Ich kenne das schon!
Was nach dem Berlin-Anschlag für mich als schwarzen Deutschen zu tun ist
Was macht ein schwarzer Deutscher aus Baden-Bürttemberg und evangelischem Glauben nach einem mutmaßlichen Terroranschlag wie in Berlin? Sami Omar weiß, wie er sich zu verhalten und wie nicht. Er kennt das schon.
Von Sami Omar Dienstag, 20.12.2016, 12:02 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 11.01.2017, 16:16 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Es ist wieder so weit. Ich kenne das schon. Ich ziehe mir etwas Anständiges an. Vielleicht sogar eine Krawatte. Das macht schon mal einen Unterschied. Auch wenn mein Deutsch tadellos ist, spreche ich sehr klar und etwas elaboriert zu den Leuten. Jetzt bloß keine fremden Sprachen oder Klänge. Nur keine Klischees bedienen. Gut, dass ich kein Arabisch kann. Sonst bestünde die Gefahr, mich zu verplappern.
Ich kenne das schon: Die Armlänge Abstand, zu der die Kölner Oberbürgermeisterin Rekers vor einem Jahr riet – sie wurde zu mir eingehalten. Ich kenne das schon: Die Aufforderung, mich von den Taten anderer Muslime zu distanzieren. Ich bin evangelisch, aber das will jetzt keiner hören. Aus welchem Land ich komme, wird jetzt wieder häufiger gefragt werden. Ich komme aus Baden-Württemberg, aber das wird als Scherz meinerseits eingestuft. „Ha, sehr gut. Aber ich meinte gebürtig!“
Nach dem Terroranschlag vom Berliner Breitscheidplatz, geschieht, was nach der Sylvesternacht in Köln geschah. Es geschieht, was immer geschieht, wenn Menschen sinnlos sterben oder angegriffen werden. Es wird nach Antworten gesucht. Nach Schuldigen. Wonach könnten die Leute bei ihrer Beurteilung noch gehen, als nach Äußerlichkeiten – nach Hautfarbe und Kleidungsstil? Es wird jetzt Witze geben über LKW-Führerscheine und Ausländer. Es wird absurde Verbotsforderungen und fremdenfeindliche Parolen hageln.
Ich mache es ihnen und mir einfach. Ich kleide mich und spreche so, dass die Überschneidungsmenge unserer kulturellen Identitäten möglichst groß ist. Ich poche nicht darauf, dass das in meinem Fall tatsächlich so ist. Das würde manchen verwirren. Ich zeige schlicht: Ich habe viel mit Euch gemein. Das reicht schon. Menschen erkennen das vermeintlich Fremde an der Menge distinktiver Merkmale zwischen sich und dem Anderen. Die Summe an Vertrautem macht im Auge meines Betrachters meine Hautfarbe und meinen muslimischen Nachnahmen wett.
Manchmal denke ich darüber nach, ob ich mir selbst dabei noch treu bin. Dann fällt mir ein, dass ich schon vor dem Anschlag so sprach und hin und wieder gerne Krawatte trage. Für eine Weile sicherlich auch als Schutzschild gegen die Blicke und Gehässigkeiten rechter und besorgter Bürger. Wenn der Sturm sich gelegt hat, gehe ich auch wieder ins Fitness-Studio. Im Moment ist das undenkbar. Ohne meinen Kaschmir-Mantel und meine Brille, hielten mich die Leute dort für einen Ausländer – das kann ich derzeit nicht riskieren. Aktuell Meinung
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Wenn jemand mit schwarzer, gelber, oder sonstfarbiger Haut akzentfrei oder gar mit deutschem Dialekt perfekt unsere Sprache spricht, fragt man hier in Deutschland gerne nach der Herkunft. Das ist wie wenn einer aus dem Süden Deutschlands im Norden lebt oder umgekehrt, da fragt man halt aus welchem Bundesland er kommt. Deutschland Nord und Süd unterscheiden sich ja auch schon kulturell. Das ist das Erfragen von Informationen, um sich ein „Bild zu machen“ und Gesprächsanknüpfungspunkte zu finden oder.
