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Verschollen an der Grenze

Flüchtlinge suchen ihre Angehörigen

Auf dem Weg nach Europa gibt es viele Tote. Allein in diesem Jahr verschwanden mehr als 1.300 Menschen im Mittelmeer. Ihre Familien suchen sie verzweifelt. Viele gehen von einem Tod durch Ertrinken aus. Von Mey Dudin

Von Mey Dudin Montag, 23.05.2016, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 29.05.2016, 21:20 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Am 18. November 2015 machte sich der 19-jährige Syrer Sabri mit Schleppern auf den Weg nach Griechenland. Die Gruppe wollte sich von der Türkei aus über die Landgrenze schleichen, da das Mittelmeer im stürmischen Spätherbst zu unruhig war. Die letzten Meter in die Europäische Union sind besonders gefährlich: Die Gruppe musste über den Grenzfluss Evros, dessen tückische Strömungen oft unterschätzt werden. Es war das letzte Mal, dass Skher Krki von seinem ältesten Sohn hörte.

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Krki ist heute selbst in Griechenland. Als sein Sohn sich nicht mehr meldete, stieg die Familie Ende Januar in ein kleines Boot von Schleppern, das sie nach Europa brachte, auf die Insel Lesbos: Skher Krki, seine Ehefrau und die sieben Kinder, das jüngste erst zwei Jahre alt. Von dort aus nahmen sie eine Fähre nach Athen, wo sie Asyl beantragten und sich für eine Umsiedlung in ein anderes europäisches Land bewarben. Krki wandte sich zudem an das Rote Kreuz in der Hoffnung, dass die Organisation seinen Sohn findet.

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Das taten im vergangenen halben Jahr auch viele andere Flüchtlinge. Mitarbeiter des Roten Kreuzes stellten im Herbst 2015 fest, dass sich deutlich mehr Menschen an den Suchdienst wandten als zuvor. Auf der Webseite „trace the face“ veröffentlichten die Suchenden Fotos von sich und gaben an, nach wem sie suchten: nach dem vermissten Vater, nach der Schwester, nach dem Kind oder nach dem Neffen.

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Inzwischen sind rund 1.020 Bilder in der Datenbank – vor allem von Flüchtlingen aus Afghanistan, dem Irak, Iran und Syrien. Das dürfte nur ein kleiner Teil der tatsächlichen Fälle sein. „Viele wenden sich erst dann an den Dienst, wenn sie in ihrem Zielland angekommen sind“, weiß Lucile Marbeau, Sprecherin der französischen Delegation des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz. Zunächst versuchen es die meisten außerdem selbst über das Internet.

In vielen Fällen bleibt die Suche jedoch vergeblich. Nach Angaben der internationalen Organisation für Migration (IOM) sind in den ersten vier Monaten dieses Jahres mehr als 192.000 Flüchtlinge und Migranten in Europa angekommen – die große Mehrheit über das Meer. Allein in diesem Jahr wird die Zahl der insgesamt im Mittelmeer verschollenen oder gestorbenen Menschen zugleich auf 1.357 beziffert. Die Statistik unterscheidet nicht zwischen Toten und den im Meer Verschollenen.

Der Syrer Krki, der sich Abu Sabri nennt, hat inzwischen traurige Gewissheit. Das Rote Kreuz machte den Leichnam seines Sohnes ausfindig. „Er lag 14 Tage im Fluss und konnte aufgrund der Verwesung nicht mehr ohne Weiteres identifiziert werden“, sagt Constantinos Couvaris, ein Forensiker, der für das hellenische Rote Kreuz arbeitet. Eine DNA-Probe, die Krki abgab, bestätigte am 18. April, dass es sich bei dem Toten, der im Leichenhaus eines Krankenhauses in Nordgriechenland aufbewahrt wurde und der Sabris Papiere bei sich trug, tatsächlich um den vermissten Sohn handelte.

Damit wurde zwar die wichtigste Frage geklärt, doch unklar bleiben die Umstände. Im Fall Sabri Krki gab es „keinen gewaltsamen Tod“, sagt Couvaris, „er wurde nicht erschossen, nicht erstochen, auch nicht erwürgt“. Ob der junge Mann ertrunken oder etwa an einer Embolie gestorben sei, das könne er Wochen nach Eintritt des Todes nicht mehr mit Sicherheit sagen.

Er geht aber von einem Tod durch Ertrinken aus. „Der Evros wird oft unterschätzt“, sagt er. „Stellenweise ist er wegen der heftigen Strömung sogar gefährlicher als das Mittelmeer.“ Selbst Fischer seien dort schon ertrunken. Viele Baumwurzeln reichten zudem tief in den Fluss hinein. „Wenn sich Tote darin verfangen, findet man sie nie wieder.“

Wenige Tage vor der Todesnachricht hatte Krki einen weiteren Bescheid bekommen: Zwei seiner Kinder, die 21-jährige Tochter und der 18-jährige Sohn, dürfen nach Frankreich umsiedeln, die übrigen Familienmitglieder nicht. Sie müssen versuchen, wenigstens in Griechenland zu bleiben – in dem Land, in dem Sabri beerdigt sein wird. (epd/mig) Gesellschaft Leitartikel

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