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Aus der Genfer Flüchtlingskonvention @ MiG

Die Rede von der Krise

In welche Muster politische Parteien Flüchtlinge einordnen

Der Einwanderungs- und Integrationsdiskurs wird nicht nur über Positionen geführt, sondern auch über Deutungsmuster. Eine Analyse der Wahlprogramme von Parteien aus 14 Ländern zeigt, dass Kultur hierbei eine viel größere Rolle spielt als beispielsweise die Wirtschaft.

Von und Dienstag, 17.05.2016, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 02.06.2016, 12:16 Uhr Lesedauer: 8 Minuten  |  

An der aktuellen Debatte zur Situation der Flüchtlinge in Deutschland lässt sich sehr gut verdeutlichen, wie Deutungsmuster die Wahrnehmung von Themen beeinflussen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat durch ihre Aussagen zunächst die menschenrechtliche Verankerung des Asylrechts hervorgehoben und mit dem Slogan „Wir schaffen das“ versucht, die Flüchtlingsbewegung als Herausforderung darzustellen, die zu bewältigen ist. Schnell gab es Gegenstimmen – vom rechten Rand und aus der CDU­-Schwesterpartei CSU, die sich ein restriktiveres Vorgehen in der Immigrations­- und Asylpolitik wünschten und eine bessere Bewachung der Grenzen forderten. Damit stehen sich zwei Problemrahmungen gegenüber: eine universalistische, die Menschrechte und internationale Abkommen betont, und eine nationalistische, die vor allem nationale Souveränität und innere Sicherheit hervorhebt.

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Die Sozialwissenschaft spricht von Problemrahmungen und Deutungsmustern als Frames. Nicht nur Positionen bestimmen Debatten, sondern auch, wie ein Problem überhaupt gefasst wird. Ein Frame definiert die Einordnung eines Themas in einen bestimmten Interpretationsraum oder ein Problemfeld. So eröffnen sich unterschiedliche Problembeschreibungen und Lösungsmöglichkeiten. Die Wahl des Frames kann sich entscheidend auf den weiteren Diskussionsverlauf und die Gestaltung von Politik auswirken. Im Blick auf die aktuelle Debatte in Deutschland zeigt sich, dass die Wahl des Begriffs „Flüchtlingskrise“ bereits einen Frame darstellt. Der Begriff enthält nicht nur eine Beschreibung, sondern bereits eine Deutung der Situation. Wir haben die Betrachtung von Frames gewählt, um zu untersuchen, wie Parteien den Diskurs über Migration und Integration mitbestimmen. In einem vergleichenden Projekt haben wir Wahlprogramme von Parteien in 14 Ländern analysiert und mithilfe von quantitativer Textanalyse herausgearbeitet, auf welche Frames Parteien zurückgreifen. Bei der Analyse der Wahlprogramme haben wir auf die Methode des Crowd Coding zurückgegriffen.

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Wir haben Wahlprogramme eines bereits bestehenden Datensatzes (Manifesto Projekt) auf eine Crowd-Coding­Plattform gestellt. So konnten wir Codierer in vielen Ländern erreichen, die die Wahlprogramme der Parteien anhand der Frage kodiert haben, ob sich die einzelnen Argumente aus den Programmen um die Themen Immigration oder Integration drehen. Wie viele Parteien in ihren Wahlprogrammen über diese Themen sprechen, unterscheidet sich stark zwischen den Ländern, aber auch zwischen den einzelnen politischen Parteien und Parteifamilien. In den klassischen Einwanderungsländern USA, Kanada, Australien und Neuseeland spielen Immigrationsfragen nur eine geringe Rolle im Parteienwettbewerb, wohingegen sie zum Beispiel in Dänemark einen beachtlichen Teil der parteilichen Auseinandersetzung einnehmen. Bei den Parteifamilien sind es, wie zu erwarten, vor allem die rechtsradikalen und rechtspopulistischen Parteien, die Immigrationsfragen betonen, die geringste Aufmerksamkeit bekommen sie dagegen in den Programmen von Regional­- und Agrarparteien.

