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Demonstration in Leipzig (Symbolfoto) © Caruso Pinguin @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Abendland bis Widerstand

Deutungsmuster der Rechtspopulisten

Von der Flüchtlingsdebatte haben Gruppierungen wie Pegida und AfD profitiert. Langfristig bedeutsamer als deren Mobilisierung sind jedoch die Tiefenströmungen des Rechtspo­pulismus, die bis in die gesellschaftliche Mitte reichen. Von Dieter Rucht

Von Donnerstag, 21.04.2016, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 26.04.2016, 17:33 Uhr Lesedauer: 9 Minuten  |  

Mit der weit nach rechts gedrifteten „Alternative für Deutschland“ (AfD) hat inzwischen auch Deutschland eine gewichtige rechtspopulistische Partei. Nach wie vor beruht jedoch die Stärke des Rechtspopulismus hierzulande auf nicht parteiförmigen Gruppierungen. Von Pegida reicht eine Kette zurück zu den Netzwerken von Pro Sachsen, Pro NRW, Pro Köln, zur Deutschen Liga für Volk und Heimat und zu früheren rechtsradikalen Formationen. Der seit den 1990er Jahren offensiver auftretende Rechtspopulismus ist nach wie vor organisatorisch zersplittert und in taktischen Fragen uneins. Im Folgenden soll es allein um den ideologischen Kern des gegenwärtigen Rechtspopulismus in Deutschland gehen, wobei vor allem Äußerungen aus Kreisen von Pegida & Co. sowie der AfD herangezogen werden. Entsprechende Ideen sind jedoch breiter verankert. Sie finden sich bei der NPD, bei rechten Kameradschaften, autonomen Nationalisten und Hooligans gegen Salafisten, aber auch, zur politischen Mitte hin, bei relevanten Teilen der CSU (vereinzelt auch der CDU) und in Weltbildern von sogenannten Normalbürgern, die meist keiner politischen Organisation angehören.

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Die rechtspopulistische Semantik und Symbolik, von Intellektuellen meist als primitiv und klischeehaft abgetan, ist facettenreich und flexibel. Das wird bei einem näheren Blick auf die Reden, Texte, Zeichen und Bilder im Kontext von Pegida deutlich. Hierbei wird auf diverse Quellen, darunter Presseberichte, Mitschnitte und Transkriptionen, aber auch mehrfache eigene Beobachtungen und Aufzeichnungen von studentischen Beobachtungsteams zurückgegriffen. Diese Materialien dokumentieren Geschmacklosigkeiten und wüste Attacken neben richtigen wie falschen Tatsachenbehauptungen, ultimative Forderungen an die Politik, Aufrufe zur Selbsthilfe, Geschichtsklitterungen, Horrorszenarien, aber auch Abgrenzungen und sogar Entschuldigungen für „zu weit“ gehende Äußerungen aus dem eigenen oder benachbarten Lager.

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Was wie ein wirres Konglomerat wirken mag, lässt sich in seiner Tiefenstruktur durchaus in einen inneren Zusammenhang bringen. Dazu kann das framing­Konzept dienen. Ausgehend von Überlegungen des Soziologen Erving Goffman wurde es vor allem in der Bewegungsforschung entwickelt und ist inzwischen in andere Forschungsfelder eingesickert. Ein Frame ist ein Deutungsund Interpretationsrahmen, der einen Sachverhalt in einem ganz bestimmten Licht erscheinen lässt und entsprechende Assoziationen, Emotionen und Bewertungen hervorruft. Beispielsweise kann die zivile Nutzung der Atomkraft als Segen für die Menschheit („Atoms for Peace“), als Pakt mit dem Teufel oder als äußerst gefährliche Dinosaurier­Technologie gedeutet werden. Das von David Snow und Robert Benford vorgestellte Konzept enthält drei zentrale Bausteine: diagnostic, prognostic und motivational framing. In ähnlicher Weise unterscheide ich die Dimensionen der Problematisierung, der Schuldzuweisung und der Motivierung und wende sie auf den Rechtspopulismus an.