@posteo: Auch wenn die Frage halb rhetorisch zu sein scheint, ein Anzug symbolisiert gehobenen Status, was nach gängigen Vorurteilen (leider) häufig im Gegensatz zu „Ausländer*innen“ assoziiert wird. Scheint mir auch ein probates Mittel, wenn mensch eher ernst genommen, weniger negative Effekte insgesamt erfahren möchte, scheinbar hier bezogen auf Hautfarbe und Namen ein mind. ebenso probates Mittel (wenn auch wirklich bedauerlich). Und ein arabisch klingender Name symbolisiert „Islamismus“ für doch Einige (leider), nur so kann ich mir zumindest erklären, warum z.B. ein Jutebeutel, der auf Arabisch bedruckt ist, viele negative Emotionen hervorruft (es gab einen Beutel mit der Aufschrift „Dieser Beutel ist auf Arabisch bedruckt um den Leuten Angst zu machen, die vor arabischen Schriftzeichen Angst haben (o.ä.), bei dem viele Tragenden gerade diesen Aspekt ausprobieren wollten und scheinbar auch Erfahrungen hier machen konnten).
@TaiFei
—-
„Wer legt denn nun Ihrer Meinung nach fest, wann welcher Mensch, warum besser zu schweigen hat?“
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Jeder hat das Recht sich jederzeit daneben zu benehmen, wie er möchte, sollte aber auch damit rechnen, dass man dafür auch kritisiert wird.
Überspitzt formuliert: Natürlich darf der Autor Samir Omar während einer Beerdigung eine Rede verlesen, in der er die Angehörigen des Verstorbenen für ihr Fehlverhalten gegenüber Omar selbst anprangert.
Ich werfe Herrn Omar vor, dass eine Beerdigung der denkbar schlechtestete Zeitpunkt für eigene persönliche Befindlichkeiten ist. Nun kommt ein spitzfindiger Schlaumeier und will von mir wissen, wer denn überhaupt den richtigen Zeitpunkt festlege?
Der Anschlag fand am 19.12. statt. Noch bevor die Leichen kalt waren, wurde der Artikel von Samir Omar verfasst, von der Migazin Redaktion editiert und dann am 20.12. veröffentlicht. Während dieser Zeit und in den Abenden danach standen eine Gruppe Muslime am Breitscheidplatz, die Mahnwache halten und mit Pappschildern das Verbrechen verurteilen. Die Menschen standen dort und haben eine Menge zu kritisieren aber im Gegensatz zu Samir Omar, Migazin und Ihnen wissen diese Menschen, dass der Tag danach ein sehr schlechter Zeitpunkt dafür ist.
@aloo masala
Ich kann Ihren Standpunkt nachvollziehen, nur halte ich ihn, Verzeihung, dass ich das so direkt sage, für etwas verlogen, zumal der Autor eben NIEMDANDEN, weder Opfer noch Angehörige persönlich angegriffen hat. Er war auch nicht irgendeiner Beerdigung. Was soll also diese Überspitzung, sie ist völlig realitätsfern.
Im Dezember 2015 sind weltweit mindestens über 100 Menschen an Anschlägen gestorben, 45 allein in der Türkei (Silvester noch gar nicht mitgezählt). Wurde deshalb die berechtigte Kritik an der Türkei in offiziellen Medien eingestellt aus Respekt vor den Toten? Wieso verdienen also die Toten in DE mehr Respekt als die in der Türkei oder in Afghanistan oder in Syrien oder in….? Der Autor stellte in seinem Artikel lediglich fest, dass sich ein Anschlag in DE, obwohl der nichts mit Ihm zu tun hat, direkt auf SEIN Leben auswirkt. Natürlich verdienen Tote Respekt, imho scheint mir der Respekt vor den LEBENDEN allerdings deutlich wichtiger.
Und ja ich frage ganz klar und einfach (überhaupt nicht spitzfindig, überspitzen scheint hier eher Ihr Ressort) wer denn über den richtigen Zeitpunkt die Deutungshoheit hat.
Mir ist noch ein Accessoire eingefallen, mit dem Sami Omar, sich eindeutig von den mutmaßlichen Terroristen abgrenzen kann.
Einen Kreuzanhänger um den Hals, oder einen Kreuz als Anstecknadel am Revers. Im zweiten Fall wird er zwar für einen Pfarrer gehalten, aber funktioniert garantiert.
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