Die Bäckerschule in Bamako
Auswanderer verhelfen Jugendlichen in der alten Heimat zu Ausbildung
Vom Mehl zum Brot, vom Brot zum Bäcker: Emigranten haben zu Hause in Mali eine Berufsschule gegründet. Dabei suchten sie ihr Vorbild zunächst in Paris. Doch längst ist der Lehrplan für Croissants, Eclairs und Baguettes à la tropicale gestaltet.
Von Bettina Rühl Freitag, 27.10.2017, 6:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 05.11.2017, 13:45 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Konzentriert guckt Bintou Traoré auf den Löffel in ihrer Hand. Der geschmeidige sattgelbe Brandteig droht, rechts und links herunterzulaufen. Noch rechtzeitig bugsiert ihn die 18-Jährige in einen Spritzbeutel und drückt dann Teigwürste auf das Backpapier. Nur ungern lässt sich die angehende Konditorin für ein kurzes Gespräch beim Herstellen der süßen Eclairs in Malis Hauptstadt Bamako unterbrechen.
„Die Ausbildung macht mir Spaß“, sagt sie knapp. Die junge Frau ist bereits im zweiten Lehrjahr. Und sie ist von der Ausbildung überzeugt: „Wer ein Diplom hat, kriegt viel eher eine Stelle als jemand, der ungelernt ist.“ Genau das ist auch der Grund, warum malische Auswanderer die „Schule für Bäckerei und Konditorei Bamako“ schon im August 2004 gegründet haben.
„Viel zu viele junge Leute“ ohne Job
„Bei uns in Mali haben viel zu viele junge Leute keinen Job“, sagt Schuldirektor Yacouba Gagny Kanté. „Auch, weil kaum jemand etwas Praktisches lernt. Alle wollen Akademiker werden, und sind anschließend arbeitslos.“ Schuld daran trage auch der malische Staat, der kaum in den Ausbau der Berufsausbildung investiere.
Kanté ist noch immer begeistert bei der Sache. „Die Idee zu unserer Art der Ausbildung haben die Gründer des Zentrums aus Europa importiert“, erzählt er. Das waren allesamt Emigranten, die ihr Geld in Angola, den beiden Kongos, in Belgien und in Frankreich verdienten. Sobald sie genug zusammen hatten, gründeten sie eine Handelsfirma, die Weizenmehl nach Mali einführte. „Irgendwann dachten sie weiter, vom Mehl ans Brot, und von dort an die Bäcker.“
Lehrplan Tropikalisiert
Schon damals gab es in Mali sehr viele junge Arbeitslose. „Die Auswanderer, die im Ausland zu Geld gekommen waren, wollten ihren Beitrag zur Entwicklung leisten. Sie fanden Jobs am wichtigsten.“ Und dafür, dachten sie sich, sei eine gute Ausbildung die beste Voraussetzung.
Um die Jahrtausendwende habe es noch keine formelle Ausbildung für Bäcker und Konditoren in Mali gegeben, sagt Kanté. Die rund ein Dutzend Gründer hätten sich eine Schule für das Handwerk in Paris zum Vorbild genommen. „Anfangs haben wir sogar mit deren Lehrplan gearbeitet, aber das haben wir bald an unsere Verhältnisse angepasst.“ Kanté denkt kurz nach, sagt dann: „Tropikalisiert, wenn Sie so wollen.“
„In unserer Gesellschaft brechen viele die Schule ab“
Das heißt vor allem, dass die Ausbildung für jeden Geldbeutel maßgeschneidert wird. Sie kann zwischen wenigen Wochen bis zu zwei Jahren dauern. Dieses modulare System sei vor allem für Frauen von Vorteil: „In unserer Gesellschaft brechen viele die Schule ab, um zu heiraten. Später merken sie, dass das Einkommen des Mannes nicht reicht und sie auch Geld verdienen müssen.“ Mit dem Verkauf von selbstgebackenen Krapfen und Kuchen kann ihnen das gelingen.
Die Azubis sind einige Wochen in der Schule und einige Wochen in einem Betrieb. Ihre Zahl ist schwer zu schätzen. Kanté spricht von „höchstens 50 im Jahr“. Das wären seit der Eröffnung des Zentrums bis zu 650 Azubis.
„Ich lerne gerne“
Anders als im deutschen dualen System bekommen die Lernenden allerdings kein Geld, sondern müssen Schulgeld bezahlen: umgerechnet rund 800 Euro für ein ganzes Jahr die Konditoren, 650 Euro die Bäcker. Wer das nicht aufbringen kann, bekommt von der Schule einen Kredit, den er oder sie abzahlen kann, sobald sie eine Stelle haben.
In der Backstube haben rund 15 Azubis weitere Eclairs auf die Backbleche gedrückt, Croissants ausgerollt und Baguette-Teig geknetet. Der 25-jährige Salif Essala schiebt gerade ein Blech mit den langen Broten in den Ofen. Er hat die Ausbildung schon vor vier Jahren abgeschlossen, aber sein Betrieb hat ihn zu einer Weiterbildung noch einmal hergeschickt. „Ich lerne gerne“, sagt Essala, „und freue mich, wenn ich noch besser werde“.
Wer zu Hause Arbeit hat, geht nicht in die Fremde
Aus seiner Sicht hat sich die Ausbildung finanziell gelohnt. Derzeit verdient er im Monat umgerechnet knapp 70 Euro. Das ist auch in Mali wenig Geld, aber es gibt noch weit schlechtere Löhne. Der Sahelstaat zählt zu den ärmsten Ländern der Erde, mehr als die Hälfte der 18 Millionen Malier lebt unterhalb der Armutsgrenze. Und Essala ist zuversichtlich: „Mein Gehalt wird in den nächsten Jahren steigen.“
Jungen Menschen Zukunftsperspektiven zu vermitteln, gehört zu den Zielen von Direktor Kanté, der selbst nie im Ausland gearbeitet hat. „Wer zu Hause Arbeit hat, geht nicht in die Fremde“, sagt er. (epd/mig) Ausland Leitartikel
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