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Problematisierung beschreibt hier zwei Denkfiguren: die Beschwörung einer akuten Bedrohung und die Selbststilisierung als Opfer. Ein bislang als gegebener, erworbener und als gesichert geltender materieller, physischer und kulturell­symbolischer Bestand wird als in seiner Existenz akut gefährdet gesehen. Das bedrohte Gut kann in vielfacher Weise benannt werden: rechtschaffene Bürger, Christen, (deutsches) Volk, Europa, Abendland oder, wie in einem Positionspapier von Pegida, die „christlich­jüdisch geprägte Abendlandkultur“. Bedeutsamer als eine reale Benachteiligung ist dabei die gefühlte Bedrohung. Am wichtigsten erscheint hier, erstens, die Wahrnehmung materieller Benachteiligung: Angst vor Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg. Angeblich oder tatsächlich bevorzugte Vergleichsgruppen sind fallweise „die da oben“, „die Reichen“, „Sozialschmarotzer“, „Arbeitsscheue“, vor allem aber Flüchtlinge und Migranten und Migrantinnen, die besser als „die Deutschen“ versorgt würden, wie eine gängige Behauptung lautet.

Eine zweite Dimension betrifft die physische Integrität der eigenen Gruppe, die als rein und homogen, aber von außen bedroht gesehen wird. Es gilt dann, die von Fremden ausgehenden Bedrohungen abzuwenden, darunter Diebstahl, körperliche Attacken bis hin zur Vergewaltigung, aber auch eingeschleppte Krankheiten und Terrorismus. Eine dritte, zunehmend bedeutsamer erscheinende Wahrnehmung von Bedrohung ist kultureller Art: die Furcht vor „Überfremdung“, die von Zuwanderern an den Tag gelegte Missachtung der Kultur des Aufnahmelandes und damit die Gefährdung von Tradition, Heimat und Christentum (Plakat: „Islam = Karzinom“).

Aus der Denkfigur der Bedrohung ergibt sich die Selbststilisierung als Opfer. Man werde an den Rand von Gesellschaft und Politik gedrängt, betrogen und belogen, dürfe seine Meinung nicht mehr frei sagen, drohe zu einer Minderheit innerhalb des eigenes Landes zu werden, sei ein Spielball von Globalisierung und fremden Mächten. Auf einem Pegida­Plakat im Januar 2015 war zu lesen:
„Wir vermissen unser Land! Es hatte folgende Eigenschaften: Meinungsfreiheit, Redefreiheit, Pressefreiheit, Demokratie, christlich­jüdische Abendlandkultur, Frieden, Sicherheit, Geborgenheit, Solidarität und Anstand. Stärke. Recht. Freiheit. Ungenderisierte & blumige Sprache. Sollten Sie dieses Land irgendwo sehen, helfen Sie, es zu bewahren!“

Wer sich als Opfer versteht, weiß auch die Schuldigen zu benennen. Für Pegida sind dies erstens die politischen Entscheidungsträger und ihr Umfeld (die „politische Klasse“), die Gesamtheit der „Altparteien“, welche die Sorgen und Nöte des kleinen Mannes nicht kennen (wollen), die ihre Privilegien sichern (Plakat: „Politikerabschaum. Volksverräter“). Das sind zweitens die Kultureliten, die Intellektuellen, die Linken, die Antifa­Gruppen, die die traurige Realität beschönigen und ideologisch rechtfertigen. Und das sind drittens von außen kommende Kräfte, seien es hoch organisierte Gruppen von CIA bis zu Al­Qaida, seien es die „Horden“ von Flüchtlingen und „Scheinasylanten“ aus dem Balkan, dem arabischen Raum und letztlich aus der ganzen Welt. Diffuse Verschwörungstheorien eignen sich in besonderer Weise dazu, all dies in einen Zusammenhang zu bringen.

