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Interview

„Muslimische Eltern beklagen negative Erfahrungen mit Schulen“

Muslimische Eltern wünschen sich in Schulen einen toleranteren Umgang mit ihrer Religion, viele machen negative Erfahrungen. Das ist das Ergebnis einer qualitativen Studie über die religiöse Sozialisation in muslimischen Familien. Studien-Autorin Dr. Ayşe Uygun-Altunbaş erklärt im Gespräch mit dem MiGAZIN, welche Typen von Muslimen es gibt, was sie voneinander unterscheidet und warum die Kategorisierung in „liberal“ und „konservativ“ nicht die Realität abbildet.

Montag, 27.11.2017, 6:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 28.11.2017, 17:25 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

MiGAZIN: In den öffentlichen Debatten werden Muslime in zwei Gruppen unterteilt: liberale und konservative. Sie haben in Ihrer Forschung vier religiöse Typen ausgemacht. Welche sind das?

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Dr. Ayşe Uygun-Altunbaş: Die vier religiösen Erziehungstypen, wurden mittels einer qualitativen angelegten Untersuchung herausgearbeitet. Hierbei habe ich die Angaben über Erziehungsziele, die muslimische Eltern mit einer religiösen Erziehung in ihren Familien verbinden, in den Fokus genommen. Diese sind folgende: „Idealisten“ – Eltern, die nach Sinn und Orientierung streben. „Ritualisten“– Eltern, bei denen die Einhaltung von religiösen Vorschriften von zentraler Bedeutung ist. „Identitätssucher“ –  Eltern, die Identität und die Persönlichkeitsentwicklung in den Vordergrund stellen und schließlich die „Ethiker“ –  Eltern, die sich ethischen Grundsätzen verpflichtet fühlen.

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Um das besser zu verstehen: welchem Typ würden Sie die gemeinhin als „Liberal“ bezeichneten Muslime zuordnen? Oder passt ihre Typisierung überhaupt nicht in das Liberal-konservativ-Schema?

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Dr. Ayşe Uygun-Altunbaş, geb. 1977 studierte in Heidelberg Erziehungswissenschaften und Soziologie und promovierte an der Fakultät für Bildungswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Sie war von 2009 bis 2013 beruflich und ist seit 2016 ehrenamtlich im Bereich Eltern- und Familienbildung einschließlich Erziehungsberatung tätig.

Dr. Ayşe Uygun-Altunbaş: Die eigene Studie und die vorgestellten Typisierungen entziehen sich stark einem dermaßen vereinfachten Schema. Das Liberal-konservativ-Schema, wovon sie sprechen, gewann in den letzten Jahren in öffentlich-politischen Diskussionen zunehmend an Bedeutung. Ich meine, dass durch einfache Zuschreibungen ein Antagonismus unter Muslimen entwickelt wird, der sich erschwerend für eine sachlich-diskursive Auseinandersetzung mit religiösen Themen auswirkt.

Ich meine damit auch, dass zunächst bestimmt werden müsste, was unter „liberal“ und „konservativ“ sowohl begrifflich als auch wissenschaftlich-theoretisch verstanden wird, um daraus Kategorien für eine empirische Forschung abzuleiten.

In dieser Studie sollte es hingegen um Inhalte und Schwerpunkte einer religiösen Erziehung und der daraus folgenden Familienreligiosität gehen, und weniger um politisch-weltanschauliche Rahmungen. Es ging darum muslimische Familien aus ihrem eigenen religiösen Selbstverständnis heraus zu verstehen, die entgegen einer klischeehafter Vorurteilsbildung und öffentlich wahrgenommenen Stereotypisierungen, ein anderes und weitaus differenziertes Bild von sich (re)präsentieren.

Ok, sehen wir uns die vier Typen genauer an: Was unterscheidet sie voneinander?

Das sind Eltern, die verschiedene Aspekte des Islam mit unterschiedlichen Prioritäten und subjektiven Deutungsmustern in ihrer religiösen Erziehung verfolgen. Alle Typen verbindet als wichtigste Gemeinsamkeit, dass sie sich auf die drei wesentlichen Grundkomponenten einer islamisch-religiösen Erziehung beziehen: die Glaubensgrundlagen, die religiöse Praxis bzw. die rituellen Handlungen und die ethisch-moralischen Grundauffassungen im Islam (Glauben – Rituale – Ethik).

