Vereinfachen, Verwirren, Verführen
Der kleinste gemeinsame Nenner des Populismus
Die Zahl „populistischer Alternativen“ wächst. Ziel ist das “Stimmen fischen”. Dazu missbraucht der Populist die Sprache, treibt sie auf die Spitze. Er ist ein Verführer des (Stimm-)Volkes, ein Demagoge. Von Oliver Harry Gerson
Von Dr. iur. Oliver Harry Gerson Mittwoch, 23.08.2017, 4:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 24.08.2017, 15:48 Uhr Lesedauer: 7 Minuten |
„When Mexico sends its people, they’re not sending their best. … They’re sending people that have lots of problems, and they’re bringing those problems with us. They’re bringing drugs. They’re are bringing crime. They’re rapists. And some, I assume, are good people.“ (Donald Trump im Jahr 2015)
Zurzeit wirkt es, als sei man von „Populisten“ regelrecht umzingelt. Die Zahl „populistischer Alternativen“ wächst. Oberflächlich besehen wirken deren Agitationen (lat. agitare = aufwiegeln, motivieren) sehr differenziert: Während einige Vertreter geläufige Stammtischparolen aufgreifen, um dadurch minder-reflektierte „Tabubrüche“ salonfähig zu machen, bemühen sich andere Gruppierungen durch vorgebliche Intellektualität und gefälligen Duktus die sprachliche Enthemmung zu beschleunigen. Doch sind die Unterschiede zwischen den Strömungen tatsächlich so groß? Gibt es hinter allem Marktschreiertum nicht in Wirklichkeit einen kleinsten gemeinsamen Nenner, der die Populisten eint? Bei der Ergründung dieser Frage gerät man in äußerst undurchsichtige Gefilde. Das liegt daran, dass bereits das Wort Populismus ein populistischer Kampfbegriff ist.
Populistische Phänotypen: Völkler, Volkstümler, Postfaktler und Volksnahe
„Populismus“ hat etwas mit dem Volk zu tun (lat. populus: das Volk). Eine passgenaue Übertragung ins Deutsche gestaltet sich schwierig:
Falsch wäre es, populistisch mit völkisch gleichzusetzen. „Völkisch“ ist aus geschichtlichen Gründen eindeutig besetzt und in der Bedeutung abschließend. Das Adjektiv dient seit Beginn des 20. Jahrhunderts dazu, das eigene „Volk“ von „Fremdvölkern“ abzugrenzen, um dadurch eine Höherwertigkeit der eigenen Ethnie oder „Rasse“ zu postulieren. Völkisches Denken ist zum Teil archaisch, zum Teil nationalistisch durchsetzt. Strömungen, die völkisches Gedankengut propagieren, können zwar durchaus populistische Züge aufweisen. Deckungsgleich sind die Begrifflichkeiten allerdings nicht, allein deshalb, weil Populismus unabhängig einer ideologischen Verankerung auftreten kann. Populismus ist zudem nicht zwangsläufig rassistisch oder xenophob, wenngleich auch in solchen Diskursen oft mit „einfachen Wahrheiten“ und holzschnittartigen Weltbildern gearbeitet wird.
Auch ginge fehl, wer populistisch mit volkstümlich übersetzt. Volkstümelei findet ihren Ausdruck in der Liebe zur Heimat, in traditionellen Trachten, historischen Ess- und Trinkgewohnheiten oder überlieferten Fabeln und Mythen. Volkstümlichkeit gründet im Traditionellen eines „Kulturvolkes“, ist daher örtlich, zeitlich und personell abgrenzbar. Richtig ist, dass Volkstümlichkeit von populistischen Strömungen zum Teil stilisiert wird, um Heimatverbundenheit und Traditionsbewusstsein zu suggerieren. Die Vermengung von Populismus und Heimatliebe ist jedoch perfide. Heimat weckt Gefühle der Geborgenheit und des Wohlbefinden. Populismus soll hingegen den Affekt, die Angst und die Wut bedienen. Wer unter den Deckmantel der Volkstümlichkeit schlüpft, saugt somit gute Gefühle aus fremden Honigtöpfen.
Wenngleich ähnlich inflationär in der Verwendung, so ist auch postfaktisch keine passende Übersetzung. Zum einen würde dadurch ein Fremdwort lediglich durch ein anderes ersetzt. Außerdem geht es beim Populismus nicht darum, Fakten zu erfinden. Es ist vielmehr ein wesentliches Ansinnen, diese Tatsachen und Fakten in eine „aggressive Neu-Ordnung“ zu bringen. Plakativ: Der Postfaktler sieht Gespenster, der Populist schwört sie herauf. Oft wird daher verbunden, was nicht zusammengehört, um bei Widerlegung zu konstatieren, dass man sowas (angeblich) „heute nicht mehr sagen dürfe“.