Die dritte Dimension des framing, die Motivierung, enthält die soziale Konstruktion des eigenen Kollektivs und den Aufruf zum Widerstand. Das positiv besetzte Gegenstück zu den inneren und äußeren Feinden ist ein als homogen gedachtes und insofern klar abgrenzbares Kollektiv. Zuweilen figuriert es als ein schlichtes „Wir“ der jeweils Anwesenden und Aufgerufenen. Ein Pegida­Aufruf zum „5. Großen Spaziergang“ im November 2014 ist mit den Zeilen überschrieben: „Jeder muss mit! Für Eure Familie. Für Euer Vaterland.“

Dieses „Wir“ wird nicht nur verbal beschworen, sondern auch durch konkrete Anweisungen an Demonstrierende verstärkt. So können bei Veranstaltungen von Pegida zwar Slogans und Fahnen unterschiedlicher Art und unterschiedlichster Gruppierungen (bis hin zu einer IG­Metall­Fahne einerseits und der Flagge der „Identitären Bewegung“ andererseits) gezeigt werden. Durch Plakate oder Fahnen Parteizugehörigkeit zu bekunden, untersagen die Organisatoren allerdings, um die Suggestion der Geschlossenheit nicht zu untergraben.

„Wir sind das Volk“ ist neben „Lügenpresse“ der am häufigsten gemeinschaftlich skandierte Slogan, der vor allem in den teilweise gezielt gesetzten Kunstpausen der Redner erklingt. Dabei ficht es die Demonstrierenden nicht an, dass ihre Zahl nach wie vor überschaubar ist, dass auch die Facebook­Gemeinde bei einer Größenordnung von unter 200.000 stagniert, dass zuweilen – vor allem in den westlichen Bundesländern – eine Überzahl von Gegendemonstranten präsent ist und zudem bundesweite Umfragen keine große Zustimmung zu Pegida ermitteln. Die Parole „Wir sind das Volk“ ist empirisch falsch. Gedacht ist sie vielmehr als eine normative aufgeladene Selbstzuschreibung: Man ist das „wahre“ Volk. Damit verbindet sich häufig der Mythos einer nahtlosen geschichtlichen Kontinuität, die es zu bewahren und in die Zukunft zu verlängern gelte. Dabei werden, so in einer Rede von Björn Höcke, dem Thüringer Landesvorsitzenden der AfD, tausend Jahre Vergangenheit und tausend Jahre Zukunft auf einen Nenner gebracht.

Aus dem Szenario der akuten und vielfältigen Bedrohung, die die politischen Entscheidungsträger nicht abwehren wollen oder können, erwächst die erklärte Notwendigkeit von Selbsthilfe und Widerstand und damit der Aufruf zur Selbstermächtigung (Plakate bei Pegida: „Ein Patriot muss immer bereit sein, sein Land zu verteidigen“; „maximaler Widerstand“; Wenn Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht“). Das Spektrum der Abwehrmaßnahmen reicht von der Stimmenthaltung beziehungsweise der Unterstützung rechter Parteien (Björn Höcke: „Für mich ist die AfD die letzte evolutionäre Chance für dieses Volk“) über die Forderung nach mehr direkter Demokratie bis hin zur mehr oder weniger offenen Proklamation einer Propaganda der Tat, also letztlich körperlichen Angriffen auf Politiker, Andersdenkende und Flüchtlinge. Dabei gibt es eine Arbeitsteilung zwischen verbalen und symbolischen Attacken im Rahmen von Pegida einerseits und der Handgreiflichkeit rechtsradikaler Zirkel andererseits. Redner von Pegida wecken Verständnis für Aktionen, die als konsequente Fortsetzung jener Kritik begriffen werden können, die AfD, NPD, Pegida und Co. wortreich artikulieren. Manche Rechtsextremisten umgeben sich, wie es der Soziologe Alexander Häusler formuliert hat, mit einer „rechtspopulistischen Hülle“, um für moderatere, aber für Ressentiments anfällige bürgerliche Kreise anschlussfähig zu sein.