Idealisten zeichnen sich insbesondere durch den Sinnbezug, den sie bei den oben genannten Aspekten herstellen möchten. Ihre Kinder sollen durch ihre Religion eine Orientierung im diesseitigen Leben erfahren. Die Ritualisten heben die katechetischen Grundlagen des Islams, die sich besonders in ihrer religiösen Praxis äußern soll, hervor. Bei den Identitätssuchern liegt in ihrer religiösen Erziehung, die Betonung auf den Aspekt der Identität und der Persönlichkeitsentwicklung. Außerdem kennzeichnet sie eine hohe Bereitschaft und ein großes Engagement, sich für den Dialog und Vielfalt der Religionen einzusetzen. Die Ethiker stellen den ethisch-moralischen Aspekt einer religiösen Erziehung in den Vordergrund. Die Entwicklung eines guten Charakters soll dazu dienen, sich auf den Glauben zu beziehen, um religiöse Pflichten gewissenhaft zu erfüllen.

Der Unterschied liegt, wie deutlich wird, in der unterschiedlichen Herangehensweise an die o.g. Elemente einer religiösen Erziehung.

Sie haben auch die Einstellung muslimischer Eltern hinsichtlich des Umgangs mit dem Islam in den staatlichen Schulen erforscht. Was haben Sie herausgefunden?

Dr. Ayşe Uygun-Altunbaş: Für muslimische Eltern existieren zum einen, Benachteiligungen und Diskriminierungen, die sich auf die Religionszugehörigkeit und auf die religiöse Lebensweise ihrer Kinder zurückführen lassen. Sie wünschen sich einen toleranteren Umgang mit ihrer Religion. Zum anderen bieten gerade die Schulen und Kindertagesstätten für Eltern die notwendige Plattform, einen Beitrag für ein friedliches und konstruktives Miteinander zu leisten. Hierzu bringt sich ein Teil der Eltern ein und sie zeigen zudem unterschiedliche Perspektiven und Lösungsvorschläge auf, damit dieses Anliegen gelingen kann.

Welche Erfahrungen machen muslimische Eltern mit Lehrern und Erziehern?

Dr. Ayşe Uygun-Altunbaş: Im Umgang mit ihrer Religion stellen muslimische Eltern fest, dass insgesamt ein Teil der Pädagogen und Pädagoginnen sich ihnen und ihren Kindern positiv und verständnisvoll verhält, wohingegen ein relativ hoher Anteil Vorurteile gegenüber den Muslimen und dem Islam zeigt. Fast jeder Elternteil, gleich welchen Typs, berichtet von negativen Erfahrungen, die sich auf verschiedene Aspekte ihrer religiösen Identität beziehen. Dies ist, wie ich finde, besorgniserregend. Sollten Schulen nicht Orte sein, in denen sowohl ein kritischer Umgang mit religiösen Themen als auch Toleranz gegenüber Andersdenkenden erlernt und gepflegt werden?

Welche Erwartungen knüpfen muslimische Eltern an den islamischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen und wird das als Ersatz für die religiöse Bildung in den Moscheen angesehen?

Infobox: Die Studie Religiöse Sozialisation in muslimischen Familien ist eine qualitativ angelegte Untersuchung, bei der 16 Eltern davon 11 Mütter und 5 Väter im Zeitraum von Dezember 2012 und Februar 2013 mittels Leitfadeninterviews befragt wurden. Ausgehend von der Fragestellung, welchen Einfluss Moscheen, Kindertagesstätten und Schulen, aber auch die Peers, Medien und die Gesellschaft auf die religiöse Sozialisation von muslimischen Kindern haben, wurde erstmals die Perspektive der muslimischen Eltern aufgegriffen. Die qualitative Analyse zeichnet eine differenzierte Typologie religiöser Erziehungsvorstellungen und präsentiert typspezifische Merkmale der Familienreligiosität, Vermittlungsformen der religiösen Erziehung sowie weitere sozialisationsrelevante Einflüsse.

