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Ein gallisches Dorf in Bayern

Wie eine Mahnwache gegen Abschiebungen Bamberg zusammenschweißt

Wie ein kleines gallisches Dorf im Seehofer-Bayern. Am Bamberger Gabelmoo wird seit 33 Wochen mit einer Mahnwache gegen Abschiebungen nach Afghanistan protestiert. Das tut nicht nur den Bambergern gut. Von Janosch Freuding

Von Donnerstag, 21.09.2017, 4:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 25.09.2017, 17:00 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Gabelmann nennen die Bamberger in typisch fränkischem Understatement ihren Neptunbrunnen, oder kurz Gabelmoo. Der zugehörige Platz davor ist ein beliebter Treffpunkt für Verabredungen oder Ort für Veranstaltungen jeder Art, hier isst man in Ruhe sein Eis, und natürlich findet hier auch der tägliche Gemüsemarkt seinen Platz. Montags, wenn es Abend wird und die Händler ihre unverkaufte Ware zurück in den LKW verladen, die Kisten noch scheppernd über das Pflaster gerollt werden, versammelt sich auf den Steinen am Gabelmann eine kleine Gruppe. Sie bauen ihre Mikrofonanlage auf, rollen ein Transparent auf. Der Platz füllt sich langsam.

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Pünktlich um 18 Uhr kommen dort rund 200 Menschen zusammen, seit bald einem dreiviertel Jahr. Mehrere bekannte Bamberger Persönlichkeiten sind hier bereits aufgetreten, am bekanntesten vielleicht die Trägerin des Ingeborg-Bachmann-Preises, Nora Gomringer. Auch ein Cellist und ein Tubaist der Bamberger Symphoniker spielten hier schon, Musiker aus Finnland, Syrien und dem Iran ebenso. Ensemblemitgliederinnen des ETA-Hoffmann-Theaters und weiteren Bamberger Theatern lasen Texte, Bamberger Schülerinnen einen offenen Brief. Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Kirchen, Schulen und Gewerkschaften trugen Statements vor. Es wurde getanzt, gerappt, gemeinsam gegessen. Manchmal war die Stimmung fast schon andächtig, manchmal informativ, manchmal aufgebracht. Jede Mahnwache ist anders.

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Im Dezember hat die Bundesregierung begonnen, verstärkt Flüchtlinge nach Afghanistan abzuschieben. Fünf Sammelabschiebungen gab es seither, auch aus Stadt und Landkreis Bamberg wurden mehrere junge Männer abgeschoben. Dass nun wieder ins zweitgefährlichste Land der Welt abgeschoben werde sollte, war nicht nur in Bamberg für viele Menschen unverständlich. Als ein aus dem nahen Strullendorf ausgewiesener Afghane eine Woche nach seiner Abschiebung einen Bombenanschlag geriet und dort verletzt wurde, war die Sache klar: Ein öffentliches Zeichen ist nötig, an die Politik, aber auch an die vielen verängstigten Flüchtlinge, dass die aktuelle Flüchtlingspolitik nicht unwidersprochen bleibt. Bei der ersten Mahnwache am 13. Februar kamen anstatt der erwarteten 50 Menschen 350.

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„Herzlich willkommen zu der Mahnwache: Keine Abschiebung nach Afghanistan“, begrüßt Pfarrerin Mirjam Elsel, die die Mahnwache meistens leitet, auch heute die Anwesenden. Ein paar Passanten bleiben neugierig stehen. Viele der Versammelten kennen sich, doch es sind auch heute ein paar neue Gesichter dabei. Ins Leben gerufen wurde die Mahnwache von einem Zusammenschluss mehrerer Bamberger Initiativen und betroffenen Geflüchteten. Viele der Bambergerinnen und Bamberger hier engagieren sich selbst für Flüchtlinge und wissen, was Abschiebungen nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für Ihr Umfeld bedeutet. Schließlich ist eine Abschiebung nicht nur für die Abgeschobenen existenziell bedrohlich, die in ihren Herkunftsländern oft kein stützendes Netzwerk mehr haben. Sie löst auch bei denjenigen Ängste aus, die aus ihrem Bekanntenkreis von einer Abschiebung erfahren.

Die Mahnwache hat seit ihrem Beginn im Februar viele Hochs und Tiefs erfahren. Die Initiatoren finden es großartig, dass die Beteiligung weiterhin ähnlich hoch ist. Doch sie berichten auch von jeder neuen Sammelabschiebung nach Afghanistan als einen nicht nur gefühlten Rückschlag. Dass die Abschiebungen nach einem schrecklichen Bombenanschlag vor der deutschen Botschaft in Kabul Ende Mai vorläufig gestoppt wurden, bedeutete nur ein kurzes Aufatmen. Denn es gibt viele Ausnahmen von der Regel: „Straftäter“ und „Gefährder“ werden weiterhin abgeschoben, ebenso Menschen, die sich „hartnäckig einer Identitätsfeststellung verweigern“.

