Versprechen ohne Zahlen
Merkel bereit für Neuansiedlung von Flüchtlingen aus Afrika
"Legale Wege" für Migranten, die massenweise im Mittelmeer ertrinken, werden immer wieder gefordert und versprochen. Jetzt haben Deutschland und andere Länder ihre Ankündigungen mit Blick auf Afrika etwas konkretisiert.
Mittwoch, 30.08.2017, 4:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 04.09.2017, 17:24 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Deutschland und weitere EU-Länder haben die Aufnahme einer unbestimmten Zahl von Flüchtlingen aus Afrika in Aussicht gestellt und zugleich eine weitere Eindämmung der sogenannten irregulären Migration beschlossen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kündigte am Dienstag bei ihrer Sommerpressekonferenz in Berlin und zuvor schon auf dem Pariser Flüchtlingsgipfel außerdem mehr Entwicklungshilfe an. Flüchtlingsorganisationen beklagten neben einer Abschottung Europas auch eine Irreführung der Öffentlichkeit.
Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR habe darum gebeten, Flüchtlinge aus Libyen aufzunehmen, erklärte Merkel in Berlin. „Deutschland ist dazu bereit.“ Bei der sogenannten Neuansiedlung (englisch „Resettlement“) identifiziert das UNHCR Menschen vor Ort als schutzbedürftig. Diese reisen dann auf legalem und sicherem Weg in das Aufnahmeland. Solche Programme gibt es bereits für syrische Flüchtlinge, die zum Beispiel direkt aus Jordanien nach Österreich geflogen werden.
Der Pariser Flüchtlingsgipfel erklärte nun die Bereitschaft zur Neuansiedlung Schutzbedürftiger aus Nordafrika. Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien wollen dazu laut Abschlusserklärung enger mit den Transitstaaten Niger und Tschad zusammenarbeiten. Die beiden Länder, deren Staatschefs in Paris dabei waren, liegen südlich von Libyen und sind Durchgangsstation für Migranten.
Versprechen ohne Zahlen
Zahlen nannten die Beteiligten nicht. Die EU-Kommission hatte Anfang Juli bereits den Rahmen für derartige Neuansiedlungen insbesondere aus Nordafrika gesetzt. Alle EU-Länder sollen bis Mitte September ihre Aufnahmebereitschaft erklären. Die Kommission fördert die Aufnahme pro Person mit 10.000 Euro und hat 377 Millionen Euro zurückgelegt, was 37.700 Flüchtlingen entspräche. Allein in Libyen befinden sich geschätzt mehrere Hunderttausend Menschen, die in Europa wiederum teils als Flüchtlinge anerkannt würden, teils als Wirtschaftsmigranten abgewiesen würden.
Das UNHCR begrüßte die Ergebnisse des Paris-Gipfels. Mehr Neuansiedlungsplätze seien „höchst willkommen“, erklärte das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen in Genf, das vergangenes Jahr nur für 15 Prozent der geplanten Neuansiedlungen willige Aufnahmeländer fand. Die EU hat allerdings frühere Ankündigungen noch nicht verwirklicht. Von 22.000 im Juli 2015 vorgesehenen Neuansiedlungen, damals vor allem aus der Region um Syrien, sind zwei Jahre später immer noch nicht alle Plätze in der Union vergeben.
Pro Asyl: Irreführung der Öffentlichkeit
Vor diesem Hintergrund kritisierte Pro Asyl die Gipfelbeschlüsse scharf und sprach von einer „Irreführung der Öffentlichkeit“. Die Bereitschaft zur Aufnahme von Menschen sei in Europa „nicht in Sicht“. Zugleich wollten die EU-Spitzen das individuelle Recht auf Asyl in Europa selbst für Schutzbedürftige „unerreichbar“ machen, urteilte die Flüchtlingsorganisation. Die Gesellschaft für bedrohte Völker in Göttingen erklärte: „Wenn Asylbegehren von Flüchtlingen schon in nordafrikanischen Ländern von staatlichen Stellen überprüft werden sollen, gibt es de facto kein Recht mehr auf Asyl für politisch Verfolgte und Kriegsflüchtlinge aus Afrika.“
Wer wie genau die Flüchtlinge für die Neuansiedlung auswählen würde, ist den Angaben zufolge nicht sehr klar. In der Abschlusserklärung von Paris heißt es, die Neuansiedlungsprozedur „könnte“ folgende Elemente enthalten: „Registrierung durch die Behörden des ersten Aufnahmelandes“ und „Identifizierung durch das Flüchtlingshochkommissariat“ von „Kandidaten“. Dem könnte eine „Anhörung und Sicherheitsüberprüfung im Aufnahmeland der Kandidaten durch Delegationen derjenigen Behörden, die für die Neuansiedlung zuständig sind“ folgen.
Amnesty: Vorschläge sind eine Farce
Scharfe Kritik ernten die Beschlüsse auch von Amnesty International. Das Gipfeltreffen habe vor allem ein Ziel: „Das Leid von Schutzbedürftigen und Migranten soll aus dem Blickfeld der Europäer verschwinden, indem die europäischen Außengrenzen de facto vollends nach Afrika verlagert werden“, erklärte Franziska Vilmar, Amnesty-Expertin für Asylpolitik. Die Vorschläge der deutschen und französischen Regierungen seien „eine Farce“ und aufgrund fehlender Kapazitäten in Afrika „völlig unrealistisch“.
Hinzu komme, dass es bei der Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten überhaupt keine Bereitschaft gebe, Flüchtlinge oder Migranten aufzunehmen. „Die neuen Vorschläge aus Deutschland und Frankreich zur Flüchtlingspolitik lenken ab von akuten Problemen, bei denen es dringenden Handlungsbedarf gibt: Weiterhin machen sich Menschen auf den lebensgefährlichen Weg über das Mittelmeer nach Europa, um Folter und Haft in Libyen zu entkommen“, sagte Vilmar. (epd/mig) Leitartikel Politik
Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.
MiGGLIED WERDEN- Fachkräftemangel vs. Abschiebung Pflegeheim wehrt sich gegen Ausweisung seiner Pfleger
- „Diskriminierend und rassistisch“ Thüringer Aktion will Bezahlkarte für Geflüchtete aushebeln
- Verwaltungsgerichtshof Nürnberg muss Allianz gegen rechts verlassen
- Ein Jahr Fachkräftegesetz Bundesregierung sieht Erfolg bei Einwanderung von…
- Brandenburg Flüchtlingsrat: Minister schürt Hass gegen Ausländer
- Chronisch überlastet Flüchtlingsunterkunft: Hamburg weiter auf Zelte angewiesen