Die historischen Parallelen für den auch heute angesagten Widerstand können sehr unterschiedlicher Art sein: der Ansturm der Türken auf Mitteleuropa im 16. Jahrhundert, der Widerstand konservativer Politiker gegen das Hitler­Regime (das zeigt die bei jeder Veranstaltung sichtbare Wirmer­Fahne, die von Joseph Wirmer, einem Mitglied des Widerstands, entworfen wurde), oder aber die Bürgerrechtsbewegung in der DDR (Plakat bei Pegida: „Weil wir die Knechtschaft kennen, ist uns die Freiheit heilig!“). Referenzen finden sich auch auf die linke Ikone Che Guevara, die Linksautonomen (in der Namensgebung „Autonome Nationalisten“) sowie prorussische Separatisten in der Ostukraine.

Einzelne Frames können sich durch die Technik des frame bridging in ein übergeordnetes Master Frame einfügen. Einen Hinweis auf das von Pegida offerierte Master Frame bietet die Namensgebung „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“. Diese Stoßrichtung ist nicht neu. So waren bereits 2008 Vertreter der Wählervereinigung „Arbeit – Familie – Vaterland“ mit dem Slogan „Sachsenmut stoppt Moslemflut“ aufgetreten. Im Grunde geht es jedoch nicht speziell um Islam und Islamisierung, sondern um die Abwehr des „Fremden“ schlechthin. Als Master Frame des heutigen Rechtspopulismus kann somit wohl gelten, ein Bollwerk gegen das Fremde zu errichten.

Rechtspopulisten nutzen ein im Kern überschaubares Repertoire inhaltlicher, rhetorischer und symbolischer Elemente. Je nach Teilgruppe, aktuellen Problemen und öffentlicher Resonanz (Gegenproteste, verstehende oder beleidigende Aussagen von Kommentatoren, Reaktionen von Spitzenpolitikern) können diese Bausteine unterschiedliches Gewicht und unterschiedliche Ausformungen erlangen. Beispielsweise bleiben im Pegida­Kontext manche Positionen anderer rechter Gruppen weitgehend ausgespart (Antisemitismus, expliziter Aufruf zur Gewalt). Insgesamt aber beruht der Rechtspopulismus auf einem prägnanten Grundmuster, das sich mittels des framing­Konzepts in seiner Struktur erschließen lässt. Dieses Muster hat an Attraktivität gewonnen, angesichts stark gestiegener Flüchtlingszahlen, verbaler Ausfälle von Teilen des politischen Establishments, des überbordenden Medieninteresses (angeheizt auch durch eine partielle Verweigerungshaltung gegenüber den etablierten Medien und deren Charakterisierung als „Lügenpresse“) sowie einer starken Gegenmobilisierung mit symbolischen und handgreiflichen Provokationen. Wie viele Menschen Pegida und Co. mobilisieren können, unterliegt konjunkturellen Schwankungen, die durch interne wie externe Faktoren beeinflusst werden. Das rechtspopulistische Deutungsmuster ist aber bei beachtlichen Teilen der deutschen Bevölkerung relativ stabil verankert; es wird voraussichtlich weiterhin Bestand haben, vielleicht sogar an Boden gewinnen.

Literatur

  • Goffman, Erving: Frame Analysis. New York: Harper & Row 1974.
  • Rucht, Dieter: „Pegida und Co. – Aufstieg und Fall eines populistischen Unterneh- mens“. In: betrifft: Bürgergesellschaft. Hrsg. von der Friedrich-Ebert-Stiftung, 2015, Nr. 41, S. 1-15.
  • Snow, David A./Benford, Robert D.: „Ideology, Frame Resonance, and Participation Mobilization“. In: International Social Movement Research, Vol. 1. Greenwich, CT: JAI Press 1988, pp. 197-217.
Leitartikel Meinung
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