Ab wann ist man Straftäter und Gefährder, wie verweigert man sich hartnäckig einer Identitätsprüfung? Seit ein paar Wochen werden seit Langem wieder Sammelabschiebungen nach Afghanistan durchgeführt – wenige Wochen vor der Bundestagswahl. Der bayerische Flüchtlingsrat warnt auf seiner Facebook-Seite: „Es ist davon auszugehen, dass in Bayern nicht nur Straftäter darunter sind.“

Man kann es Flüchtlingen nicht verdenken, dass sie sich weiterhin Sorgen machen. Für die Menschen, die sie betreuen, bedeutet dies: zuhören, versuchen Ängste zu nehmen, oft verhindern, dass die Geflüchteten in Panik in anderen Ländern untertauchen. Viele Lehrerinnen und Betreuer auf der Mahnwache berichten seit Beginn der Abschiebungen im Dezember von Depressionen und Suizidversuchen, schlaflosen Nächten und sinkenden Schulleistungen der Schutzsuchenden.

„Es kann sehr berührend sein, wenn Geflüchtete von ihrer Geschichte und ihrer Lage erzählen. Fast poetisch, wenn ein Afghane erzählt, dass er sich auf seiner ersten Zugfahrt gewundert hat, dass alle deutschen Städte Bahnhof heißen.“

Ein anderes Thema, das eng damit zusammenhängt, ist im Laufe der Mahnwache immer wichtiger geworden: die Arbeits- und Ausbildungsgenehmigungen von Asylbewerbern. Bayern fährt hier einen rigorosen Kurs. Anweisungen des bayrischen Innenministeriums und die Praxis in den Ausländerbehörden machen es vielen unmöglich, ihre duale Berufsausbildung zu beginnen – oft trotz unterschriebener Ausbildungsverträge. Nach Angaben des bayrischen Flüchtlingsrates gilt dies für ca. 3.000 Jugendliche, die im September die Ausbildungsreife erlangen werden, obwohl es allein in Bamberg mehrere hundert offene Lehrstellen gibt. Das Verweigern der Arbeitsgenehmigung durch die Ausländerbehörden betrifft Jugendliche aus Sierra Leone, Äthiopien oder dem Sudan ebenso wie junge Menschen aus Afghanistan oder Pakistan. Die meisten von ihnen sind seit mehr als zwei oder drei Jahren in Deutschland und warten noch auf den endgültigen Ausgang ihres Asylverfahrens.

Aus diesem Grund haben die Organisatoren der Mahnwache einen offenen Brief an Repräsentanten aus Lokal- und Landespolitik geschrieben, der von einer langen Liste an Betrieben, Organisationen und Institutionen unterstützt wird. Als Ende April versucht wurde, einen afghanischen Schüler aus einer Nürnberger Schule heraus abzuschieben, und es zu einer bundesweit beachteten Protestaktion der Mitschüler und einem darauffolgenden Polizeieinsatz kam, organisierten die Bamberger am selben Tag eine Eil-Demo mit über 300 Menschen.

Globale Fluchtbewegungen bringen gewissermaßen Weltpolitik nach Bamberg. Natürlich liegen nicht alle Lösungen hierfür in Bamberg selbst. Doch wäre es kurzsichtig anzunehmen, dass sich die Auswirkungen nicht auch vor Ort zeigen. Es ist den Initiatoren deshalb besonders wichtig, auch hier aktiv zu werden. Neben dem öffentlichen Zeichen gegen Abschiebungen in dauerhafte Krisengebiete und Kriegsländer ist dies das zweite Anliegen der Mahnwache: Sie möchten einen Austauschort schaffen, in dem man sich über das Thema Asyl informieren und sich selbst einbringen kann.

Es kann sehr berührend sein, wenn Geflüchtete von ihrer Geschichte und ihrer Lage erzählen. Fast poetisch, wenn ein Afghane erzählt, dass er sich auf seiner ersten Zugfahrt gewundert hat, dass alle deutschen Städte Bahnhof heißen. Betreuungskräfte berichten aus der täglichen Praxis. Wir hören engagierte Reden des bayerischen Koordinators für Kirchenasyl oder einen Vortrag über globale Fluchtursachen. Bisweilen auch einen Sketch von Karl Valentin, begleitet von einer Tuba. Und wenn ein Bamberger Rapper mit „Hallo Bamberg!“ auf die Bühne tritt und kurz darauf Jung und Alt rhythmisch ihre Hände im Takt bewegen, wird es wirklich einzigartig.

Am Ende einer jeden Mahnwache werden dieselben zehn Abschluss-Statements verlesen und dabei Kerzen angezündet. In einer Zeit, in der im TV-Duell zweier Kanzlerkandidaten ein Großteil der Sendezeit über mehr Abschiebungen und Terrorismus gesprochen wird, möchten die Menschen auf der Mahnwache einen Gegenakzent setzen. Die Veranstalterinnen und Veranstalter sind froh, sich für diese eher leisere, aber kontinuierliche Protestform entschieden zu haben. Die Rückmeldungen sind sehr positiv, viele der Anwesenden kommen regelmäßig wieder. Besonders freut das Planungsteam der Mahnwache die Vielfalt der Beiträge. Es tut der Stadt Bamberg gut, eine Plattform zu haben, auf der über ein solch sensibles Thema gesprochen wird. Die schönsten Rückmeldungen sind aber die: Seit es die Mahnwachen gibt, fühlen sich viele der Flüchtlinge hier in Bamberg wieder stärker in die Gesellschaft eingebunden. Letztlich kann dies auch dazu beitragen, dass Bamberg stärker zusammenwächst und eine für alle offene Gesellschaft wird, für Geflüchtete und in Deutschland Aufgewachsene gleichermaßen. Gesellschaft Leitartikel

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