Grüße von einer Doppelstaatlerin
Offener Brief an die Gegner der doppelten Staatsbürgerschaft
Die doppelte Staatsbürgerschaft steht wieder in der Kritik. Gegner werfen "Türken" vor, sich zu sehr für die türkische Politik zu interessieren. Martina Yaman kann das nicht nachvollziehen. Sie lebt in der Türkei, hat zwei Pässe und interessiert sich sehr für deutsche Politik.
Von Martina Yaman Dienstag, 16.08.2016, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 17.08.2016, 17:44 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Sehr geehrte Gegner der doppelten Staatsbürgerschaft, liebe Verteidiger eines gepflegten Nationalismus!
Ja, ich habe zwei Pässe. Auch noch, um das Ganze noch schlimmer zu machen, einen Deutschen und einen Türkischen. Um dem ganzen noch die Krone aufzusetzen: Ich habe den Türkischen freiwillig angenommen, nicht wegen bürokratischem Aufwand und rechtlicher Nachteile allein, nein, weil es auch eine emotionale Geschichte ist. Ich fühle mich dem Land, in dem ich lebe und in dem mein Mann geboren würde, nämlich verbunden. Es hat auch etwas mit Zugehörigkeitsgefühl zu tun – ohne die Staatsbürgerschaft, in die ich geboren bin und der ich mich nach wie vor verbunden fühle, aufgeben zu müssen.
Würde man auf Sie hören und die doppelte Staatsbürgerschaft nicht mehr zulassen, hätte das extreme Auswirkungen auf Auslandsdeutsche, die oft zur deutschen noch die Staatsbürgerschaft ihres „neuen“ Heimatlandes beantragen. Im Falle der Türkei ist es nun mal so, dass die Gesetzgebung Ausländer oft vor unlösbare Probleme stellt und es ein genauso unlösbares Problem wäre, die deutsche Staatsbürgerschaft abzugeben. Weg ist nämlich dann weg im Sinne von „genauso wie nie gehabt“ – das heißt, als ehemalige Deutsche, die viele Jahre in die deutsche Rentenkasse und an den Fiskus gezahlt hat, als Deutsche, die enge Familienangehörige in Deutschland hat und auch noch immer Freunde und eine emotionale Bindung ans Geburtsland, müsste ich, um dieses zu besuchen, ein Besuchervisum beantragen. Ich wäre dann rechtlich gleichgestellt mit denen, die noch nie in Deutschland gelebt haben. Das ist schlichtweg nicht zu fassen – denn pikanterweise können diejenigen, bei denen die doppelte Staatsbürgerschaft problemlos akzeptiert wird (und zwar ohne jeglichen bürokratischen Aufwand), auch ohne die deutsche Staatsangehörigkeit Deutschland jederzeit besuchen. Absurd?
Warum soll es eigentlich gerade im Falle der Türken so ein Problem sein, zwei Pässe zu besitzen? Egal ob ich den deutschen Pass nun habe oder nicht, das Gefühl, dass meine Wurzeln in Deutschland sind, wird mich bis an mein Lebensende begleiten, auch wenn mich nicht mehr wirklich etwas (außer zum Urlaub und meine Familie zu sehen) nach Deutschland zieht.
„Stellen Sie sich das mal vor – auch ich interessiere mich und kommentiere nach wie vor die deutsche Innenpolitik, obwohl ich gar nicht in Deutschland lebe. Ich halte das für mein gutes Recht.“
Meine Kinder, liebe Doppelpassgegner, haben einen türkischen Vater und eine deutsche Mutter – müssen sie sich nach Ihrer Auffassung auch entscheiden? Für wen? Muttersprache oder Vaterland? Meine Kinder bezeichnen sich ganz selbstverständlich als Deutsche – und als Türken. Sie sitzen nicht etwa zwischen zwei Stühlen oder müssen sich für eine der beiden Kulturen ihrer Eltern entscheiden. Sie fühlen sich reich und beschenkt, weil sie in zwei Kulturen zuhause sind und schon in frühester Kindheit gelernt haben, dass es mehr gibt als nur eine Sicht der Dinge, was Sie bis heute nicht verstanden zu haben scheinen.
Dass es aus Gründen der „Loyalität“ nicht möglich sein soll, zwei Staatsbürgerschaften zu besitzen, ist eine seltsame Ansicht – wieviele Deutsche ohne irgendeinen Bezug oder gar ohne einen Pass eines anderen Landes fühlen sich Deutschland nicht zugehörig oder negieren gleich ganz, dass es einen Staat Deutschland gibt? Sollten die Sie nicht viel mehr beunruhigen als diejenigen, die aus freier Entscheidung die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen haben?
Das Problem scheinen ja vor allem die Türken zu sein, die eine Ihnen nicht genehme Regierung ihres Herkunftslandes unterstützen – und die sich auch nach wie vor für die türkische Innenpolitik interessieren. Stellen Sie sich das mal vor – auch ich interessiere mich und kommentiere nach wie vor die deutsche Innenpolitik, obwohl ich gar nicht in Deutschland lebe. Ich halte das für mein gutes Recht, denn auch wenn ich den türkischen Pass angenommen habe, ist Deutschland immer noch „mein“ Land. Genauso wie die Türkei.
Hier hat mich im Übrigen im Zuge der Beantragung der türkischen Staatsangehörigkeit kein Mensch gefragt, wo ich politisch stehe in Bezug auf die Türkei. Weder die Ausländerpolizei, bei der zwei Befragungen anstanden, noch die „Kommission“, die bei allen Bewilligungen das letzte Wort hat, haben auch nur ein Sterbenswörtchen zur türkischen Innenpolitik fallengelassen. Und soweit ich das in meinem deutsch-türkischen Bekanntenkreis mitbekommen habe, auch bei niemand anderem. Nicht mal eine Unterschrift von mir war gefordert, dass ich gedenke, die türkische Verfassung zu achten und zu ehren. Dass ich mich zur türkischen Verfassung bekennen soll, wurde weder verlangt noch erwartet (wahrscheinlich einfach vorausgesetzt).
Ich würde mir doch tatsächlich wünschen, dass viele von Ihnen zur doppelten Staatsbürgerschaft ein so entspanntes und sachliches Verhältnis bekämen, wie ich es bei den türkischen Bürokraten erlebt habe.
Beste Grüße von einer überzeugten Doppelstaatlerin
Martina Yaman Aktuell Meinung
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