Seenotretter
Bundesregierung soll Kooperation mit Libyen auf Eis legen
Mehrere Hilfsorganisationen stellen aus Angst vor der libyschen Küstenwache ihre Rettungseinsätze im Mittelmeer ein. Viele fürchten nun, dass die Zahl der Toten im Meer steigt. Die Organisationen fordern Konsequenzen von der Bundesregierung. Sie reagiert zurückhaltend.
Dienstag, 15.08.2017, 4:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 16.08.2017, 17:52 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Nach dem Stopp mehrerer Rettungseinsätze von Hilfsorganisationen im Mittelmeer hat der Verein Sea-Watch die Bundesregierung dazu aufgefordert, die Kooperation mit Libyen im Kampf gegen Schlepper vorerst zu beenden. „Wir erwarten, dass die Bundesregierung ihre Unterstützung für die sogenannte libysche Küstenwache auf Eis legt, solange sie ihre Drohungen nicht zurückzieht“, sagte Ruben Neugebauer, Sprecher von Sea-Watch, am Montag dem epd. Es sei ein „absoluter Skandal“, dass Libyen Hilfsorganisationen unverhohlen bedrohen könne und trotzdem weiter von der Politik unterstützt werde, sagte Neugebauer. Auch die Organisation „Jugend rettet“ kritisierte die Zusammenarbeit der EU mit der libyschen Küstenwache.
Am Wochenende hatten „Ärzte ohne Grenzen“, Sea-Eye und „Save the Children“ ihre Rettungseinsätze für schiffbrüchige Flüchtlinge im Mittelmeer beendet. Libyen hatte zuvor eine Ausweitung seiner Hoheitsgewässer angekündigt und nach Angaben der Organisationen damit gedroht, Rettungseinsätze von Nichtregierungsorganisationen zur Not gewaltsam zu verhindern. Die Organisation Sea-Watch, die seit 2015 mit einem Schiff auf der Route der Flüchtlinge unterwegs ist, prüft laut Neugebauer derzeit, ob und wie sie ihre Rettungseinsätze weiterführt. Ihre Schiffe liegen derzeit unabhängig von der aktuellen Lage für Arbeiten im Hafen.
Viel mehr Tote befürchtet
Mit dem Stopp der Hilfseinsätze Freiwilliger im Mittelmeer fürchten viele mehr Tote. Neugebauer sagte, es sei zu bezweifeln, dass Libyen in der Lage für ordentliche Rettungseinsätze im Mittelmeer sei. Die libysche Küstenwache sei eher eine Miliz, die auch Sea-Watch bereits bedroht habe. Auch der Deutschlandchef von „Ärzte ohne Grenzen“, Volker Westerbarkey, warf der libyschen Regierung in der „Welt“ (Montag) vor, Seenotretter von Hilfsorganisationen massiv zu bedrohen.
Die Kapitänin des Schiffes der Organisation „Jugend rettet“, Pia Klemp, kritisierte die Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache ebenfalls scharf: „Es handelt sich um eine völlig wahnsinnige Truppe, die wie im Wilden Westen auftritt – niemand kann sicher sein, ob er nicht von ihnen beschossen wird.“ Das Schiff „Iuventa“ der Organisation wurde Anfang August von der italienischen Polizei beschlagnahmt. Unter anderem geht es um den Vorwurf, die Organisation habe mit Schleppern, die Flüchtlinge in unsicheren Booten auf die Flucht schicken, zusammengearbeitet.
Regierung reagiert zurückhaltend
Die Arbeit der Hilfsorganisationen wird wegen solcher Vorwürfe, die die Organisationen selbst zurückweisen, seit einiger Zeit argwöhnisch betrachtet. Italien will die Helfer mit einem Verhaltenskodex auf Regeln verpflichten, den einige Organisationen bereits unterschrieben haben, andere – wie „Ärzte ohne Grenzen“ – aber ablehnen.
Die Bundesregierung reagierte am Montag zurückhaltend auf den Stopp der Hilfseinsätze. Man respektiere die Entscheidung, sagte ein Sprecher des Auswärtiges Amtes am Montag in Berlin. Man beobachte die Situation im Mittelmeer mit großer Aufmerksamkeit. Es gebe derzeit keine belastbaren Erkenntnisse darüber, dass die libysche Küstenwache anders agiere.
EU-kommissar nimmt Retter in Schutz
Der Sprecher erläuterte, offiziell gebe es keine Ausdehnung der Hoheitsgewässer. Das könne auch nicht einseitig von Libyen aus erfolgen, sondern benötige Absprache mit den Nachbarländern und eine Notifizierung. Man erwarte von der dortigen Küstenwache und der libyschen Einheitsregierung, dass sie sich an internationales Recht hielten, sagte der Sprecher. Nur wenige Tage zuvor hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel angekündigt, die Zusammenarbeit mit Libyen zu verstärken.
EU-Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos nahm in den Zeitungen der Funke Mediengruppe private Seenotretter gegen den Vorwurf in Schutz, sie erleichterten den Schleppern das Geschäft. „Die Mehrheit der Nichtregierungsorganisationen hilft uns bei unseren Bemühungen, Leben zu retten“, sagte er. (epd/mig) Aktuell Politik
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