Wirtschaft und Selbstbewusstsein
Afrika wehrt sich gegen abgelegte Klamotten aus Europa
Einige ostafrikanische Länder wollen keine gebrauchte Kleidung aus Europa und Nordamerika mehr und planen ein Einfuhrverbot. Doch der Widerstand ist groß. Vom Geschäft mit der Kleidung profitieren viele. Von Benjamin Dürr
Donnerstag, 18.01.2018, 6:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 18.01.2018, 14:59 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
In Ruanda heißen sie „Chagua“, in Kenia „Mitumba“: Gebrauchte Pullis, Shirts und Hosen aus Europa und Nordamerika stellen in vielen Ländern Afrikas einen eigenen Wirtschaftszweig. Sie werden auf unzähligen Märkten verkauft. Jedes Jahr wird abgelegte Kleidung im Wert von rund einer Milliarde Euro nach Afrika verschifft, etwa ein Drittel davon nach Ostafrika. Doch dort wollen einige Länder nun dem Altkleidergeschäft ein Ende machen.
„Wir produzieren Baumwolle, Wolle und Leder, die zur Produktion von Kleidung verwendet werden“, erklärte etwa der tansanische Präsident John Magufuli im vergangenen Jahr. „Warum sollten wir Leder als Rohstoff exportieren und dafür schlechte, gebrauchte Schuhe importieren, die nach drei oder vier Tagen durchgelaufen sind?“
Altkleider-Spenden haben in Afrika zum Niedergang der lokalen Industrie beigetragen. In Ghana zum Beispiel arbeiteten in den 1960er Jahren rund 25.000 Beschäftigte in mehr als 20 großen Fabriken. Das westafrikanische Land produzierte für den eigenen, den regionalen und den Weltmarkt. Die lokalen Produkte im „Kaba and Slit“-Stil – mit den farbigen, langen, taillierten Kleidern für Frauen – waren gefragt. Heute arbeiten weniger als 2.500 Menschen in vier Fabriken.
Afrika: Eine Frage von Ehre und Würde
Gleichzeitig ist der Ruf nach einem Einfuhrverbot für Altkleider nach Afrika Zeichen eines stärkeren Selbstbewusstseins und für die Regierungen eine Frage von Ehre und Würde. Er verstehe nicht, warum seine Landsleute in abgetragener Kleidung herumlaufen sollen, sagte der tansanische Präsident. Ruandas Präsident Paul Kagame erklärte jüngst, Länder in Afrika sollten eine eigene Industrie aufbauen.
Doch das Vorhaben eines Einfuhrverbot stößt auf Widerstand. Kenia hat sich bereits aus dem Plan zurückgezogen. Industrie-Staatssekretär Adan Mohamed sagte im Mai, man wolle die eigene Industrie zwar stärken, dies aber nicht mit einem Importverbot erzwingen. Eine Rolle dürften dabei auch die USA gespielt haben, die mit der Aufhebung einer wichtigen Handelsvereinbarung gedroht hatten. Die USA befürchten, das Verbot könnte eigene Firmen schädigen, die Altkleider nach Afrika exportieren.
Viele angewiesen auf günstige Kleidungsstücke
Auch Experten sind skeptisch. Eine Politik mit dem Ziel, Importware durch Eigenproduktion zu ersetzen, habe in der Vergangenheit oft eher zu enttäuschenden Ergebnissen mit niedrigerem Wirtschaftswachstum und höheren Preisen geführt, erklärt Linda Calabrese vom Londoner Thinktank Overseas Development Institute (ODI).
Zudem würde wohl vor allem der arme Teil der Bevölkerung in Afrika den Preis zahlen. Viele sind angewiesen auf günstige gebrauchte Kleidungsstücke, die oft nur etwa einen Dollar kosten. Zukünftig müssten sie auf neue Produkte umsteigen. Calabrese empfiehlt deshalb eine andere Politik, um die heimische Industrie zu unterstützen, zum Beispiel durch die Verbesserung von Infrastruktur oder das Senken von Steuern. Ein Einfuhrverbot für Altkleider sei eine teure Politik mit wenig langfristigen Vorteilen, schreibt Calabrese in einer Analyse.
Experten warnen vor Nebeneffekten
Experten warnen zudem vor Nebeneffekten, wie dem Anschub von illegalem Handel oder dem Verlust von Importzöllen und Arbeitsplätzen. „Durch ein Verbot müssten afrikanischen Staaten auf Einnahmen in Millionenhöhe verzichten“, erklärt Christoph Kannengießer, Hauptgeschäftsführer des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft. „Mittlerweile hängen aber eine ganze Industrie und mehrere hunderttausend Arbeitsplätze an dem Geschäft mit Altkleidern, von Händlern, Transportunternehmern, Schneidern bis hin zu Tagelöhnern.“
Kannengießer sieht die wahre Konkurrenz nicht aus Europa oder Nordamerika: Die afrikanische Industrie habe vor allem mit Billigprodukten aus Asien zu kämpfen. „Da ist die Second-Hand-Ware für Menschen mit geringem Einkommen eindeutig die bessere Alternative, denn sie ist oft noch günstiger und qualitativ oft besser.“ (epd/mig) Aktuell Ausland
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