Der Rassist in unseren Köpfen
Wenn Vorurteile in Fremdenfeindlichkeit umschlagen
Vorurteile sind in jedem Menschen angelegt. Auch die hasserfüllte Fremdenfeindlichkeit im Netz ist keine neue Einstellung, sagt Psychologin Juliane Degner. Aber: "Es ist kein Tabu mehr, sie offen zu zeigen." Von Miriam Bunjes
Freitag, 13.05.2016, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 19.05.2016, 22:23 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Hasskommentare, grölende Mobs und mehr als 1.000 gezählte Angriffe auf Asylunterkünfte allein im vergangenen Jahr – verübt nicht nur von bekennenden Rechtsextremen, sondern auch von unbescholtenen Bürgern. Dies zeigt: Vorurteile und auch blanker Hass gegenüber Fremden werden in Deutschland sichtbarer – auf der Straße wie im Web: „Flüchtlingsströme“, „Überfremdung“, „Invasion“: „Allein diese Sprache zeigt das Ausmaß feindlicher Haltung“, sagt die Hamburger Psychologieprofessorin Juliane Degner.
„Die Einstellungen selbst sind nichts Neues in der Bevölkerung,“ erklärt die Vorurteilsforscherin. Es sei aber kein Tabu mehr, diese laut auszusprechen. Damit entstehe eine gefährliche Dynamik. „Das aktiviert rassistische Einstellungen, die potenziell in jedem von uns stecken,“ sagt Degner.
Auch Andreas Beelmann vom Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus der Universität Jena sagt, Vorurteile habe jeder Mensch. „Es ist und war eben immer ein evolutionärer Vorteil für Menschen, in Kategorien zu denken“, erklärt der Psychologieprofessor, der die Entwicklung von Vorurteilen im Kindesalter erforscht. Schon Kinder im Alter von etwa drei Jahren fangen an, Menschen in soziale Kategorien zu sortieren: zum Beispiel nach Geschlecht, nach Alter – oder auch nach Hautfarbe.
„Das ist nichts grundsätzlich Schlechtes: Ohne diese Kategorien wäre es sehr anstrengend, anderen Menschen zu begegnen,“ sagt Beelmann. Problematisch werde es erst, wenn mit den Kategorien pauschal etwas Schlechtes verknüpft werde: Zum Beispiel Kriminalität mit einer bestimmten Hautfarbe oder auch einer bestimmten Religionszugehörigkeit – und somit alle Menschen in dieser Kategorie mit einer Gefahr verbunden werden.
Zudem werden die Kategorien auch dazu genutzt, sich selbst zu verorten – sie bilden die eigene Identität. „Wer wenig hat, mit dem er sich identifiziert, fühlt sich schnell von anderen in seiner Identität bedroht“, sagt Beelmann. „Und das macht aggressiv.“ Wer außer der Zugehörigkeit zur Gruppe „der Deutschen“ nichts hat – zum Beispiel keine Identifikation über Arbeit -, nimmt Zuwanderer mit höherer Wahrscheinlichkeit als Gefahr für sich wahr.
Gefühle, für die „die anderen“ dann verantwortlich gemacht werden. „Die feindlichen Einstellungen in Deutschland sind nicht von 0 auf 100 durch die Flüchtlingskrise entstanden“, sagt Beelmann. Dass Fremdenfeindlichkeit besonders in Ostdeutschland verbreitet ist, findet er dabei wenig überraschend. Nach der Wiedervereinigung sei das Deutsch-Sein der Ex-DDR-Bürger im gesellschaftlichen Diskurs stark herausgestellt worden. „Gleichzeitig gibt es wenig Kontakt mit Menschen anderer Herkunft, und es gibt soziale Probleme durch Arbeitslosigkeit.“
Eine Mischung, die eine Identitätskrise nährt und Bedrohungsgefühle schürt. „Menschen aus multiethnischen westdeutschen Großstädten werden Menschen unterschiedlicher Herkunft generell weniger stark als fremd kategorisieren, weil sie positive oder zumindest unterschiedliche Kontakte zu ihnen hatten“, erklärt Beelmann.
Laut Degner wird das Fremde in der menschlichen Wahrnehmung aber bei jedem weniger positiv angesehen als das Eigene. Und: Je weniger Wissen über andere Gruppen da ist, desto fremder erscheinen sie. „Im Internet werden diese Leerstellen dann mit Pseudowissen gefüllt“, sagt die Psychologieprofessorin. Kursierende Gerüchte über Kriminalität und Gewaltbereitschaft bestätigen das, was man vorher schon vermutete.“ Auch das sei im menschlichen Gehirn angelegt: „Was an Denkleistung gespart werden kann, spart das Gehirn auch – und greift auf Vorurteile zurück.“
Ein Patentrezept dagegen gibt es nicht: Positive Kontakte wirken gegen Vorurteile, sagen beide Forscher. Aber auf sie müsse sich ein Mensch erst einmal einlassen. „Ein Ort dafür kann der Arbeitsmarkt oder die Schule sein“, sagt Degner. „Denn dort können sich verschiedene Menschen gleichberechtigt in ähnlichen Rollen begegnen.“ Dass Vorurteile in Deutschland salonfähig geworden sind, erschwere allerdings die Integration. (epd/mig) Gesellschaft Leitartikel
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Der „Rassismus“ entsteht im Geldbeutel. Nirgendwo ist man so erpicht Besitzstände zu erhalten wie im hochsubventionierten deutschen Osten. Das ist der Kampf der Gruppen, die vom Staat leben.