Vergesst nicht die Sehnsucht!
Verlogenheit der Debatte um den Integrationswillen
Die Verbundenheit von Türkeistämmigen in der dritten Generation mit der Heimat ihrer Eltern hat in den vergangenen Wochen verwundert. Inmitten dieser Verwunderung wurde ihr Migrationshintergrund und damit ihre Fremdheit betont. Ein "Doublebind". Von Sami Omar
Von Sami Omar Dienstag, 18.04.2017, 4:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 19.04.2017, 17:13 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
In diesen Tagen ist oft die Rede von einer seltsam intensiven Verbundenheit deutscher Staatsbürger mit der Heimat ihrer zugewanderten Eltern. Ein tückisches Staunen verbirgt sich in manchen Medienbeiträgen. Eines, welches vorwurfsvoll auf das Zugehörigkeitsgefühl mancher Deutscher zu einem anderen Staat, einer anderen Kultur blickt, während es im gleichen Zuge die Fremdheit dieser Deutschen mit dem immer gleichen Schlagwort des Migrationshintergrundes betont.
„Doublebind“ nennt man in der Psychologie ein Kommunikationsmuster, in dem von einem Sender zwei widersprüchliche Botschaften ausgehen. Hier ist es die Einforderung des Integrationswillens bei gleichzeitiger Betonung und Zementierung der Fremdheit. Die Metapher vom Hintergrund macht die Bewegung vor ihm zur Farce. Egal wie oder wohin man sich bewegt, der Hintergrund bleibt derselbe. Als Beweis minderen Integrationswillens wird bei Kindern von Migranten immer wieder die Verbundenheit zur Heimat der Eltern herangezogen. Wie kann es sein, dass sich ein junger Mann, dessen Eltern schon in Köln geboren wurden, als Türke bezeichnet?
Zum einen lebt dieser in der Bedrohung einer sofortigen Zurückweisung oder Relativierung durch Dritte, sobald er sich selbst als deutsch definiert. Zum anderen wird ihm eine geistige Heimat in der Kultur seiner Eltern geboten, in der er keine Zurückweisung zu fürchten braucht, sofern er sein Verhalten gewissen Gepflogenheiten angleicht. Man kann diesen Gedanken beliebig anhand anderer junger Männer und Frauen denken, deren Eltern oder Großelter aus Eritrea, Marokko oder Vietnam immigriert sind.
Und dann ist da noch die Sehnsucht. Sie wird so oft als Faktor in dieser Rechnung vergessen. Denn es ist nicht die eigene Sehnsucht der Kinder und Enkel von Migranten, um die es hier geht. Es ist die Sehnsucht, das Heimweh der Eltern oder Großeltern die tatsächlich eingewandert sind. Es ist deren romantische Überhöhung der Heimat, die sie hinter sich ließen. Es ist deren Blick in die Vergangenheit, in dem – entgegen aller Gesetze von Optik und Physik – mit steigender Entfernung alles Gewesene größer und schärfer, schöner und wärmer wird. Diese Überhöhung der Heimat ist oftmals die Brücke zur Gemeinsamkeit zwischen Eltern und Kind.
Bekennt man sich zu dieser Heimat, ist man Eins in der Sehnsucht nach ihr – ob man sie kennt oder nicht. Sich von ihr ab zu wenden, bedeutet auch eine Emanzipation von Mutter und Vater, Onkel und Tante. An sich ist das natürlich.
In diesem Kontext ist es gefährlich, denn es steht ein schwer heilbarer Bruch in der Beziehung zwischen ihnen auf dem Spiel. Das Verständnis dieser Thesen weist den Weg hin zur Aufgabe der Verlogenheit in der Sichtweise Deutscher auf Deutsche.
Die Betonung „fremder Wurzeln“ und eines „Migrationshintergrundes“ ohne kontextuelle Notwendigkeit muss enden. Die Unterstellung mangelnden Integrationswillens deutscher Bürger muss aufhören. Erst wenn die Befremdung der Beheimateten sich in einen Diskurs unter Staatsbürgern wandelt, wird Verständigung möglich. Aktuell Meinung
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Ich kann die Gedankengänge gut nachvollziehen und eine Überhöhung der Heimat der Eltern ist bei Einwanderern der zweiten und auch noch dritten Generation nicht ungewöhnlich.
Der Zusammenhang ist hier aber ein anderer, nämlich das Referündüm. In diesem Zusammenhang wurden die vom Autor „zitierten“ Aussagen getroffen. Hier liegt keine Verlogenheit vor, sondern ein Nichtverstehenkönnen. Warum wählt man sich frei- und freuwillig in ein solches System? Da hört auch für mich eine verständliche Überhöhung der elterlichen Heimat auf, hier geht es um gesunden Menschenverstand und Verfassungswerte, die weit wichtiger sind als gefühlte Dissentiments. Hier geht es um die Todesstrafe, hier geht es um die Errichtung einer Diktatur, hier geht es auch um die Unversehrtheit der türkischen Nation.
Typisch in diesem Zusammenhang ist aber die „sichselbstalsOpferderDeutschenMentalität“. Die Verlogenheit der Deutschen ist da als Bemerkung vollkommen deplatziert.
Lieber Herr President Obama,
wie können Sie erwarten, dass irgendwer (abgesehen von bekloppten Rassisten vielleicht) Ihren Artikel zu Ende liest, wenn Sie einen Begriff wie „Referündüm“ verwenden?
Ich habe mir zwar die Zeit genommen für diesen Kommentar, aber das Lesen Ihres Kommentars direkt bei dem Begriff „Referündüm“ abgebrochen.
MfG
Wasas
Gegen den Diaspora-Nationalismus
Wenn sich Menschen türkischer Herkunft in Deutschland mit Staatspräsident Erdoğan und seinem autokratischen Kurs identifizieren, dann hat das nichts mit Diskriminierungserfahrungen zu tun. Es ist ein unkritischer Umgang mit der eigenen Geschichte, der zur Idealisierung von Macht und Stärke führt, meint Canan Topçu.
siehe: https://de.qantara.de/inhalt/die-tuerkei-vor-dem-referendum-gegen-den-diaspora-nationalismus
Es tobt mal wieder der Kampf um die Deutungshoheit…
@Wasas
Migazin veröffentlicht keine rassistischen Kommentare…das entspricht nämlich nicht der Netiquette. Nice try ;)
Ich kenne kaum einen Türken, der den Völkermord an den Armeniern ohne Wenn und Aber voll und ganz zugibt. Ein starkes Stück Realitätsverdrängung und vollkommen unkritischer Umgang mit der eigenen Geschichte. Oder die Tatsache, dass Hitlers „Mein Kampf“ in der Türkei ein Besteller unter jungen Türken war (ich selbst kenne Beispiele junger Türken, die mich nach dem Buch fragten). bis der Druck des Buches in der Türkei vom Staat Bayern wegen Rechteverletzung verboten wurde.
http://www.rp-online.de/kultur/buch/mein-kampf-stuermt-tuerkische-bestseller-listen-aid-1.1605954
https://www.welt.de/politik/article1128347/Tuerkei-verbietet-Adolf-Hitlers-Mein-Kampf.html
Ist das auch auf Diskriminierungserfahrungen zurückzuführen?