Handschlag-Debatte
Von welcher religiösen Freiheit redet dieses Europa eigentlich ständig?
Das Kopftuch kommt ab, die Vorhaut bleibt dran! Der Erzieher verteilt das Schweinefleisch, die Lehrerin die Handschläge. Und wer nicht spurt, kommt auf die Titelseite. Da drängt sich doch eine Frage geradezu auf. Von Fabian Köhler
Von Fabian Goldmann Dienstag, 19.04.2016, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 24.04.2016, 13:21 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
In der Geschichte islamischer Eroberungen spielte das schweizerische Therwil eine bisher eher untergeordnete Rolle. Die Türken kamen einmal bis auf 700 Kilometer heran an das Dorf im Süden von Basel. Aber das ist nun auch schon über 300 Jahre her. Auch aus abendländischer Perspektive verbringen die 10.000 überwiegend christlichen Einwohner ein eher unbeachtetes Dasein. Selbst in der Schweiz dürften viele den Ort mit drei Straßenbahnhaltestellen und einer Postleitzahl nicht kennen. Allenfalls der schweizerische Rekordmeister „Therwil Flyers“ brachte es zu etwas überregionaler Bekanntheit. Aber wer interessiert sich im Abendland schon für Baseball?
Seit zwei Wochen ist nun alles anders. Quasi von einer Schulstunde zur nächsten wurde Therwil zum Schlachtfeld im Kulturkampf zwischen Okzident und Orient. Der Bruchlinienkonflikt, vor dem Samuel Huntington in seinem „Kampf der Kulturen“ so eindringlich warnte, verläuft nun genau durch ein Klassenzimmer der Therwiler Sekundärschule. Diesen Eindruck bekommt man zumindest, verfolgt man die Reaktionen auf die Ereignisse um eine Lehrerin, zwei Schüler und drei sich nicht berührende Hände.
Handschlagsverweigerung rangiert nur knapp hinter Terroranschlag
„Eine Kampfansage an unsere Ordnung“ stelle der Nicht-Handschlag der muslimischen Schüler dar, befand der CDU-Bundestagsabgeordnete Phillip Lengsfeld. „Schweiz ohne Gott“ prophezeite eine Talkshow zur Handschlagdebatte im Schweizer Fernsehen. Weltweit berichteten Medien über die Ablehnung christlich-westlicher Werte und islamische Frauenverachtung, die aus den Therwiler Klassenzimmer ausgehe. Auf der gefühlten Skala islamistischer Bedrohungen rangierte die „Handschlagverweigerung“ schon bald nur noch knapp hinter einem Terroranschlag des IS.
An dieser Stelle weist der Kolumnist in der Regel auf die Übertriebenheit der jeweiligen Debatte hin. Zum Beispiel so: Selbst unter konservativen Muslimen ist das Verweigern des Nichthandschlags ein absolutes Minderheitenphänomen. Oder so: Unter Handschlaggegnern befinden sich gleichermaßen Frauen wie Männer. Nicht nur muslimische, sondern auch jüdisch-orthodoxe. Und sogar die Scharia des Abendlandes – der alte Knigge – rief Männer dazu auf, Frauen nicht unaufgefordert die Hand entgegenzustrecken.
„Von welcher Toleranz ist eigentlich die Rede, wenn wir nicht einmal die Spleens zweier pubertierende Schüler ertragen können?“
Aber um solches Bagatellisieren soll es in dieser Kolumne nicht gehen: Denn: Ja, wie wir mit Handschlägen und Nicht-Handschlägen umgehen, ist eine Frage europäischer Werte. Und diese Frage lautet so: Von welchem europäischen Wert der Toleranz ist eigentlich andauernd die Rede, wenn wir nicht einmal das Verhalten zweier pubertierende Schüler in irgendeiner Schweizer Schule ertragen können?
Ja, Therwil ist das Symbol eines Kulturkampfes. Aber seine Bruchlinie verläuft nicht zwischen patriarchalischen Islam und aufgeklärtem Westen. Der „Kampf der Kulturen“ findet statt zwischen der Idee eines Europas, in dem jedermann frei seine Religion ausleben kann und dem chauvinistischen Anspruch, die kulturelle Homogenität auch noch in der hintersten Ecke eines jede Klassenraums durchzusetzen.
Das Kopftuch muss ab! Die Vorhaut bleibt dran!
Mit der Toleranzbereitschaft saudischer Religionspolizisten sucht in Europa eine immer größer werdende Zahl von Sittenwächtern unnachgiebig sämtliche Moscheen, Kitas und Aldi nach immer belangloserer Anzeichen von Unvereinbarkeit mit einer erfundenen abendländischen Mehrheitskultur ab. Neu ist dieses Phänomen freilich nicht. Nur waren bis vor einigen Monaten noch rechte Islam-Hasser-Blogs zuständig für die Berichterstattung über den Anteil an Halal-Salami beim Discounter.