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Die mithilfe der Crowd identifizierten Sätze zu Immigration und Integration konnten dann durch eine Verbindung mit den bereits bestehenden Kodierungen aus dem Manifesto Projekt den unterschiedlichen Frames zugeordnet werden. Innerhalb des Manifesto Projekts werden seit über 30 Jahren Wahlprogramme inhaltsanalytisch untersucht; auf der Basis dieser Analyse werden Parteipositionen bestimmt. Für unsere Analyse haben wir drei Frame­-Dimensionen unterschieden: eine wirtschaftliche, eine administrative und eine kulturelle. Die wirtschaftliche Dimension umfasst Aussagen zum Widerstreit von freier Marktwirtschaft und Protektionismus sowie zum Wohlfahrtsstaat, die administrative Dimension beinhaltet Zuständigkeitsfragen in Hinsicht auf Migration und Integration. Darunter fallen Fragen, die auch in der aktuellen Debatte immer wieder auftauchen, zum Beispiel: Soll die Verteilung der Flüchtlinge auf nationaler oder auf europäischer Ebene geregelt werden?

Die kulturelle Dimension schließlich hat sich in der Analyse als die wichtigste erwiesen. Die Deutungsmuster innerhalb der kulturellen Dimension lassen sich in fünf Frames fassen. Der Multikulturalismus­Frame greift Aussagen auf, die kulturelle Diversität befürworten und sich gegen eine Leitkultur aussprechen und damit im Gegensatz zu den Aussagen des Nationalismus­Frame stehen. Der Frame zu universellen Rechten beinhaltet Aussagen, die im Zusammenhang mit Migration die Menschen­ und persönlichen Freiheitsrechte sowie die Gleichheit der Menschen betonen. Innerhalb des Frames „Innere Sicherheit“ werden vor allem strafrechtliche Fragen in Bezug zu Immigration und Integration gesetzt. Im Internationalistischen Frame schließlich werden Ursachen von Migrationsbewegungen benannt und der Umgang mit Migration in einen internationalen Kontext eingeordnet.

Unsere Analyse der Wahlprogramme zwischen 1998 und 2013 zeigt, dass nicht nur in der deutschen Debatte der letzten Monate, sondern auch in anderen Ländern Migration und Integration vor allem unter kulturellen Gesichtspunkten diskutiert werden. Allerdings verwenden die Parteien die einzelnen Frames der kulturellen Dimension in sehr unterschiedlicher Intensität. Alle Parteifamilien aus dem linken Spektrum, die wir in dieser Studie untersucht haben, also Sozialisten, Sozialdemokraten und Grüne (die einzig vorfindliche kommunistische Partei haben wir gemeinsam mit den Sozialisten betrachtet), tendieren zu einer Rahmung von Migrations­- und Integrationsfragen in universalistischen Begriffen wie Gleichberechtigung, Inklusion und Gerechtigkeit, während Parteifamilien des rechten Spektrums eher innere Sicherheit und die Bedeutung nationaler Kultur betonen. Das ist insofern nicht überraschend, als diese Parteifamilien im Durchschnitt auch bei Migrationsfragen ihren programmatischen Grundlinien folgen. Interessant wird es allerdings, wenn man Länder mit rechtspopulistischen und rechtsradikalen Parteien mit solchen vergleicht, in welchen diese Parteien keine Erfolge feiern konnten. Hier zeigt sich, dass Parteien im Wettbewerb mit rechtspopulistischen und rechtsradikalen Parteien nicht nur ihre Positionen in Migrations-­ und Integrationsfragen ändern: Sie übernehmen auch verstärkt nationalistische Frames und solche der Inneren Sicherheit. Das gilt interessanterweise auch für Parteien des linken Parteienspektrums, die unter dem Druck des Wettbewerbs um Wählerstimmen universalistische Frames etwas weniger und nationalistische Frames etwas häufiger nutzen als linke Parteien, die diesem Wettbewerbsdruck nicht ausgesetzt sind.

Von Bedeutung ist nicht nur, ob eine rechtsradikale Partei den Einzug ins Parlament geschafft hat, sondern auch wie stark diese Partei ist und ob sie als möglicher Koalitionspartner oder Mehrheitsbeschaffer infrage kommt. Wie stark sich die Deutungsmuster und Problemrahmungen zwischen Ländern mit unterschiedlich starken rechtsradikalen Parteien unterscheiden, lässt sich beispielhaft im Vergleich Dänemark-Schweden zeigen. Hier ergänzen wir die quantitative mit einer qualitativen Analyse der in den Wahlprogrammen der dänischen und schwedischen Parteien verwendeten Frames. Dies ermöglicht eine detailliertere Betrachtung dessen, wie einzelne Problemrahmungen und Deutungsmuster zusammenwirken, indem sie sich zum Beispiel verstärken oder aufheben. Dänemark besitzt mit der Dänischen Volkspartei schon seit Langem eine im Parlament etablierte rechtspopulistische Partei, die die Minderheitsregierung im Parlament unterstützt und somit de facto an der Gesetzgebung beteiligt ist. Schweden dagegen gilt als ein sehr offenes, einwanderungsfreundliches Land. Allerdings zogen hier 2010 die rechtspopulistischen Schwedendemokraten erstmals ins Parlament ein – wenn auch ohne Regierungsbeteiligung oder eine sonstige Zusammenarbeit mit den etablierten Parteien.

