Mein Alltagsrassismus
Wie ich gelernt habe, dass ich nicht weiß bin
27 Jahre meines Lebens dachte ich, ich sei weiß. Ein persönlicher Text darüber wie ich gelernt habe mich davon zu verabschieden, als was ich mich stattdessen sehe sowie Erfahrungen mit Alltagsrassismus. Von Aria Wojciechowski
Von Aria Wojciechowski Mittwoch, 13.07.2016, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 17.07.2016, 12:05 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Es war die Abschlussarbeit meines Masterstudiums, die mich gelehrt hat, dass ich eines nicht bin: weiß 1. Dies galt es sofort festzuhalten, und zwar in Form einer sogenannten „Selbstpositionierung“. Das ist so üblich bei wissenschaftlichen Arbeiten, die sich mit Rassismus oder Kolonialismus beschäftigen. Beides war bei mir der Fall. Ich strich also die Zeile, in der ich mich als weiß definiert habe und schrieb stattdessen: ich bin ein Mann Of Color 2.
Eine entscheidende Zäsur sollte mein Leben mit diesen Worten erfahren. Mein nicht hinterfragtes, über Jahre gewachsenes Selbstverständnis weiß zu sein, ist stattdessen der neuen Erkenntnis, of Color zu sein, schlagartig gewichen. Ein Perspektivenwechsel.
Als ich noch weiß war
Ich bin mit einer weißen Mutter aufgewachsen. Meinen Vater kannte ich quasi nicht. Aber es muss sein Erbgut gewesen sein, welches mir jene äußerlichen Merkmalen verlieh, die mich anders aussehen lassen als eine herbei fantasierte weiß-deutsche-Norm. Mein anerzogenes Wissen speiste sich somit aus den Erfahrungen meiner Mutter, einer Migrantin, einer weißen Migrantin. Schnell lernte ich wie soziale Ausschlussmechanismen entlang den Grenzen der Kategorien von Sprache (Stichwort „ausländischer Akzent“), Vor- und Nachname und familiären Background entstehen. Meine äußerlichen Merkmale wie z.B. Haarfarbe und Hautton waren für mich aber lange Zeit kein Thema. Zu stark meine kindliche Vorprägung, zu beschränkt mein Wissen um die durchaus unterschiedlichen (Spiel-)Arten und Wirkungsweisen von Rassismus, zu weiß auch mein Umfeld, als dass neue Perspektiven mir zu anderem Blickwinkel verholfen hätten. Selbst als mir in der Schulzeit – nur spaßeshalber versteht sich – „Schwarzkopf“ hinterhergerufen wurde, selbst als meine Abende öfter vor (!) dem Club, statt wie bei meinen weißen Freund*innen im Club endeten, selbst dann habe ich keine Verbindung zum Melanin- und Farbpigment-Anteil meiner Haut bzw. meinen Haaren gezogen. Trotz all dem, das heißt trotz meines Heranwachsen als weißer Mann und trotz der Bemühungen einiger meiner weißen Freund*innen mir einzureden, ich sei doch einer von ihnen und man hätte mich schon immer als weiß und „so normal“ gesehen, weiss ich‘s jetzt besser: Ich bin nicht weiß. Basta!
Ich bin of Color,
das heißt einer herrschenden Imago einer weißen Norm nicht gerecht werdend. Erst mit meiner Masterarbeit und der Auseinandersetzung mit kritischen theoretischen Konzepten gewann ich Wissen und jene Erkenntnisse, die mir verhalfen, frühere Erfahrungen aus meiner Kindheit und Jugend zu decodieren und neu zu deuten. Erfahrungen, die ich ausgeblendet hatte, vielleicht weil ich sie mir nicht verständlich machen konnte. Ein leeres Gefühl eines subtilen und kaum zu greifenden Nicht-Teil-Seins blieb dennoch übrig.
Of Color zu sein ist nicht gleichbedeutend mit nicht-weiß sein. Es macht einen großen Unterschied aus, ob ich mich über etwas definiere, was ich nicht bin – also nicht-weiß – oder ob ich mich darüber definiere, was ich bin, nämlich Of Color. Ersteres ist nur eine Zustandsbeschreibung und eine Abfindung mit dem herrschenden Status quo, während die (Selbst-)Positionierung als POC eine emanzipatorische Bewusstseinswerdung ist, die die Absicht gesellschaftliche Missstände zu verändern mit sich trägt. Missstände, die mir und anderen Menschen Of Color Erfahrungen bescheren, die Mitgliedern einer weißen Mehrheitsgesellschaft erspart bleiben. Einige prägnante Beispiele aus der letzten Zeit, die mir in Erinnerung geblieben sind:
- Am Bahnhof von Bundesgrenzschützern als einziger kontrolliert zu werden, während alle anderen unbehelligt passieren können.
- Des Diebstahls beschuldigt zu werden, weil ich versehentlich in einem Tourismusbüro in Brandenburg die private anstatt die öffentliche Toilette benutzt habe.
