Die Chronologie
Ein Jahr „Wir schaffen das“
Heute vor einem Jahr sagte Bundeskanzlerin Merkel ihren berühmten Satz "Wir schaffen das!". Die Grenzen wurden geöffnet, Züge mit Flüchtlingen kamen, bewegende Bilder gingen durch die Welt. Die Vor- und Nachgeschichte dieser historischen Momente bringt das MiGAZIN in chronologischer Reihenfolge:
Mittwoch, 31.08.2016, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 05.09.2016, 15:45 Uhr Lesedauer: 7 Minuten |
19. August 2015: Das Bundesinnenministerium prognostiziert: Im laufenden Jahr werden 800.000 Flüchtlinge nach Deutschland kommen.
21. August 2015: Bei gewaltsamen Protesten gegen ein Flüchtlingsheim im sächsischen Heidenau werden 31 Polizisten durch Steine, Flaschen und Feuerwerkskörper verletzt. Rechtsextreme hatten versucht, die Unterbringung von Asylsuchenden in einem früheren Baumarkt zu verhindern.
23. August 2015: Vize-Kanzler Sigmar Gabriel (SPD) kritisiert die Europäische Union für ihre Untätigkeit in der Flüchtlingskrise. Die italienische Küstenwache rettet innerhalb von 24 Stunden rund 4.400 Flüchtlinge aus dem Mittelmeer.
25. August 2015: Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) bezeichnet die jüngsten fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Deutschland als „Schande“. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge setzt das Dublin-Verfahren für Syrer aus. Es sieht vor, dass Flüchtlinge in demjenigen EU-Land Asyl beantragen müssen, das sie zuerst betreten haben.
27. August 2015: In der Nähe des Länderdreiecks Österreich-Slowakei-Ungarn werden auf einer österreichischen Autobahn im Laderaum eines Lkw 71 tote Flüchtlinge entdeckt, die sich Schleppern anvertraut hatten. Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl fordert Grenzöffnungen, um den Schlepperbanden so ihre Geschäftsgrundlage zu entziehen.
31. August 2015: Bei ihrer Sommer-Pressekonferenz in Berlin sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ihren berühmten Satz „Wir schaffen das!“. Züge mit Flüchtlingen, die nach dem Dublin-System in anderen EU-Ländern Asyl beantragen müssten, werden an den deutschen Grenzen durchgelassen.
4. September 2015: Ungarn stoppt die Züge. Am Budapester Bahnhof herrschen chaotische Zustände. Bilder von völlig erschöpften Familien gehen um die Welt. Viele Schutzsuchende machen sich zu Fuß auf den Weg Richtung Deutschland. Das UN-Flüchtlingshilfswerk registriert an der Grenze zwischen Mazedonien und Griechenland 5.600 Asylsuchende, so viele wie nie zuvor an einem Tag. Mehr als die Hälfte sind nach UN-Angaben Frauen und Kinder.
5. September 2015: Gemeinsam mit dem österreichischen Kanzler Werner Faymann beschließt die Kanzlerin, die Flüchtlinge nicht abzuweisen. Ungarn lässt die Züge wieder über Österreich nach Deutschland fahren. In München stellen sich Behörden und Helfer auf bis zu 10.000 Menschen ein, die am Hauptbahnhof eintreffen könnten. Die Münchener begrüßen die Neuankömmlinge mit Applaus.
6. September 2015: Der begeisterte Empfang der Flüchtlinge in München und an weiteren deutschen Bahnhöfen prägt den Begriff „Willkommenskultur“. Währenddessen werden in mehreren Städten wieder Flüchtlingsunterkünfte attackiert. Die Bundeskanzlerin bezeichnet die Einreise Tausender Schutzsuchender über Österreich aus Ungarn als Ausnahme.
