Verstoß gegen Koalitionsvertrag
Berlin verhindert Elternnachzug minderjähriger Flüchtlinge
Dem Berliner Koalitionsvertrag zufolge sollen Aufenthalt- und Asylrecht wohlwollend ausgelegt werden. In Wirklichkeit werden alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft, um Aufenthalte zu verhindern – selbst humanitär gebotene. Ein Fall aus der Praxis:
Von Tim Gerber Freitag, 17.02.2017, 12:06 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 19.02.2017, 12:49 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
In einer juristischen Nacht- und Nebelaktion hat die Ausländerbehörde der Bundeshauptstadt den Nachzug eines syrischen Ehepaars zu ihrer minderjährigen Tochter in letzter Minute verhindert. SPD-Innensenator Andreas Geisel dürfte damit gegen die Koalitionsvereinbarungen mit Linken und Grünen verstoßen haben.
Es ist ein Schicksal wie so viele: Als sie zusammen mit ihren Eltern aus Syrien flüchten muss, ist das Mädchen 14 Jahre alt. Die Familie reist zunächst nach Ägypten, zweieinhalb Jahre später, im September 2015 fliegt sie allein zu ihrem „Verlobten“ in die Türkei. Der Mann, den sie aus ihrer Heimat nur „vom Sehen“ kennt, lässt sie allein dort zurück, sie schlägt sich „übers Meer“ durch bis nach Berlin. Sie wird vom Jugendamt der Hauptstadt „in Obhut genommen“, wie es im Amtsdeutsch heißt. Anfang April 2016 muss sie vor den Übergriffen ihres „Verlobten“ in einer Notunterkunft untergebracht werden. Im September 2016 wird sie vom Bundesamt als Flüchtling anerkannt, die Eltern der inzwischen 17jährigen sind noch immer in Ägypten auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat.
Mitte Januar beantragen die Eltern des Mädchens bei der Deutschen Botschaft in Kairo Visa zum Nachzug zu ihrer minderjährigen Tochter, die dringend auf den Beistand ihrer Eltern angewiesen ist. Die Zeit drängt, denn das Mädchen wird am 10. Februar 18 Jahre alt. Mit dem Eintritt der Volljährigkeit erlischt in der Regel das Recht ausländischer Eltern, zu ihren Kindern einzureisen. Also ruft das Jugendamt Steglitz als Amtsvormund bereits am 26. Januar das Verwaltungsgericht (VG) Berlin an und ersucht um einstweiligen Rechtsschutz.
Im Eilverfahren soll das Gericht die Erteilung der Visa anordnen. Und das tut seine 19. Kammer mit ihrem Beschluss vom 6. Februar auch. Das Jugendamt hatte eine besondere Schutzbedürftigkeit des traumatisierten Mädchens vorgetragen, die das Gericht auch aus dem ihm vorliegenden „Tatsachenmaterial“ nicht in Zweifel zog. Die Anordnung wäre sofort zu vollziehen, die Eltern hätten also noch vor dem 18. Geburtstag ihrer Tochter kommen können, von der sie durch die Flucht seit Jahren getrennt waren.
Doch da haben die Flüchtlingsfamilie und ihrer Helfer die Rechnung ohne die Berliner Innenbehörde, das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) gemacht. Da das LABO der Visumserteilung hätte zustimmen müssen, war es an dem Verfahren vom Gericht beteiligt worden. Zur Sache hatte es freilich nichts beizutragen gewusst und auch keinen eigenen Antrag gestellt. Kaum geht ihm aber der Beschluss des Verwaltungsgerichts zu, legt das LABO postwendend Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG) ein.
Einziges Argument: Das Recht auf den Beistand durch die erziehungsberechtigten Eltern bestehe ja nur noch wenige Tage und könne deshalb nicht geltend gemacht werden. Nun hätte die Beschwerde keine aufschieben die Wirkung. Also setzt sich der Vorsitzende Richter des 3. Senats des OVG mit seinen Beisitzenden, Richter Becker und Richterin von Lampe sofort hin und heben den Beschluss des Verwaltungsgerichts innerhalb von nur zwei Tagen wieder auf. Begründung: Es blieben ja nur noch wenige Tage, in denen die Familie ihre Einheit wieder herstellen könne. „Die Möglichkeit zur Herstellung der Familieneinheit während einer nur noch derart kurzen Zeitspanne rechtfertigt jedoch nicht (mehr) den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung.“
Den Eilantrag hätten die Betroffenen schon früher stellen müssen. Das Verwaltungsgericht hatte dabei ausdrücklich betont, dass der Umstand, dass die Eltern den Aufenthalt nutzen könnten, um für sich selbst ebenfalls Asyl zu beantragen, „angesichts der Umstände des Falls“ der Annahme nicht entgegenstünde, „dass hier der von Anfang an notwendige oder zumindest wieder notwendig gewordene elterliche Beistand für die jedenfalls derzeit noch minderjährige Antragstellerin geleistet werden soll.“
Mit diesem gegen die humane Entscheidung des Verwaltungsgerichts gerichtete Vorgehen durch das ihm unterstellte LABO dürfte Innensenator Geisel gegen die Bestimmungen des Berliner Koalitionsvertrages von SPD, Linken und Grünen verstoßen haben. Denn demnach „sollen die bundesrechtlichen Vorschriften des Aufenthalts- und Asylrechts im landesrechtlichen Vollzug so ausgelegt und angewendet werden, dass sie die Integration erleichtern und Bleibeperspektiven auch in bislang ungelösten Fällen ermöglichen. Die Koalition wird die bestehenden aufenthaltsrechtlichen Möglichkeiten für die Legalisierung, Erteilung und Verlängerung von Aufenthaltsrechten nach humanitären Gesichtspunkten ausschöpfen.“
Hier hat Geisels Behörde das Gegenteil getan, nämlich alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft, um einen humanitären Aufenthalt der Eltern eines traumatisierten jungen Flüchtlings um jeden Preis zu verhindern. Wohlwissens, dass man den betroffenen Eltern im Anschluss an diesen Aufenthalt selbst wird Asyl gewähren müssen.
Eine Anfrage zu dem Vorgehen der Behörde und ihrer Vereinbarkeit mit dem Koalitionsvertrag hat die verantwortliche Senatsverwaltung für Inneres bislang unbeantwortet gelassen. Die Internetpräsenz der Ausländerbehörde steht übrigens unter dem Motto „Willkommen in Berlin„. Die Eltern minderjähriger Flüchtlinge, die es in die deutsche Hauptstadt verschlagen hat, sind offenbar auch unter einer Rot-Rot-Grünen Koalition alles andere als willkommen. Aktuell Meinung
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So sieht also die Flüchltingspolitik des Rot-Rot-Grünen Berliner Senates aus! Pfui Teufel!
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