Heute genießt die „Muslim im Schwimmbad“-Berichterstattung in vielen Tageszeitungen schon fast Ressort-Status. Mindestens einmal pro Woche wird in irgendeiner Lokalzeitung das Ende staatlicher Neutralität verkündet, weil in der örtlichen Universität Spuren von Gebetsteppichen gefunden wurden. Auf jede europäische Burka-Trägerin dürften mittlerweile ein Dutzend Politiker kommen, die ihre Entschleierung fordern.
Die Liste jenes Kulturplunders, der regelmäßig zum unveräußerlichen Kern abendländischer Zivilisation verklärt wird, ist so lang wie willkürlich: Zu wenig Schweinefleisch in der Kita? Zu viele Flüchtlinge in der Sauna? Hat da jemand Winterfest gesagt? Das Kopftuch muss ab! Die Vorhaut bleibt dran! Man fragt sich, wo Muslime denn noch ihre viel zitierte europäische Religionsfreiheit ausleben sollen, ohne ausgegrenzt, stigmatisiert und bevormundet und zu werden: In gläsernen Hinterhofmoscheen, in der der staatliche bestellte Imam abwechselnd aus dem Grundgesetz liest und sich von allen Terrorakten der Welt distanziert?
Nur die kopftuchtragende Putzfrau ist kein Problem
Mit echten Werten, der Gleichberechtigung von Mann und Frau, dem Bekenntnis zu einer liberalen, toleranten und vielfältigen Gesellschaft hat dieses „Das haben wir schon immer so gemacht“ nichts zu tun. Um das zu erkennen, braucht man nicht einmal die symbolische Schule zu verlassen. Wie oft werden emanzipierte, gebildete Lehrerinnen öffentlich problematisiert, weil sie sich dazu entschieden haben, ihre Haare zu verdecken? Die kopftuchtragende Putzfrau der Schule schaffte es hingegen noch nie in die Schlagzeilen.
Da kann der Sexualkundelehrer noch so eindringlich junge Mädchen dazu ermuntern, im Zweifel laut „Nein“ zu sagen, wenn jemand die von ihnen selbst definierten Grenzen der Intimität überschreitet. Am Nachmittag muss das Gebot „Euer Körper gehört euch“ dennoch gegen den Badeanzug im Schwimmunterricht eingetauscht werden. Und auch die beiden Therwiler Schüler würden das Konzept der Geschlechtergerechtigkeit beim Wandertag mit ihren Mitschülerinnen wahrscheinlich eher verstehen, als in ihrer jetzigen Rolle als sozial geächtete Sonderlinge, die nur noch in der Moschee ihres Vaters Anschluss finden.
Eine Bekundung des Respekt gegenüber dem anderen Geschlecht, sei das Verweigern des Handschlags. Man mag die Begründung der beiden Schüler und der anderen Handschlaggegner genauso hinterfragen, wie den pauschalen Vorwurf der Respektlosigkeit ihrer Kritiker. Aber zumindest in einer Frage haben dennoch alle Beteiligten recht: Am Ende geht es in dieser Debatte um Respekt – nicht nur gegenüber Lehrerinnen. Leitartikel Meinung
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@Alle
Man sollte sich doch bitte nicht ständig von Foristen, die nicht über das eigentliche Thema sprechen wollen ablenken lassen.
Es geht hier nicht um Christenverfolgung. Es geht ganz konkret um die Unfähigkeit mancher Menschen, sich ihrem neuen Umfeld, deren Kultur und Bräuche anzupassen und sich diesem respektvoll gegenüber zu benehmen.
Man kann diese Probleme die auf mangelnden Integrationswillen zurückzuführen sind, viel einfacher und effektiver lösen, in dem man den religiösen Aspekt überhaupt nicht anspricht, bzw. als Problemverursacher identifiziert.
Es müssen Regeln aufgestellt werden die für alle Migranten gelten, die aus der ganzen Welt zu uns kommen, man kann sich in Deutschland immer zu einem gewissen Grad weltoffen einstellen, aber man muss sich in Deutschland nicht verbiegen um es jedem Individuum dieses Planeten recht zu machen. Die Deutsche, wie auch die Migranten müssen sich einfach im klaren sein, dass immer wieder Menschen gibt, die nach Deutschland (Europa) kommen und sich mit unseren Bräuchen und unserer Kultur nicht anfreunden können und über kurz oder lang wieder ausreisen werden. Das ist kein Hinweis darauf, dass eine der beiden Parteien versagt hätte oder jemand etwas an sich ändern müsste.
Klar kann hier im Forum ein Cengiz K oder ein karakal fordern, dass Deutschland sich den Gepflogenheiten ihres Heimatlandes anpassen, aber dann muss man auch noch einen Dummen finden, der das einsieht.
Europa kann von den Migranten verlangen sich Ihrer Verantwortung als Migrant bewusst zu sein. Und was es grundsätzlich bedeutet in einen andere Kulturraum ein- bzw. auszuwandern. Man muss sich als Migrant ja auch fragen warum man sich ausgerechnet, dieses oder jenes Einwanderungsland ausgesucht hat. Wer nur aus wirtschaftlichen Gründen kommt, der wird auch versuchen, alles bis auf die Wirtschaft zu verändern und den eigenen Bedürfnissen anzupassen…
Hah, da seid Ihr ja alle… Ein wenig rumgestochert und schon kommen alle raus.. Also erst mal, um auf die Fragen vorneweg zu antworten.. Nein, nein und nein.. Dschizya, im uebrigen falsch geschrieben (daenglisch?)), ist nicht das, was Sie schreiben, dass es das sein soll..
