Eine Frage des Respekts
Deutschlandweit boomen Arabischkurse für Flüchtlingshelfer
Claudia Ott hat "Tausendundeine Nacht" übersetzt und ist Expertin für orientalische Lyrik. Im Arabischkurs vermittelt sie Engagierten in der Flüchtlingshilfe die Grundlagen der Sprache und zunächst ganz Alltägliches.
Von Karen Miether Dienstag, 10.05.2016, 8:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 11.05.2016, 9:14 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Schwungvoll schreibt Claudia Ott arabische Lettern auf das Flipchart: Begrüßungsformeln und „schukran“ – das Wort für Danke. Von rechts nach links geht das der Arabistin mühelos von der Hand. Viele ihrer Schüler im Urbanus-Rhegius-Haus im niedersächsischen Celle sehen dagegen erst einmal nur Schnörkel und Bögen. „Ein Buch mit sieben Siegeln“, sagt Gertrud von Amsberg. Die 71-Jährige engagiert sich ehrenamtlich in der Flüchtlingsarbeit. Deshalb wagt sie sich an die Herausforderung: Sie will Arabisch lernen und mit der fremden Sprache auch eine neue Schrift.
Mit der Ankunft der Flüchtlinge aus Ländern wie Syrien oder dem Irak boomen nach Beobachtung des Deutschen Volkshochschul-Verbandes auch die Arabischkurse. „Die verstärkte Nachfrage ist vor allem auf das Interesse von Menschen zurückzuführen, die sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe engagieren“, sagt Verbands-Sprecherin Simone Kaucher.
In Niedersachsen etwa ist in 22 Volkshochschulen die Zahl der Kurse gestiegen – vor allem in der Nähe von Erstaufnahmen für Flüchtlinge. Von den 17 Volkshochschulen in Sachsen meldeten mehr als die Hälfte einen spürbaren Anstieg, in Chemnitz hat sich die Nachfrage verdreifacht. Auch in Bayern berichten die Bildungseinrichtungen von steigenden Teilnehmerzahlen. Einige Volkshochschulen haben extra neue Formate geschaffen. So bietet etwa Dinslaken-Voerde-Hünxe in Nordrhein-Westfalen einen Arabisch-Crashkurs für Verwaltungsmitarbeiter an.
Und die Volkshochschulen sind nicht die einzigen. In Celle fördert der evangelische Kirchenkreis den Arabischkurs. Mit Claudia Ott hat er eine besondere Botschafterin der arabischen Kultur engagiert. Die Wissenschaftlerin hat über arabische Epik promoviert. Für ihre Übersetzung der bisher ältesten Handschrift von „Tausendundeine Nacht“ ist sie mehrfach ausgezeichnet worden. „Ich bin von der arabischen Kultur und Literatur fasziniert“, sagt die 48-Jährige.
In ihrem Seminar geht es aber zunächst vor allem um Alltagsdinge, etwa darum, auf einem Dokument zu erkennen, wo der Geburtsort vermerkt ist. Neben den Ehrenamtlichen büffeln auch Mitarbeiter von Behörden, einer Klinik und der Celler Justizvollzugsanstalt bei Claudia Ott. Uwe Noltemeyer trägt noch die blaue Jacke mit der Aufschrift „Justiz“ während er versucht, die besondere Logik der arabischen Sprache zu ergründen und in einem Text Buchstabenfolgen aufzuspüren. „Die Wurzel“, nennt das seine Lehrerin.
In der Untersuchungshaft, wo Noltemeyer arbeitet, sind unter den verschiedensten Nationalitäten zunehmend Gefangene aus dem arabischen Raum. „Bei uns kann das keiner sprechen oder schreiben und Dolmetscher sind nicht immer greifbar“, sagt er. „Schließlich herrscht Betrieb rund um die Uhr.“
Ähnliche Erfahrungen hat die Ärztin Kathrin Schmidt in einer psychiatrischen Klinik gemacht. Um die Menschen in Notsituationen aufzufangen, habe sie dann ein paar Vokabeln ausgegraben, an die sie sich aus früheren Urlauben noch erinnerte. „Man merkt, dass man gleich einen besseren Zugang bekommt“, sagt sie. „Die Menschen sprechen dann ganz viel.“
Dass die Sprache Türen öffnen kann, hat auch Claudia Ott schon oft erfahren. „Im Arabischen lässt man nichts unbeantwortet“, sagt die Rothaarige mit dem blitzenden orientalischen Schmuck in den Ohren. Deshalb schreibt sie neben „Danke“ und „gern geschehen“ auch noch die höflichere Steigerungsform an das Flipchart: „Kein Dank für das, was meine Pflicht ist.“ Zugleich warnt sie schmunzelnd: „Wenn Sie das sagen, werden sie in Arabisch förmlich überschüttet werden.“
Einander besser zu verstehen, darum geht es in dem Kurs. Bei denen, die versuchen, Flüchtlingen Deutsch beizubringen, klingt auch Bewunderung für den Fleiß der eigenen Schüler durch. „Ob Deutsch einfacher ist als Arabisch, weiß ich nicht“, sagt die ehrenamtliche Flüchtlingshelferin Anna Hinrichs. „Aber ich komme ja von der anderen Seite.“ Und ein anderer Teilnehmer sagt: „Es ist auch eine Frage des Respektes, wenigstens ein bisschen Arabisch zu lernen.“ (epd/mig) Aktuell Gesellschaft
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