Verbreitet ist die Übersetzung von populistisch mit volksnah. Auch diese Begrifflichkeit führt allerdings in die Irre, da „Volksnähe“ – diametral zu Populismus – durchweg positiv verstanden wird. Eine korrekte Rückführung von „volksnah“ ist stattdessen populär. Ganz nebenbei werden (bewusst oder zumindest billigend) die „auserwählten Völker“ verwechselt. Das Volk der „Volksnähe“ ist nicht populus, sondern demos. Diesem Demos „nahe“ zu sein ist keineswegs verwerflich, denn „alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ (Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG). Demos, der unser Staatswesen regiert (demos kratein, griech: Herrschaft des Volkes), ist Souverän der staatlichen Gewalt, welche in der repräsentativen Demokratie durch auf Zeit gewählte und dadurch in ihrer Macht legitimierte Vertreter ausgeübt wird.
Populus, Demos und die Verführung der Massen
Was ist nun die beste Übersetzung? Es handelt sich bei allen aufgezeigten Näherungen um Sprachverhexungen. Der „typische“ Populist ist weder völkisch, noch volkstümlich, weder postfaktisch, noch volksnah. Nicht einmal populär muss er sein. Vielmehr bietet er genau das feil, was von ihm erwartet wird. Im Gegenzug geht es ihm darum, abzusaugen, was er selbst benötigt, um an die Macht zu gelangen. Machtübernahme vollzieht sich entweder blutig durch Aufstände und Revolution, oder nüchtern und geregelt durch freie, gleiche und geheime Wahlen. Wahlen gewinnt man mit Stimmen. Das ist auch das Ziel des Populisten: Stimmen fischen. Der Populist ist demnach ein Verführer des (Stimm-)Volkes, ein Demagoge (demos = Volk, agein = führen), weshalb als passende Übersetzung Volksverführer dienen kann.
Der kleinste gemeinsame Nenner: Dichotomie und Übertreibung als Stilmittel
Ein Populist strebt nach Macht unter Verdrängung der bis dato vorherrschenden Eliten. Sein Werkzeug ist seine Sprache, die er instrumentalisiert, um durch rhetorische Beeinflussungen Wähler zu mobilisieren. Welcher Methoden bedient er sich hierbei? Das Gemeinsame nahezu aller populistischen Strömungen ist die Durchsetzung der Sprache mit kontaminierten Begrifflichkeiten. Populismus missbraucht Sprache für politische Zwecke, indem er ihr das Verbindende und Konsensuale nimmt, um sie skandieren zu können. Dazu muss man Sprache „auf die Spitze“ treiben, sie durchsetzen mit Stilmitteln und Bildern, die Fatalismus, Endzeitstimmung und Alternativlosigkeit ausstrahlen.
Populismus nutzt dazu einfache rhetorische Kniffe, wobei insbesondere Übertreibungen und Pauschalisierungen überwiegen. Verbindender Überbau ist die Behauptung der Dichotomie aller Zustände, der herrschenden (und zudem ungerechten!) Zweiteilung der Welt. Populismus nährt seine Stilfiguren daher aus Schwarz-Weiß-Kategorien, Freund-Feind-Schemata, Messianismus und Pseudo-Volksnähe. Er setzt auf konstruierte Konfliktlagen, Kampfbegriffe, Dämonisierung und Verschwörungsmythen. Dieses sprachliche „Umpflügen“ wird vollzogen, indem alles, was nicht „Volk im engeren Sinne“ ist, stigmatisiert und ausgegrenzt wird:
In populistischen Parolen werden grundsätzlich „die da oben“ abgelehnt (Dichotomie), Eliten verteufelt (Schwarz-Weiß-Denken), in tragenden Ämtern und Organisationen Nepotismus und Seilschaften vermutet (Verschwörung) und abdichtend gepredigt, dass konsequent von „der Politik“ (Pauschalisierung) am „ganzen Volk“ (Pauschalisierung) und „am Willen des Volkes“ (konstruierte Konfliktlage) vorbeiregiert würde. Der Populist vertritt betont eigene Ansichten, präsentiert diese jedoch als zu eröffnende Wahrheiten (Messianismus). Es werden „alternative Fakten“ (Verschwörung) präsentiert, die von „der herrschenden Kaste“ (Freund-Feind-Denken) dem „kleinen Bürger“ (Pseudo-Volksnähe) nicht erzählt würden.