Im weiteren Verlauf, Christenverfolgung gibt es vielleicht in China und Korea, aber das hat vorwiegend politische Gruende.. Man hat in Fernost zu Kolonialzeiten Missionare ins Land gelassen, und hat sich damit Aerger ins Haus geholt, anders als Muslime in Europa oder USA zum Beispiel heute oder in der Geschichte.. Waehrend die Muslime im Grossen und Ganzen friedlich waren und auch heute sind, haben die Missionare gleich Ihre Waffen mit gebracht, und das Fussvolk angestachelt, ganz stark zusammen gefasst.. In etwa so das, was die sog. Grossmaechte heute in Nordafrika und im Nahen Osten beispielsweise praktizieren.. Die Laender in Fernost haben im Nachhinein relativ brutal auf diese bewaffneten Migranten, aber zynischerweise vorausschauend, reagiert.. Vor allem wenn man Kontinente wie Australien, Amerika (Nord- und Sued) und Afrika, nur um ein Bild zu kriegen, und ihre Christianisierung betrachtet.. Wie da insbesondere im Hinblick mit dem angestammten Kollektiv verfahren wurde (und heute noch wird), ist doch recht aussagekraeftig.. Mit Feuer und Schwert wie der zurueck getretene Pontifex sagen wuerde..
Anders sieht die Geschichte bei den Muslimen aus.. Niemand streitet Eroberungen ab, aber die Eroberten wurden im Grossen und Ganzen zu nichts gezwungen, nachdem bestimmte Laendereien besiegt waren, und es gab sehr weitreichende Freiheiten fuer Minderheiten, die sogar nach heutigen Massstaeben, mal die PR weggelassen, immer noch als tolerant gelten.. Warum? Es gab und gibt Regelungen, die im Krieg fuer jeden Muslim bindend sind und waren.. Zumindest in Friedenszeiten konnten Minderheiten aufbluehen, und das ueberall in muslimischen Laendern.. Dass das nicht immer gut ging bestreitet keineR, aber das muss man/frau erst mal hinkriegen.. Demokratie in Laender bringen/bomben und regime change und expansive Vasallenpolitik heute als Gegensatz dazu..
Und nein, die Voelker haben den Islam im Wesentlichen aus freien Stuecken angenommen oder eben nicht.. Ausnahmen bestaetigen auch hier die Regel.. La ikraha fid’dihn.. Das ist auch der Grund, warum zB der IS nach Massstaeben so gut wie ausschliesslich saemtlicher islamischer Gelehrter mit dieser Tradition bricht, ganz egal, wozu sie sich zaehlen.. Zufaelle gibt’s, oder?
Die Massentoetungen und -umsiedlungen an Armeniern in dem Gebiet der heutigen Osttuerkei ist der Konsequenz aus Umwaelzungen im Zuge des ersten Weltkrieges (Sie erinnern sich, der sprichwoertliche Dschihad zu dem der deutsche Kaiser aufrief) und des der Europaeischen Schule entstammenden Nation Building Prozesses, nach der damaligen akademischen Theorie eine Nation, die wie Pilze aus dem Boden sprossen seinerzeit, ein Volk, eine Fahne, eine Religion zu sein habe, geschuldet.. Aber Genozid als Schlagwort fuer ein Politikum um Gebiete, die auf Karten von groessenwahnsinnigen Strategen mal als Grossarmenien, mal als Grosskurdistan, mal als Grossisrael, mal als Grossgriechenland, mal als sonstwas auftauchen wird sich die zustaendige Regierung vor Ort auch mit Recht verbitten.. Das gehoert nun mal auch zur raison d’etre eines Staatswesens dazu.. Da kann man auch nicht mal daher kommen und mit ‚Leugnungsvorwuerfen‘ und ‚Belehrungen‘ fremden Laendern den Staat uebernehmen, man/frau blamiert sich nur selbst.. Dialog ist das Schluesselwort..
Bitte, lasst die Apologetik, die Schuldzuweisungen, die Herablassungen, und diesen Hass.. Ich weiss, dass es einen Wissensdurst unserer hiesigen einzigartigen Republik (Weltmeister) nach dem Islam und ’seinen Konzepten‘ gibt, aber nehmt Euch nur ein Beispiel an Dr. Petrovic hier.. Die Polemik mal weggelassen, stellt er oder sie wenigstens authentische Fragen, nur leider gibt er sich wissend ueber Dinge, von denen er scheinbar wenig bis keine Ahnung hat.. Mit Rechthaberei ist niemandem gedient, auch nicht den Toten irgendwelcher Kriege.. Und Allah weiss es am Besten..
@Cengiz K
Wieso haben Muslime denn so große Probleme damit wenn eines ihrer Mitglieder zu einer anderen Religion konvertiert, wenn es doch diese Tradition des leben und leben lassen gibt? Das widerspricht sich sehr…