7. September 2015: In Reaktion auf die zugespitzte Lage einigt sich die große Koalition auf ein Bündel von Maßnahmen. Das erste Asylpaket sieht neben der stärkeren finanziellen Unterstützung der Bundesländer und Kommunen auch eine Verschärfung des Asylrechts vor. In den Erstaufnahmeeinrichtungen werden künftig verstärkt Sachleistungen ausgegeben. Außerdem sollen die Sozialleistungen für ausreisepflichtige Ausländer gekürzt werden. Unterdessen kommen in München immer noch Tausende Flüchtlinge an.
10. September 2015: In einer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in Berlin-Spandau macht ein syrischer Flüchtlinge ein „Selfie“ mit der Bundeskanzlerin. Das Bild geht um die Welt und sorgt insbesondere bei Syrern für einen positives Bild von Deutschland als ein Land, das Flüchtlinge willkommen heißt.
13. September 2015: Die Bundesregierung stoppt den Zugverkehr von und nach Österreich. Zwischen Bayern und Österreich werden wieder Grenzkontrollen eingeführt. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) fordert eine Rückkehr der EU-Mitgliedsstaaten zu den Regelungen des Dublin-Abkommens.
14. September 2015: Die Innenminister der EU-Staaten einigen sich auf eine Umverteilung von 40.000 Flüchtlingen, um die Mittelmeer-Länder Italien und Griechenland zu entlasten. Vize-Kanzler Gabriel äußert sich enttäuscht über das Ergebnis des Treffens. Nach Deutschland kündigt auch Österreich die Wiedereinführung von Grenzkontrollen an.
24. September 2015: Bund und Länder einigen sich darauf, dass Albanien, Kosovo und Montenegro künftig zur Liste der sicheren Herkunftsländer zählen sollen.
4. Oktober 2015: CSU-Chef Horst Seehofer fordert eine deutliche Begrenzung der Zuwanderung. In den Tagen zuvor haben wieder zwei Asylunterkünfte gebrannt.
7. Oktober 2015: Das Innenministerium teilt mit, dass im September knapp 164.000 Asylsuchende registriert wurden. Mehr als die Hälfte davon kommt aus Syrien. Die Bundeskanzlerin lehnt einen Aufnahmestopp in der ARD-Sendung „Anne Will“ ab. „Wir schaffen das“, sagt Merkel erneut.
9. Oktober 2015: Bayern droht mit einer Verfassungsklage, sollte die Regierung ihren Kurs in der Flüchtlingspolitik nicht ändern.
22. Oktober 2015: Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) spricht von einem „beschämenden“ Anstieg fremdenfeindlicher Gewalt. In den ersten drei Quartalen des Jahres hat das Bundeskriminalamt 461 Angriffe auf Flüchtlingsheime mit rechtsextremem Hintergrund gezählt.
18. November 2015: Das Bundesinnenministerium plant Asyl-Schnellverfahren für Menschen aus sogenannten sicheren Herkunftsländern und Einschränkungen des Familiennachzugs.
31. Dezember 2015: Dutzende Frauen werden in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof von mehreren hundert Männern – die meisten von ihnen aus den Maghreb-Staaten – sexuell belästigt und bestohlen. Die Übergriffe lösen bundesweit Empörung aus und entfachen eine Debatte über die Abschiebung von straffällig gewordenen Asylbewerbern. Die Bundesregierung will Algerien, Marokko und Tunesien zu sicheren Herkunftsländern erklären, damit Abschiebungen in diese Länder einfacher werden.
20. Januar 2016: Österreichs Regierung beschließt eine Obergrenze für Flüchtlinge. Angesichts des Scheiterns der EU-Pläne müsse Österreich nationale Maßnahmen ergreifen, sagt Bundeskanzler Faymann. Bis 2019 sollen insgesamt knapp 130.000 Flüchtlinge aufgenommen werden.
21. Januar 2016: Innenminister de Maizière kündigt an, die bis Mitte Januar befristeten Kontrollen von Flüchtlingen an der deutschen Grenze auf unbestimmte Zeit verlängern zu wollen.