Wenn darüber hinaus aufgrund „gelenkter Handlungen“ (Verschwörung) des „Altparteienkartells“ (Kampfbegriff) der „Untergang des Abendlandes“ (Kampfbegriff) unmittelbar bevorstehe, weil durch die „Horden an Flüchtlingen“ (Dämonisierung) eine „Überfremdung“ (Freund-Feind-Schema) drohe, die unsere freiheitlich demokratische Grundordnung „vernichte“ (konstruierte Konfliktlage), dann ist das (neben Kauderwelsch…) vor allem eines: pathetisch, bedeutungsschwanger und nicht-kausal aneinandergereiht. Ist allerdings erst einmal der Zweifel in der Mitte der Gesellschaft gesät, genügt das „Laufen-Lassen“ der Dinge.
Populismus = Agitation = Ver(w)irrung
Ein Populist agiert grundsätzlich nicht wie ein redlicher Akteur des gesellschaftlichen Diskurses. Das Hauptmotiv seiner Agitation, nämlich Machtgewinn, wird hinter zahlreichen populären Themen versteckt. Seine Aussagen können daher durchaus wahr sein; wahrhaftig sind sie nicht. Der Inhalt der Agitation ist flexibel, weshalb Populismus auch als sog. „dünne Ideologie“ bezeichnet wird. Das bedeutet, dass er eine vielseitig verwendbare Blaupause liefert, auf die inhaltlich und ideologisch aufgesattelt werden kann. Populismus reflektiert nicht über die Redlichkeit seiner Inhalte, sondern ausschließlich über deren Wirkung. Er ist Mittel und Mittler von Beeinflussungen, nicht das Ergebnis.
Die populistische Vorgehensweise verfolgt neben der Machtgenerierung zudem ein weiteres klares Ziel. Es geht um „Verwirrung“ und „Affekt“. Populismus peitscht dunkle Emotionen auf. Diese hindern die besonnene Auseinandersetzung, weil Nebelschwaden aus Angst, Panik, Gier und Stolz die tatsächlichen Gegebenheiten bis zu deren Unkenntlichkeit verdecken. Das Paradoxe: Die vorgebliche Herrschaftsfreiheit („Hier darf man endlich alles sagen“) ist zugleich Ausdruck seines Elitarismus. Exemplarisch steht hierfür ein Zitat des (ehemaligen) Chef-Strategen des US-Präsidenten, des Publizisten und Filmemachers Stephen Bannon:
„Darkness is good. Dick Cheney. Darth Vader. Satan. That‘s power. It only helps us when they get it wrong. When they‘re blind to who we are and what we‘re doing.“
Noch Fragen?
Fetisch des Verfalls: Aufgepeitschte Fragen, aber kein Wille zur Antwort
Der Populismus bzw. die populistische Agitation ist eine sprachliche Methode der Stimmungsmache, der brachialen Vereinfachung und der rhetorischen Übertreibung, welche als Konvolut die Debatte erhitzen und die innere Hektik der gesellschaftlichen Schwingkräfte verstärken soll. Das ist weder volksnah, volksfreundlich, noch im Sinne des Volkes. Es ist manipulativ. Die Stimme des Volkes wird dem Volk genommen, zu einem Meinungsbrei zusammengeschmolzen und an die Grundfesten der pluralistischen Ordnung geklatscht. Alles Bestehende wird hinterfragt, bezweifelt, diskreditiert oder geleugnet. Tabus werden überschritten, um dadurch die Grenze des Erträglichen zu verschieben, hinter die sofort wieder der rhetorische Rückzug angetreten wird. Das hinterlässt Ungewissheit und Verunsicherung. Das ist auch gewollt, es ist der Fetisch des Verfalls: Verfall des Umgangstons, des Zusammenhalts, der Toleranz, des Vertrauens, des Systems. Die Stimmung verwahrlost und der Populist springt von Trittbrett zu Trittbrett. Aber cave! Populisten haben selbst keine Antworten auf die brennenden Fragen, die den Nährboden der Verunsicherung erst bereiteten. Aktuell Meinung
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Das Hauptproblem an der Kritik an Populisten besteht darin, dass der Populist zu jedem Augenblick sagen kann, aber die „Eliten“ machens doch genau so…und das schlimme ist, dass er mit dieser Aussage auch noch recht hat. Natürlich sind die Populisten ein ganz anderes Kaliber, aber den Geist des postfaktischen haben nicht Populisten aus der Flasche gelasse, sondern er resultiert aus einer Vertrauenskrise in unsere Presse und unseren Eliten, diese dachten im Internetueitalter noch immer mit ihren alten Methoden weiter machen zu können…