- In einem Bewerbungsgespräch die meiste Zeit über meinen vermeintlichen Akzent, deren Herkunft und über meine Familiengeschichte ausgefragt zu werden und weniger über meine Fertigkeiten für den Job.
- Von einem Polizisten überdeutlich gefragt zu werden: „SPRECHEN SIE DEUTSCH?“
- Von einem anderen Polizeibeamten geduzt zu werden, weil ihm meine Nachname zu kompliziert war. (Das war tatsächlich die Begründung.)
- Hinter meinem Rücken gefragt zu werden, was für eine Staatsangehörigkeit ich denn tatsächlich besitze.
Die letzten drei Beispiele spielten sich unabhängig voneinander an nur einem Wochenende ab. Aus solch gesammelten Erfahrungen lernt mensch, Konsequenzen abzuleiten: das Meiden von Orten, von bestimmten Situationen sowie das Meiden von Gesprächsthemen oder Personen. Anstatt dass diese Konsequenzen als solche per se in Frage gestellt werden („Du kannst doch jetzt nicht pauschalisieren und den ganzen Ort verteufeln!“), meine Erfahrungen mit Rassismus an sich angezweifelt werden („Vielleicht meinte sie das gar nicht so.“ und „Das muss jetzt nicht unbedingt mit deinem Aussehen zu tun haben.“) oder sogar mir meine Positionierung als People Of Color komplett abgesprochen wird („Mein Papa hat auch dunkle Haare und wird auch oft für einen Ausländer gehalten, dabei ist er Deutscher.“), würde schlichte Akzeptanz gepaart mit einem Hauch Verständnis für die eigene Perspektive gut tun. Denn auch wenn ich es mir oft nicht eingestehen möchte, da Stärke der Schwäche den Rang ablaufen soll, ist das Erfahren von Alltagsrassismus unangenehm genug. Da werden weitere Rechtfertigungsbemühungen der eigenen Position Willen zu einer unnötigen Last.
Um was es geht
Es ist kein Leichtes über diese Erfahrungen öffentlich nachzudenken und zu schreiben. Vielleicht mag es richtig sein, dass ich mir mit diesem Text etwas von der Seele rede und das kurze Zeitfenster der Aufmerksamkeit meinen Erfahrungen einen Legitimationsvorschub leistet. Auf der anderen Seite beschleicht mich wiederum das Gefühl, mir nicht rechtens eine Position rauszusuchen, die doch „so schlimm nicht ist“ (gerade weil ich oft als weiß „durchgehe“) und von der aus ich moralisierend mit dem Finger auf andere zeige. Mitnichten ist dem so! Es geht in erster Linie nicht darum, vermeintliche Täter*innen zu benennen und somit Schuld anhand von Menschen zu konkretisieren. Weniger sind Menschen, die Rassismus reproduzieren und mir oder anderen rassistische Ausgrenzungserfahrungen bescheren, das Problem, sondern rassistisches Wissen und rassistische Traditionen, welche sich in Kinderbüchern, in Werbung wie auch in Medienberichterstattungen der hiesigen Gesellschaft widerspiegeln. Kurz: All jene Narrative, die unreflektiert als Teil einer Kultur gehandelt werden und durch Differenz nach außen „die Anderen“ über vermeintlich feste Kategorien wie Herkunft, Kultur, Sprache, Haut- und Haarfarbe und anderen phänotypischen Merkmalen rassifizieren.
Daher ist es vor allem mein Ziel mit diesem Text meine persönlichen Erfahrungen mit Alltagsrassismus Teil eines deutschen Narrativs werden zu lassen und sie somit aus der Versenkung der abwertenden „Mit“-Präfixe zu holen. Erst wenn Erfahrung mit Rassismus losgekoppelt ist von den Topoi der „ausländischen Mit(!)bürger“ und den „mit(!) Migrationshintergründlern“, kann Aufarbeitung und Überwindung folgen.
- Ich beziehe mich nicht auf die tatsächliche Hautfarbe, wenn ich ,weiß‘ kursiv schreibe – da es keine „weißen“ und „schwarzen“ Menschen im begrifflichen Sinne von Farbe gibt – sondern auf kulturelle und politische Konstruktionen.
- Entstammt der Selbstbezeichnung People Of Color (kurz: POC), welche in Abgrenzung zur einer dominant-weißen Mehrheitsgesellschaft als solidarisches Gegenkonstrukt in den 1960er Jahren von der „Black Power“-Bewegung in den USA kreiert wurde.
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Es sind oft die scheinbar kleinen und nebensächlichen Erfahrungen, die sich in die Seele brennen … vor allem wenn sie eine schleichende und zunächst leise Kontinuität haben, welche sie vom Bewusstsein fernhält … doch immer kommt der Tag X … und dann geht der Kampf los … oft ein Leben lang … ich wünsche dem Schreiber, dass es ihm gelingt dieses Widerstandspotential produktiv zu transformieren …
Josef Özcan / Diplom Psychologe / http://www.mig-gesundheit.com
Der Rassismus ist nach meiner Ansicht Teil eines viel größeren Problems einer jeden Gesellschaft – der Oberflächlichkeit.
