdings schon immer, frei nach dem meistzitierten Mann dieser Tage: Die Katholiken terrorisieren das Land mit einer Auffassung von Sittlichkeit, die die Ihre ist und die uns nichts angeht.
Und dann kam der Türke. Oder nein, das ist nicht ganz richtig. Der Türke ist schon lange hier. Er sitzt beispielsweise selbstgefällig grinsend bei Anne Will und tritt stur für die Freiheit der Satire und der Kunst ein, gegen die Meinungsdiktatoren diesseits und jenseits des Bosporus – nachdem er uns bereits Jahre zuvor aus „Mein Kampf“ und der Bild vorgelesen hatte und uns so den Spiegel vorhielt. Nein, wer kam, war Merkels Türsteher: Erdogan, der daheim dabei ist, das europäische Erbe seines Landes auf dem Altar des Despotismus zu opfern – nicht, dass die Türkei zuvor eine lupenreine Demokratie gewesen wäre.
Erdogan hat so unter Billigung Angela Merkels und der deutschen Bundesregierung inzwischen Strafanzeige gegen Jan Böhmermann gestellt, nachdem dieser dessen Unfähigkeit zur Kritik in seiner Sendung thematisiert hatte. Dazu wird eine ganz besondere Rechtsvorschrift herangezogen, die letztlich auf dem vormodernen Konzept der „Majestätsbeleidigung“ fußt. Dass diese Billigung vom CDU-geführten Teil der Bundesregierung ausgesprochen wurde während die SPD anderer Meinung war, ebenso wie die Opposition, macht sie – immerhin – nur zu einer Minderheitenmeinung innerhalb des Parlaments. Dass selbst die Kanzlerin der Meinung ist, dass dieses veraltete Konzept keine Daseinsberechtigung mehr hat, wird wohl dazu führen, dass Böhmermann der Letzte ist, dem die Ehre zuteil wird, der Beleidigung eines Staatsoberhauptes angeklagt zu werden. Dass Merkel einem Konzept auf der einen Seite die Daseinsberechtigung abspricht, gleichzeitig aber eine Strafverfolgung aufgrund dieses Konzepts zulässt, ist wohl eine dieser typischen Merkel-Entscheidungen, die nicht an ihr hängen bleiben werden.
Neben dem in die Geschichte eingegangen Varoufakefake – auch Varoufakis hatte übrigens gefordert: „Hände weg von Böhmermann!“ – ist dies ein weiterer Beitrag zum Vermächtnis des Jan Böhmermann. Neben Dieter Hildebrandt, aus dessen Live-Sendung sich der Bayrische Rundfunk 1986 ausgeklinkt hatte (neben anderen Kontroversen), fällt einem kaum ein Name in Deutschland ein, mit dessen Namen derart wichtige Kontroversen verbunden sind. Mal abgesehen von Hitler natürlich, aber der geht nur schwerlich als Satiriker durch.
Böhmermann hat letzten Ende nicht die Grenzen von Satire aufgezeigt, denn Satire darf weiterhin alles; was ihm vielmehr gelungen ist, ist das Aufzeigen der Grenzen des Denkens von Menschen, die sich in absoluten Systemen bewegen, von Autokraten und politischen „Christenmenschen“, hüben wie drüben.
Gleichzeitig setzt sich so weiter die Erkenntnis durch, dass die Anschlagsserie vom 11. September 2001 der erfolgreichste einzelne politische Akt der Weltgeschichte war.
Seit diesem Tag ist die ganze Welt beinahe weit genug nach rechts gerückt, um die Erde aus Ihrer Umlaufbahn zu werfen. Die muslimischen Gesellschaften haben sich radikalisiert, die westlichen Gesellschaften haben sich ebenso radikalisiert. Der asymmetrische Krieg, den wir führen, folgt uns dorthin, wo wir keine Panzer und Kampfjets besteigen können, um sicher zu sein, wo wir stattdessen auf Busse und U-Bahnen angewiesen sind um von A nach B zu gelangen. Und dem ein oder anderen leuchtet inzwischen ein, dass jeder Pariser und Brüsseler eben auch nicht sicherer ist, als ein beliebiger Damaszener oder Paschtune. Dass der Tod alle treffen kann – nur eben nicht die Richtigen.
Und Multikulti, dieses Schreckgespenst der Rechtsaußen in Arabien, Amerika und Europa, ist nicht durch das Miteinander friedlich zusammenlebender Kulturen gescheitert, sondern durch Segregation und Misstrauen, geschürt von Krieg und Terror. Dass sie nun Mauern bauen wollen, schießen und abschieben, entführen und morden, soll die überwindbaren Gräben vertiefen und die Welt für immer in Klein und Klein teilen.
