Exil-Autoren
Schreiben gegen das Verstummen
Unter den Flüchtlingen aus den Kriegsgebieten sind auch viele in ihren Heimatländern bekannte Schriftsteller und Dichter. Für sie ist es besonders schwierig, im Ausland ihrem Beruf weiter nachzugehen. Deutsche Kollegen sollen ihnen jetzt helfen.
Montag, 26.06.2017, 4:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 29.06.2017, 16:41 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Als Teenager in Damaskus schrieb Ramy al-Asheq Gedichte über Freundschaft und Liebe. Seinen Freunden gefielen sie. Und so konnte der junge Dichter schon bald etwas Geld mit Lyrik verdienen, die andere Jungen für ihre Freundinnen in Auftrag gaben. Heute ist der 28-Jährige im arabischen Sprachraum ein bekannter Lyriker, Schriftsteller und Journalist und verfasst schon lange keine harmlosen Liebesgedichte mehr.
„Als die Revolution in Syrien 2011 begann, fing ich an, ernsthaft zu schreiben“, sagt al-Asheq. Er beteiligte sich an Protesten gegen das Regime, saß zeitweise im Gefängnis und floh schließlich nach Jordanien. Heute spiegeln sich die Erfahrungen von Inhaftierung, Krieg und Flucht in seiner ausdrucksstarken Lyrik.
Als al-Asheq 2014 mit einem Autoren-Stipendium der Heinrich-Böll-Stiftung nach Deutschland kam, war für ihn klar, dass er irgendwie weiterschreiben musste. „Schreiben ist der einzige Beruf, den ich ausüben kann“, sagt der Autor, der auch „Abwab“, die erste arabischsprachige Zeitung für Geflüchtete in Deutschland gründete.
Was brauchen geflüchtete Autoren?
„Als ich seine Texte zum ersten Mal las, war ich beeindruckt“, sagt die deutsche Lyrikerin Monika Rinck. Seit Kurzem arbeitet sie mit ihrem syrisch-palästinensischen Kollegen im Rahmen der Initiative „Weiter Schreiben“ zusammen. Zwei Mal trafen sich die beiden bislang persönlich, um Gedichte Ramy al-Asheqs ins Deutsche zu übersetzen.
Ins Leben gerufen wurde „Weiter Schreiben“ von Ines Kappert, Leiterin des Gunda-Werner-Instituts in der Heinrich-Böll-Stiftung, und der Schriftstellerin Annika Reich. Ausgangsfrage sei gewesen: „Was brauchen geflüchtete Autoren, um hier weiterschreiben zu können?“, sagt Kappert, die über die Heinrich-Böll-Stiftung bereits Kontakte zu Exil-Schriftstellern hatte. „Wir haben hier gerade einen unglaublichen Schatz an Künstlern und Intellektuellen, die zu uns gekommen sind, und dringend Anknüpfungspunkte suchen,“ weiß die Literaturwissenschaftlerin.
Bisher sieben Autoren-Tandems
Vor rund einem Jahr starteten Kappert und Reich deshalb einen E-Mail-Aufruf zur Zusammenarbeit mit Exil-Kollegen an deutschsprachige Autoren. Die Reaktionen übertrafen die Erwartungen der Initiatorinnen. „Innerhalb von 15 Minuten hatten wir 17 Zusagen,“ sagt Kappert. Der Hauptstadtkulturfonds erklärte sich bereit, das Projekt zu finanzieren.
Bislang gibt es sieben Autoren-Tandems, bis Ende 2018 können es maximal 14 werden. Ziel ist es, dass jeder Autor zwei bis drei übersetzte Texte veröffentlichen kann – zunächst auf der Internetseite der Initiative und Ende 2018 dann in einer gedruckten Anthologie. Das Projekt konzentriert sich auf Autoren aus dem arabischen Sprachraum sowie auf Sinti und Roma.
Routine mit der Übersetzung
Ausgewählt werden die Exil-Autoren von einem Kuratoren-Team. Dann werde geschaut, wer aus dem Pool der deutschen Kollegen am besten zu dem jeweiligen Autor passe, sagt Kappert. Einige der deutschsprachigen Autoren haben eigene Erfahrungen mit politischen Krisen oder Flucht, zum Beispiel Lena Gorelik, Nino Haratischwili oder Saša Stanišic.
Monika Rinck hat bereits langjährige Routine mit der Übersetzung von Lyrik. Sie überträgt mit der Lyrikerin Orsolya Kalász Gedichte aus dem Ungarischen, und mit Uljana Wolf aus dem Englischen ins Deutsche. Bei der Übersetzung von Ramy al-Asheqs Gedichten hilft ihr eine englische Übersetzung.
„Man spürt die Gewalterfahrung“
Entscheidend ist jedoch auch der Klang, wenn al-Asheq ihr seine Texte vorliest. „Ich kann die arabischen Gedichte nicht verstehen. Aber ich kann sie hören, ihre Klangfarbe, ihre Struktur, ihren Rhythmus“, sagt Rinck. Hinter vielen seiner Zeilen spüre man die Gewalterfahrung. „Es ist eine beeindruckende Leistung, eine künstlerische Distanz zu diesen dramatischen Ereignissen zu gewinnen und nicht zu verstummen.“
Umgekehrt schätzt Ramy al-Asheq die Professionalität und Erfahrung seiner deutschen Kollegin. „Die Arbeit mit ihr motiviert mich sehr, weiterzuschreiben.“ Revanchieren möchte er sich, indem er Rincks Gedichte ins Arabische übersetzt. So profitieren beide Seiten.
Geflüchtete und Deutsche auf Augenhöhe
Kappert und Reich ging es mit ihrer Initiative auch von Anfang an darum, Geflüchtete und Deutsche auf Augenhöhe zusammenzubringen. „Wir wollten erreichen, dass die Autoren nicht nur als Flüchtlinge gesehen werden, sondern als Menschen, die einen kulturellen Reichtum mit in unser Land bringen,“ sagt Kappert. Die Initiatorinnen hoffen, dass durch die Zusammenarbeit möglicherweise auch der eine oder andere deutsche Verlag auf die Exil-Autoren aufmerksam wird.
Das ist auch al-Asheqs Ziel. „Wir haben in Syrien auch deutsche Autoren wie Günter Grass und Herta Müller gelesen“, sagt al-Asheq. Umgekehrt aber seien europäische Verlage bislang nicht sehr an arabischer Literatur interessiert. „Das möchte ich gerne ändern.“ (epd/mig) Feuilleton Leitartikel
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