Wobei ich den Begriff Oberflächlichkeit viel breiter fasse. Es geht nicht allein um das Aussehen, sondern auch um die Art zu sprechen, das Verhalten usw.
Das, was drinnen ist, der Mensch und seine Seele, interessiert in unserer Gesellschaft fast niemanden. Das Einzige, was zählt, ist „der Eindruck, den er vermittelt“. Das „menschliche Geschöpf“ dahinter „juckt“ niemanden.
Rassismus sehe ich als unabdingbare Komponente der kapitalistischen Ideologie. Kapitalismus kann ohne die verschiedensten Formen von Obrigkeitsverhältnissen, Rassismus ist eine Form, nicht existieren.
Mir gefällt die Lesart von „Mensch“ sehr. Tatsächlich gehört Menschenfeindlichkeit in den Kontext von Oberflächlichkeit von mangelnder menschlicher Durchdringung. Unmenschlichkeit beginnt da, wo einem Außen kein Innen mehr zugestanden wird … wo Menschen andere Menschen zu vergegenständlichen suchen und im Extrem wo Menschen anderen Menschen ihre Menschlichkeit abzusprechen suchen …
Josef Özcan
Für einen Schwarzen ist der Autor mit Sicherheit ein Weißer. Das ist Jammern auf hohem Niveau und ist schädlich für den wahren Rassismus. Dunkle Haare zu haben (Fotos Internet) ist nichts besonderes, und macht aus einem Weissen noch kein People of Color. Das würde kein Schwarzer so akzeptieren, ja ich finde es schon fast anmaßend. Wir ersetzen das Wort „weiß“ in diesem Fall einfach mal mit „Durchschnitts-Deutscher“, das ist logischer und ehrlicher. Tja, der Autor hat also ein Problem damit, nicht wie ein Durchschnittsdeutscher auszusehen. Aber… ist das nicht toll? Wer will schon wie ein Durchschnittsdeuscher aussehen, wenn man so gut aussehen kann, wie der Autor? Nein, Rassismus ist was anderes. Ich bitte Sie.
„Rassismus sehe ich als unabdingbare Komponente der kapitalistischen Ideologie. Kapitalismus kann ohne die verschiedensten Formen von Obrigkeitsverhältnissen, Rassismus ist eine Form, nicht existieren.“
Selten so einen Unsinn gelesen, @HeyderBra, gut das Sie offensichtlich nie in der „DDR“ haben leben müssen. Der „real existierende Sozialismus“ hätte dann ja eine gänzlich Obrigkeitsfreie Zone sein müssen. Meine Güte!
Das genaue Gegenteil war der Fall! So standen wir im Schulsystem Margot Honneckers morgens stramm vor unseren Lehrern, niemand wagte sich zu mucksen während des Unterrichts, das Hinterfragen des zugeführten Stoffs wurde im Keim erstickt und führte obendrein noch zu höchst unangenehmen Befragungen der Eltern wg.offenbar mangelndem Klassenbewusstsein in Erziehungsfragen.
Behördengänge waren Spiessrutenläufe. Die Apparatschiks waren nahezu allmächtig und der Bürger war Bittsteller mit Recht auf gar nichts.
Und wenn sie jemals gehört hätten, wie die wenigen, sich vertragsgemäß im Land aufhaltenden Kubaner oder Vietnamesen als „Fidschis“ verspottet wurden, dann hätten Sie mal ein realistisches Bild des „Antirassismus“ in der Weltanschauung Ihrer Wahl erhalten können
Nach der Flucht mit den Eltern neu im Westen habe ich an meinen ersten Schultagen geglaubt ich träume. Ich werde noch heute zornig darüber, wie der „klassenbewusst“ mir eingebleute Devotismus gegenüber Lehrern und anderen „Erziehungsberechtigten“ mich zunächst in der Klasse zur völligen Außenseiterin hat werden lassen.
Ich bin weis Gott keine Polemikerin, bin aber doch versucht zu sagen: Träumen Sie weiter!
Den Vergleich mit der DDR haben Sie angestrengt. Dass die DDR und ihre Bevölkerung mit Menschen anderer Herkunft, Hautfarbe, Religion etc. nicht umgehen konnte, bestreite ich gar nicht. Ganz im Gegenteil, da bin ich bei Ihnen. Der extreme und primitivste Form von Rassismus ist auch heute noch überwiegend in Ostdeutschland zu verorten.
Gleichwohl glaube ich, dass Rassismus da besonders gedeiht, wo der Konkurrenzkampf und der Leistungsdruck besonders stark und gleichzeitig soziales Verhalten in der Gesellschaft schwach wahrnehmbar ist. In einem Land, in dem immer mehr Sozialabbau betrieben wird, tritt auch Rassismus mehr offen zutage.
Und noch was. Ich bin gerne ein Träumer.