Polizeischüler mit und ohne Makel
Eine rassistische Debatte über Türken und Araber
„Saufrech“ und „dumm“ - senken Schüler mit türkischen und arabischen Wurzeln das Niveau der Polizeiausbildung? Das wird jedenfalls in einer anonymen Sprachnachricht behauptet, seit Tagen wird darüber debattiert – rassistisch.
Von Ekrem Şenol Donnerstag, 09.11.2017, 19:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 02.02.2020, 3:27 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
„Ich hab‘ noch nie so was erlebt, der Klassenraum sah aus wie Sau, die Hälfte Araber und Türken, frech wie Sau. Dumm. […] Das sind keine Kollegen, das ist der Feind“, sagt eine anonyme Stimme in einer von der Welt veröffentlichten Audio-Sprachnachricht. Seitdem berichten alle großen Medien quer durch die Republik über saufreche, dumme Berliner Polizeischüler mit einem gemeinsamen Makel: türkische und arabische Wurzeln. Ja, Makel!
Behauptung: Diese Audio-Sprachnachricht hätte keine große Beachtung gefunden, wenn der anonyme Sprecher nicht von Arabern und Türken gesprochen hätte. Schließlich gibt es immer und überall freche und dumme Schüler, auch bei der Polizei.
Hier der Beweis: Im Juni 2016 wurde bekannt, dass es in der Landespolizeischule in Eutin im Kreis Ostholstein zu massiven sexistischen und rassistischen Vorfällen unter Polizeischülern gekommen ist. In einer WhatsApp-Gruppe sollen Polizeischüler unter anderem Folgendes geschrieben haben:
- Ich hätte „Lust, mit der MP auch mal in eine Moschee reinzustürmen“. [Anm. d. Red.: MP Abk. für Maschinenpistole]
- „Ich will nicht mit so einem Kanacken in einer Dienststelle sein.“
- „Wenn ich einen Kanacken als Streifenpartner hätte, würde ich den am Ortsrand sofort aussetzen.“
- Wenn ein Migrant bei einer Demonstration am Boden liege, „würde ich nochmal drauftreten“.
Mindestens saufrech und dumm, oder?
Herausgekommen sind die Chat-Protokolle, nachdem sich Polizeischülerinnen bei der Schulleitung über massive sexuelle Belästigungen im Sport- und Schwimmtraining sowie über sexistische Witze in WhatsApp-Gruppen beschwert haben.
Frage: Können Sie sich an die bundesweiten Medienberichte Mitte 2016 zu den Vorfällen in der Eutiner Polizeischule erinnern? Nein, ich auch nicht. Dabei ist der Vorfall in der Polizeischule Eutin aktenkundig und nicht nur eine rassistische, pauschale, anonyme Behauptung in einer Audio-Sprachnachricht ohne Beleg und Nachweis.
Trotzdem haben sich zu den Vorfällen in Eutin weder Polizeigewerkschaft zu Wort gemeldet, noch Politiker; weder gab es eine öffentliche Empörung, noch wurden Maßnahmen gefordert oder angekündigt.
Nur der Piraten-Landtagsabgeordnete Patrick Breyer hat in Eigeninitiative immer wieder auf die massiven Missstände in der ostholsteinischen Polizeischule aufmerksam gemacht und dutzende Pressemitteilung an die Medien geschickt. Obwohl er mit seinen kritischen Fragen die Schulleitung massiv in Bedrängnis und die Landesregierung in große Erklärungsnot gebracht hat, blieb das große Medienecho aus.
Dabei gab es genug Stoff für die Titelseite: Es wurde mehrmals nicht (ordentlich) ermittelt, Beweismittel wurden nicht gesichert, teilweise vernichtet, die beschuldigten Polizeischüler waren nach Bekanntwerden der Vorwürfe sogar – wenn Piraten-Politiker Breyer nicht interveniert hätte – kurz davor, verbeamtet zu werden und auf Streife zu gehen.
Warum? Weil diese Polizeischüler keine türkischen oder arabischen Wurzeln hatten, also makellos waren? Weil sie „Kollegen“ und keine „Feinde“ waren, wie es in der anonymen Sprachnachricht formuliert ist?
Stellen Sie sich für einen Moment vor, ein türkischer oder arabischer Polizeischüler würde in einer WhatsApp Gruppe schreiben, er hätte Lust, mit der Maschinenpistole eine Kirche zu stürmen. Wie groß wäre – zu Recht – der Aufschrei?
Fazit: Man meint, dass öffentliche Interesse an Polizisten, die nicht dumm und frech sind, müsste herkunftsunabhängig bestehen. Die ungleiche öffentliche Empörung und das Medienecho sprechen nicht dafür. Offenbar entscheidet die Herkunft darüber, wie sehr wir uns aufregen oder ein Auge zudrücken.
Wenn es Probleme in der Berliner Polizeiakademie gibt, muss man darüber reden; und wenn es – wie auch immer – begründet ist – und nur dann! -, auch herkunftsbezogen. Das wäre legitim und nicht rassistisch. Rassistisch wird die Diskussion aber, wenn an anderer Stelle unerträglich geschwiegen wird, weil das Übel keinen Migrationshintergrund hat, „makellos“ ist. Die aktuelle Debatte ist aber auch schon deshalb mangelhaft, weil die Wortwahl des anonymen Sprechers niemanden zu stören scheint.
PS: Kaum Empörung hat im Übrigen ein weiterer Vorfall aus September 2017 in der derselben Eutiner Polizeischule ausgelöst: „makellose“ Ausbilder sollen Polizeischüler „mit Makel“ rassistisch beleidigt haben. Sicher haben Sie das mitbekommen, oder? Aktuell Meinung
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Erschreckende Kommentare hier teilweise. Das Problem besteht doch wohl eher darin, dass die Polizeischüler*innen ungebildet sind. Dass die Anforderungen gesenkt wurden, mag eine Erklärung sein, macht die Vorgänge aber nicht weniger erschreckend.
Ich erwarte von der Polizei, dass Sie ungeachtet der Herkunft handelt, dass Sie neutral ist und alle Bürger*innen grundsätzlich (im juristischen Sinne) gleich behandelt.
Mit ist dabei ganz egal, wer wie sonst ungebildet ist (oder auch nicht), das ist einfach ein rechtsstaatlicher Grundsatz – wenn der bei der Polizei nicht eingehalten wird, haben wir ein massives rechtsstaatliches Problem, dass uns alle betrifft – dumm, schlau, dick, dünn, ausländisch oder deutsch. Wer sich bei der Polizei nicht daran hält, muss verwarnt und ggf. aus dem Dienst entfernt werden.
Erschreckend, dass die Gewerkschaft der Polizei dies nicht selbstkritischer reflektiert. Dass die deutsche Polizeigewerkschaft ein rechtes Problem hat, ist seit langem bekannt. Dass die DGB-Gewerkschaft hier aber auch nicht immer eindeutig Stellung bezieht (und durch rassistische Ausfälle bestimmter Gliederungen z.B. auf Facebook (GdP Oberbayern Süd), oder Unverständnis gegenüber antifaschistischer Arbeit als demokratische Grundeinstellung negiert, ist in der Summe der Vorfälle leider wirklich auch schrecklich und steht m.E. nicht im Konsens zum solidarischen, demokratischen Grundgedanken des DGB.