Der Diskurs in den dänischen Wahlprogrammen ist deutlich von einer einwanderungsskeptischen Sicht geprägt. Wir konnten bereits zeigen, dass in den Wahlprogrammen sehr häufig negative Frames vorkommen. In der detaillierteren Analyse zeigt sich, dass diese negativen Frames häufig genutzt werden, um Aussagen innerhalb positiver Frames abzuschwächen. So sind fast alle Aussagen zum Zuzug von Migranten und Migrantinnen von Einschränkungen begleitet. Zum Beispiel wird sofort hinzugefügt, dass es bei der Aufnahme von Flüchtlingen nicht um „Masseneinwanderung“ gehen könne, sondern nur um einige „Quotenflüchtlinge“. Die Betonung der Aussage, dass ausländische Arbeitskräfte nicht ausgenutzt werden sollten, wird von der Diskussion begleitet, dass dies sonst negative Auswirkungen für dänische Arbeiter (etwa durch Lohndumping) hätte. Der einzige Einreisegrund, den viele Parteien akzeptieren, ist der Zuzug von ausländischen Partnern dänischer Staatsbürger. Einwanderung wird also immer wieder nationalistisch gerahmt, indem zum Beispiel hohe Einwanderungszahlen als Bedrohung für die dänische Gesellschaft dargestellt werden.

In der schwedischen Debatte werden dagegen viel stärker das grundsätzliche Recht der Flüchtlinge auf Schutz und der menschliche Aspekt der Asylpolitik hervorgehoben. Auch die Diskussion um den Erwerb der neuen Sprache wird sehr unterschiedlich geführt. In Schweden wird betont, dass Sprachkurse ausgebaut werden sollen, um den Flüchtlingen das Einleben zu erleichtern, gleichzeitig soll aber auch der Muttersprachunterricht gefördert werden (Multikulturalismus­-Frame). Hingegen liegt in der dänischen Debatte der Fokus beim Spracherwerb nicht auf der Erleichterung des Alltags, sondern darauf, dass er Bedingung für die geforderte Integration ist (nationalistischer Frame). Interessanterweise gibt es in der schwedischen Debatte nur sehr wenige Aussagen, die sich gegen eine multikulturelle Gesellschaft stellen. Alle Aussagen, die sich hierzu finden, kommen aus dem Wahlprogramm der Schwedendemokraten von 2010. Offensichtlich haben sich die anderen Parteien zu diesem Zeitpunkt noch nicht von dieser Debatte anstecken lassen.

Frames bestimmen nicht nur, was als Problem definiert wird, sondern beinhalten – wenn auch oft implizit – moralische Bewertungen. Sie strukturieren damit die Debatte in Hinsicht auf mögliche Lösungen vor. Dies zeigt sich prägnant an der aktuellen Verwendung des Begriffs der „Flüchtlingskrise“. Wird dieser Frame von vielen Parteien geteilt, kann er zwar weiterhin gegensätzliche Positionen beinhalten. Weil aber die Krisensemantik unmittelbare Entscheidungsnotwendigkeit suggeriert, müssen schnell Lösungen präsentiert werden. Handlungsalternativen, deren Umsetzung und Wirkung mittel­- und langfristig angelegt sind, geraten aus dem Blickfeld.

Literatur

Goffman, Erving: Frame Analysis: An Essay on the Organization of Experience. CN 372 of Harper Colophon Books. New York: Harper & Row 1974.

Lehmann, Pola/Zobel, Malisa: A Question of National Pride or Universal Rights: How Parties Frame Immigration Issues. Chicago: MPSA, 16-19 April 2015.

Lehmann, Pola/Matthieß, Theres/Merz, Nicolas/Regel, Sven/Werner, Annika. Manifesto Corpus. Berlin: Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung 2015.

Sniderman, Paul M./Theriault, Sean M.: „The Structure of Political Argument and the Logic of Issue Framing“. In: William E. Saris/Paul M. Sniderman (Eds.): Studies in Public Opinion. Princeton, N.J: Princeton University Press 2004, pp. 133-165.

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