„Und so geht die Freiheit zugrunde – mit donnerndem Applaus.“ (Ob George Lucas wohl schon an Pegida dachte, als er das schrieb?) Zuerst geht die Freiheit zu Reisen – die Dekonstruktion des Schengen-Raums ist in vollem Gange – und die Menschen entfremden sich, lernen das Fremde nicht mehr kennen. Dann geht die Freiheit zu Lachen. Und schlussendlich die Freiheit zu Denken und zu Sagen, was wir wollen.
Eine radikale Systemkritik, die bereits niemand zu artikulieren wagt, könnte nun so aussehen: Wir sitzen alle zusammen in einem unsichtbaren Käfig; jene Unfreiheit, die dem kapitalistischen Staats- und Wirtschaftssystem immanent ist, sind wir nicht mehr in der Lage zu erkennen. Und Böhmermann hat es gewagt, zu laut an den Gittern zu rütteln – indem er die guten diplomatischen Beziehungen gestört hat, welche wir grade für einen schmutzigen und menschenverachtenden Pakt mit dem Teufel genutzt haben. Einen Pakt, für den wir, so der bereits angesprochene griechische Ex-Finanzminister, unsere Seele verkauft – und zudem noch ordentlich Steuergeld in die Türkei gepumpt haben.
Oder: „Die Menschen waren in der Politik stets die einfältigen Opfer von Betrug und Selbstbetrug, und sie werden es immer sein, solange sie nicht lernen, hinter allen möglichen moralischen, religiösen, politischen und sozialen Phrasen, Erklärungen und Versprechungen die Interessen dieser oder jener Klassen zu suchen. (Wladimir Iljitsch Lenin) Aktuell Meinung
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Kritikpunkt,Kritik her,HerrBöhmermann hat da wortwörtliche Unterstellungen „Kinderschänder usw.“ gemacht und jedem Menschen,auch Herrn Erdogan,muss man das Recht zugestehen,solche Unterstellungen als üble Nachrede,Beleidigung der Menschenwürde vor Greicht zu bringen,und das Ganze nicht mit dem Paragrafen Majestätsbeleidigung in Lächerliche zu ziehen und als „Satire“abzutun,als Vorwand um eine gesetzliche Straftat damit abzutun.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich Sie Herr Bensmann richtig verstanden habe, aber ich bin nicht der Meinung, dass Herr Böhmermann, die Grenzen des Denkens aufgezeigt hat.
Ich bin selbst überzeugter alevitischer Kurde aus Dersim und alles andere als ein Erdoganbefürworter. Ich glaube aber auch, dass Böhmermanns Gedicht nicht allein auf Erdogan fokussiert interpretiert werden kann. Es war nach meinem Empfinden rassistisch. Wenn Erdogan als Faschist als Demokratiefeind titutliert worden wäre, hätte ich es es sehr gut nachvollziehen können, denn das ist er in meinen Augen. Aber als Ziegenficker werden für gewöhnlich keine Holländer oder Deutschen beschimpft. Als Ziegenficker werden für gewöhnlich diejenigen beschimpft, die auch als Esel- oder Kamelficker beschimpft werden. Hier wurde Rassismus unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit geschürt. Ich finde ein Verständnis von Meinungsfreiheit in diesem Sinne bedenklich. Man kann ein überzeugter Erdogangegner sein und dennoch Böhmermann kritisieren. Vielleicht habe ich Sie aber auch nur falsch verstanden, ist nur so ein Gefühl.
Herr Bensmann, Sie haben nun wirklich nichts verstanden.
Es geht nicht um Satire, sondern schlicht um Rassismus.
Der Grundtenor ist, mit Türken kann man so was machen. Man macht das nicht mit Hollande, nicht mit. Cameron oder Obama oder einem deutschen Politiker, nein man macht das mit einem Türken, ob der nun Erdogan heißt oder anders.
Das ist der Punkt. Mal darüber nachdenken.
Im Übrigen ist mir bei dem Fäkalreim Böhmermann das Lachen vergangen, was nicht für Satire spricht.
Bleibt zudem zu hoffen, dass nicht einmal rechts zugehörige Satiriker auf die Idee kommen, sich auf grenzenlose Satire zu berufen. Dann wird Ihnen das Lachen vergehen.
LI
Herr Bensmamm:Was Sie da sagen,ist absurd.Grenzen aufzeigen heißt nicht Grenzen überschreiten zu dürfen,was ihrer ganz klar der Fall war-vielleicht gewollt,um etwas zu politisch zu entfachen?Das bleibt dahingestellt und jeder möge sich seinen Teil denken!