Trotz mehr Kurse
Geduldiges Warten auf den Integrationskurs
Zahlreiche Asylsuchende dürfen noch immer keine Integrationskurse besuchen. Ab 2017 wiederum werden viele von ihnen von den Jobcentern zur Teilnahme verpflichtet sein. Sie werden sanktioniert, wenn sie nicht an den Schulungen teilnehmen.
Von Anke Schwarzer Dienstag, 08.11.2016, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 13.11.2016, 14:07 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Seit über einem Jahr ist Ahmad Rahmani (Name geändert) in Deutschland. Mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn ist er aus Afghanistan geflohen. „Ich habe noch keinen Deutschkurs“, sagt er. Weil sein Asylverfahren noch läuft, darf er die Integrationskurse des Bundesamtes für Migration und Flucht (BAMF) nicht besuchen – anders als etwa Syrer oder Iraker. Mittlerweile spreche sein Sohn, der in die Schule geht, besser Deutsch als er, erzählt Rahmani. Zurzeit besucht er in Hamburg zweimal in der Woche einen ehrenamtlich geleiteten Deutschkurs, der allen Flüchtlingen offen steht.
Nur wer dauerhaft in Deutschland lebt, etwa als anerkannter Flüchtling mit einer Aufenthaltserlaubnis von über einem Jahr, darf an den 700 Stunden-Kursen teilnehmen. Ausgeschlossen sind Menschen wie Rahmani, die nur eine Aufenthaltsgestattung haben und erst auf den Ausgang ihres Verfahrens warten. Und das kann dauern: Ende September zählte das BAMF über eine halbe Million anhängige Asylverfahren.
280.000 Kursanträge
Zwar dürfen Asylsuchende aus Herkunftsländern mit sogenannter guter Bleibeperspektive seit Oktober letzten Jahres an einem Integrationskurs teilnehmen. Doch diese Regelung betrifft nur die Länder Syrien, Irak, Iran, Eritrea und – seit August dieses Jahres – Somalia.
Laut BAMF haben bis Ende August 280.000 Menschen aus diesen Ländern einen Kursantrag gestellt. „Die Bewältigung dieser hohen Zahl stellt eine große Herausforderung dar“, sagte eine Sprecherin des Amtes. Wie die Bundesregierung jüngst auf eine Anfrage der Linksfraktion mitteilte, haben in diesem Jahr bis September rund 143.000 Asylsuchende eine Bewilligung bekommen, aber nur rund 54.300 konnten tatsächlich einen Kurs beginnen.
Pro Asyl: Wartezeiten integrationshemmend
Weiterhin ausgeschlossen sind zum Beispiel Antragsteller aus Afghanistan und Nigeria, die unter die fünf größten Herkunftsgruppen der registrierten Flüchtlinge fallen. Auch Schutzsuchende aus Mazedonien, Serbien und anderen südosteuropäischen Staaten, die rund sieben Prozent aller Flüchtlinge ausmachen, haben keinen Zugang zum Integrationskurs, solange ihr Asylverfahren noch läuft.
Pro Asyl kritisiert diese Kategorisierung von Flüchtlingen: Die langen Wartezeiten seien „integrationshemmend“. Und: Eine wirklich sichere Bleibeperspektive stehe erst am Ende eines langwierigen Asylverfahrens fest, beklagt die Menschenrechtsorganisation.
Warten trotz steigender Kurse
Zudem können Asylsuchende mit „guter Bleibeperspektive“ ab Januar 2017 zur Teilnahme am Integrationskurs verpflichtet werden, wenn sie unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallen und das zuständige Jobcenter oder die Ausländerbehörde sie zur Teilnahme auffordert. Andernfalls drohen ihnen Leistungskürzungen. Darüber hinaus haben sie nur noch einen statt wie bisher zwei Monate Zeit, um nach ihrer Bewilligung einen Kursplatz zu finden – was derzeit kein leichtes Unterfangen ist.
Die Angebotskapazität hat sich wegen der stark gestiegenen Teilnehmerzahlen zwar erhöht. So wurden seit Oktober 2015 insgesamt 450 neue Kursträger zugelassen. Die Zahl laufender Kurse erhöhte sich bis Ende September gegenüber 2015 um 70 Prozent. Trotzdem müssen aber offenbar immer mehr Menschen auf einen Platz warten. Laut BAMF haben von Januar bis Ende August bereits rund 200.000 Menschen an den Kursen teilgenommen, im gesamten Jahr 2015 waren es rund 180.000.
Mindestvergütung für Lehrer angehoben
Darüber hinaus hat das Bundesinnenministerium die Mindestvergütung für selbstständig beschäftigte Lehrkräfte bei Integrationskursträgern von 23 Euro auf 35 Euro je Unterrichtsstunde angehoben. Allerdings ist damit auch der Eigenanteil der Kursteilnehmer gestiegen: Sofern sie nicht kostenbefreit sind, zahlen sie für jede Unterrichtsstunde 1,95 Euro statt wie bisher 1,55 Euro, also insgesamt für einen Kurs über 1.300 Euro.
Die Träger sind nun verpflichtet ihre Kurstermine und Platzkapazitäten in das System Kursnet der Bundesagentur für Arbeit einzugeben. Und sie sollen innerhalb von sechs Wochen und nicht wie bisher binnen drei Monaten nach Anmeldung eines Teilnehmers dessen Kursbeginn sicherstellen. Doch all das hilft Flüchtlingen wie Ahmad Rahmani nicht. Er muss sich weiter gedulden. Für ihn gilt: Erst Asylverfahren beenden, dann Kursbeginn. (epd/mig) Leitartikel Politik
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