Dr. Ayşe Uygun-Altunbaş: Alle Eltern, damit sind uneingeschränkt alle Eltern gemeint, befürworten die flächendeckende Einführung des islamischen Religionsunterrichts in den Schulen. Sie verbinden damit primär einen identitätsbestimmenden und integrationsfördernden Effekt, der die Vielfalt und Toleranz in Schulen fördern soll. Allerdings formulieren sie weniger sozialisationsrelevante Erwartungen an den islamischen Religionsunterricht. Die Aufgabe einer religiösen Sozialisationsleistung wird mit unterschiedlicher Priorität von den Moscheen oder ähnlichen Bildungseinrichtungen erwartet. Daher wird der islamische Religionsunterricht nicht als Ersatz, sondern als eine wichtige Ergänzung zur religiösen Bildung in den Moscheen angesehen. Häufig wird durch Eltern auch ein komplementäres, ein sich ergänzendes Modell von Elternhaus, Schule und Moschee angestrebt.

Es ist hier allerdings anzumerken, dass in diese Studie mehr oder weniger reflektierte muslimische Eltern einbezogen und befragt wurden, denen die Weitergabe von religiöser Erziehung von besonderer Bedeutung ist. Die Ergebnisse dieser Studie widerspiegeln daher die Meinung eines bestimmten Anteils und Gruppe von Muslimen. Welche Ergebnisse zu erwarten wären, wenn ein anderes Sampling gewählt worden wäre, bleibt hier offen.

Welchen Einfluss nehmen muslimische Eltern auf den Freundeskreis ihrer Kinder?

Dr. Ayşe Uygun-Altunbaş: Eltern nehmen in unterschiedlichem Maße Einfluss auf die Freundschaftswahl ihrer Kinder. Die meisten Eltern betonen den Stellenwert der Freundschaften, die die Kinder im Rahmen von religiösen Netzwerken oder Moscheen knüpfen. Für wieder andere spielen auch Freundschaften, die sich im Rahmen der Schulen und Kindertagesstätten ergeben, eine wichtige Rolle.

Alles in allem kann gesagt werden, dass eine Gruppe von Eltern mit der Freundschaftswahl ihrer Kinder einen fördernden Effekt auf die religiöse Sozialisation ihrer Kinder erhoffen, wiederum einer anderen Gruppe an Eltern hingegen ist dieser Einfluss unwichtig.

Frau Uygun-Altunbaş, vielen Dank für das Gespräch! Aktuell Gesellschaft Interview

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  1. Antoinette de Boer sagt:

    Ein sehr interessanter und sicher auch fundierter Artikel – ein toleranter Umgang gegenüber j e d e r Religion sollte selbstverständlich sein, sofern sie eine friedliche Gesellschaft abbildet.Das sollte das Anliegen a l l e r Pädagogen,Pfarrer,Priester,Imame u n d Eltern sein !

    Allein die ungeheure Vielfalt der verschiedenartigen Weltanschauungen i n n e r h a l b der muslimischen,jüdischen, christlichen,buddhistischen und nicht religiösen Gemeinschaften überfordert viele Menschen,z B.Sozialarbeiter Polizisten etc und auch Pädagogen.

    Unser Land macht ständig neue Erfahrungen im Umgang mit der grossen Zuwanderung und wir müssen uns ganz sicher noch stark verbessern im Umgang und Verstehen der verschiedensten Sozialisationen,die sich von den unsrigen manchmal stark unterscheiden.Das soll heissen ,a l l e Seiten müssen sich Mühe geben und sich informieren.

    Ein w i c h t i g e r Schlüssel in den Schulen könnte das Fach E t h i k sein,das u.A auch die grossen Weltreligionen behandlt – wir haben nämlich in unserem Land nicht nur Probleme mit dem I s l a m ,sondern a u c h mit zunehmenden A n t i s e m i t i s m u s ,–und das ist ganz sicher nicht n u r
    ein deutsches Problem und könnte brandgefährlich werden ! !

    Wir müssen diese Probleme, neben den sozialen Verwerfungen in unserem Land, ganz allgemein s e h r ernst nehmen , auch dann,wenn es viel Geld kostet,was wir uns zur Zeit offenbar leisten können.

    Für ein friedliches Zusammenleben ist kein Preis zu hoch !