27. Januar 2016: Als Reaktion auf die Silvesternacht von Köln beschließt das Bundeskabinett eine Absenkung der Hürden bei der Ausweisung straffällig gewordener Ausländer. Künftig soll eine Ausweisung bereits bei einer Bewährungsstrafe möglich sein.
4. Februar 2016: Das Bundesinnenministerium teilt mit, dass im Januar mehr als 50.000 Menschen in Deutschland Asyl beantragt haben.
18. Februar 2016: Im sächsischen Clausnitz wird ein Bus mit Flüchtlingen auf dem Weg zur Unterkunft von etwa 100 Demonstranten blockiert, die ausländerfeindliche Parolen und „Wir sind das Volk!“ skandieren. Auch das Verhalten der Polizei, die die verängstigten Flüchtlinge teilweise mit Gewalt aus dem Bus holt, sorgt für Entsetzen. In Bautzen hat am Wochenende zuvor wieder eine künftige Flüchtlingsunterkunft gebrannt.
24. Februar 2016: Der Bundestag verabschiedet das zweite Asylpaket, das unter anderem Schnellverfahren für Flüchtlinge mit geringer Bleibeperspektive und eine Aussetzung des Familiennachzugs für Flüchtlinge mit dem untergeordneten subsidiären Schutz vorsieht. Opposition und Verbände sehen durch die Gesetzesänderungen Grund- und Menschenrechte verletzt.
9. März 2016: Nach Slowenien, Kroatien und Serbien schließt auch Mazedonien seine Grenze für Flüchtlinge. Damit ist die Balkanroute faktisch dicht, auf der 2015 Hunderttausende nach Deutschland gekommen waren. Tausende Schutzsuchende stranden in der griechischen Grenzstadt Idomeni, wo bald chaotische Zustände herrschen.
4. April 2016: Das EU-Türkei-Abkommen tritt in Kraft. Demnach nimmt die Türkei alle Flüchtlinge von den griechischen Inseln zurück, wenn sie in der EU kein Asyl bekommen. Für jeden zurückgenommenen syrischen Flüchtling soll im Gegenzug ein Syrer direkt aus der Türkei auf legalem und sicherem Weg nach Europa kommen dürfen. Opposition und Menschenrechtler kritisieren, dass damit das individuelle Recht auf Asyl außer Kraft gesetzt werde.
9. Mai 2016: Die Zahl neu ankommender Flüchtlinge ist weiter rückläufig. Wie das Bundesinnenministerium mitteilt, wurden im April nur noch knapp 16.000 Asylsuchende registriert.
7. Juli 2016: Der Bundestag verabschiedet das Integrationsgesetz. Flüchtlinge sollen einen einfacheren Zugang zum Arbeitsmarkt und mehr Zugang zu Integrationskursen enthalten. Nehmen sie Angebote nicht wahr, droht eine Kürzung der Sozialleistungen. Zu den Verschärfungen im Asylrecht zählt außerdem die umstrittene Wohnsitzzuweisung, die den Ländern ermöglicht, anerkannten Flüchtlingen einen Wohnort vorzuschreiben.
18. Juli 2016: Ein 17-jähriger afghanischer Flüchtling attackiert in einem Regionalzug bei Würzburg Mitreisende mit einer Axt und verletzt vier Menschen schwer.
24. Juli 2016: Ein syrischer Flüchtling zündet bei einem Musikfestival im bayerischen Ansbach einen Sprengsatz. Der Mann, der an psychischen Problemen leidet und nach Bulgarien abgeschoben werden soll, tötet sich selbst und verletzt dabei zwölf Menschen. In Deutschland beginnt eine Debatte darüber, wie die Politik damit umgehen soll, dass mit dem Flüchtlingsandrang auch potenzielle Terroristen ungehindert in die Bundesrepublik kommen konnten. Leitartikel Politik
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