Medizinische Hilfe in Syrien
Lindauer Adnan Wahhoud: „Die Leute glauben nicht mehr an die Menschheit“
Nach einem langen Berufsleben könnte er seine Rente genießen und die Gräuel des Syrien-Krieges vom Fernseher aus beobachten. Stattdessen fährt Adnan Wahhoud alle zwei Monate in sein Herkunftsland. Dort unterhält er ein Netz von kleinen Arztpraxen.
Von Elisa Makowski Mittwoch, 14.12.2016, 8:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 15.12.2016, 16:07 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Die Eindrücke der letzten Reise sind noch ganz frisch. Adnan Wahhoud spricht mit zurückgenommener Stimme, als könne er das, was er zuletzt erlebt hat, nicht fassen: „Als ich in der Nähe von Aleppo übernachtet habe, in der Früh, hatten wir minus zwei Grad Celsius. Denken Sie an jede Mutter, die Kinder hat und in einem Zelt übernachtet. Es gibt kein Strom, kein Wasser, außer das, was man selber schöpft aus irgendeinem Speicher. Es ist bedrohlich.“
Jetzt ist Wahhoud wieder in Sicherheit. Wenn er nicht in Syrien ist, lebt er in einer der schönsten Gegenden Deutschlands, am Bodensee, in Lindau. Er könnte spazieren gehen mit seiner Frau, seine Kinder treffen, die Rente genießen. Stattdessen fährt der 65-Jährige alle zwei Monate ins syrische Kriegsgebiet, in den Westen Aleppos und in die Provinz Idlib, 50 Kilometer von der türkischen Grenze. Nur ein paar Kilometer liegen zwischen Krieg und Sicherheit, Tod und Leben. „Die Leute glauben nicht mehr an die Menschheit, glauben nicht, dass es eine Weltgemeinschaft gibt“, sagt Wahhoud. Nur dieses eine Mal wird seine Stimme ein bisschen lauter.
Mit Spenden aufgebaut
Weil die Vereinten Nationen die Menschen in Syrien verlassen hätten, komme er eben zu ihnen. Mit Spenden hat der pensionierte Ingenieur im Laufe der vergangenen vier Jahre sechs „Medical Points“ aufgebaut. Ein Arzt und ein Apotheker, eine Krankenschwester, ein paar Medikamente gegen Bauchschmerzen oder Fieber – mehr brauche es nicht, um 8.000 Patienten im Monat kostenlos zu versorgen. Zweidrittel davon seien Kinder. Und dann gibt es noch das Waisenkinder-Projekt. Mit 10 Dollar im Monat pro Kind unterstütze er Familien, deren Väter tot sind oder im Krieg.
Bis vor einem Monat habe er Arzneimittel noch in Syrien besorgen können, sagt Wahhoud. Doch weil die Fabriken durch Bombardements zerstört wurden oder schließen mussten, müsse er jetzt mit Medikamentenknappheit rechnen.
Wenn die Streubomben fallen…
Immer wieder kommt Wahhoud auf die russischen Bomben auf Aleppo zu sprechen. „Wenn die Streubomben fallen, kommt erst einmal ein starker Knall, und danach erfolgen sofort um die Hundert kleine Explosionen, wie wenn es donnert.“ In der Nacht sei keine Stunde ohne Bombardierung vergangen. Im November erst habe er einen Medical Point nahe Aleppo vorläufig schließen müssen – zu gefährlich sei es dort geworden für seine Mitarbeiter. Ständig veränderten sich die Bedingungen, ständig habe er mit Willkür zu kämpfen: Schon einmal sei eine seiner Ambulanzen geschlossen worden. Dann sei er eben in ein anderes Dorf gezogen und habe seine Arbeit fortgesetzt. Der deutsche Staatsbürger kann nur noch in das Bürgerkriegsland einreisen, weil er einen syrischen Pass hat und als humanitärer Helfer registriert ist.
Wahhoud, der 1971 von Damaskus nach Deutschland zum Studieren gekommen und seither geblieben ist, hat keine Verwandten mehr in Syrien. Wenn er dort ist, um nach dem Rechten zu sehen, Medikamente einzukaufen und seinen Mitarbeitern die Gehälter zu zahlen, schläft er bei Freunden. „Wenn es dunkel wird, und man sitzt gerade auf einer Matte, dann kriegt man eine Decke und dann schläft man so bis zum Morgen.“
Wahhoud muss pragmatisch sein
Wahhoud beklagt sich nicht und er muss pragmatisch sein. Sobald er syrischen Boden betrete, werde er von der Freien Syrischen Armee (FSA) begleitet, sagt Wahhoud, die ihm bei seiner Arbeit helfe. „Die schätzen auch meine Arbeit für die Bevölkerung.“
Info: Für die Projekte kann über den Verein Kriegskindernothilfe Roth gespendet werden: Kriegskindernothilfe e.V., IBAN: IBAN: DE68 7645 0000 0430 0001 17, BIC: BYLADEM1SRS, Verwendungszweck: Spende Lindauhilfe
Die FSA gründete sich zu Anfangs zum Schutz der syrischen Zivilbevölkerung mit dem Ziel, die Baath-Regierung unter Baschar al-Assad zu stürzen. Heute vereinigen sich verschiedenste Gruppierungen unter dem Namen. Weil der Krieg in Syrien immer unübersichtlicher wird, gibt es über die genaue Zusammensetzung keine eindeutigen Angaben. In einem Bericht vom März 2015 bezichtigt Human Rights Watch unter anderem die FSA und andere Rebellengruppen der Kriegsverbrechen. Sie sollen nachweislich Zivilisten angegriffen haben.
„Ich habe keinen politischen Auftrag“
Wahhoud möchte die FSA keine Rebellen nennen, sondern Opposition, die ihr Land verteidige. Aus Konflikten versuche er sich rauszuhalten. „Ich habe keinen politischen Auftrag.“ Von der Forschung habe er gelernt, dass man immer einen bestimmten Zuständigkeitsbereich definieren müsse. „Ich helfe dem kranken und dem schwachen Menschen.“
Wahhoud hat einen Doktortitel und Karriere gemacht. Doch jetzt zählten andere Dinge. „Ich habe in meinem Leben sehr viel für die Technik gemacht und jetzt möchte ich für die Menschen da sein“, sagt er. „Ich mache das, so lange es möglich ist.“ (epd/mig) Aktuell Ausland
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