1.000 plus Härtefälle
Union und SPD einig beim Familiennachzug
Erhöhung auf "1.000+": Union und SPD wollen neben einem monatlichen Kontingent beim Familiennachzug von Flüchtlingen auch weiter Härtefälle berücksichtigen. Wie groß das Plus ausfällt, ist offen. Kritiker fürchten, es wird nur wenigen mehr geholfen.
Mittwoch, 31.01.2018, 6:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 05.02.2018, 15:43 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Bei den Koalitionsverhandlungen haben Union und SPD den Streit über den Familiennachzug von Flüchtlingen mit untergeordnetem Schutz beigelegt. Wie am Dienstag bekannt wurde, einigten sich Vertreter der Parteien, neben der bereits vereinbarten Kontingent-Lösung auch künftig die bestehende Härtefallregelung weiterlaufen zu lassen, um dringenden humanitären Fällen gerecht zu werden. Dies hatte die SPD gefordert. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl zeigte sich dennoch enttäuscht und sprach von einer „Pseudolösung“. Wegen der extrem hohen Anforderungen der Härtefallregelung habe sie schon in der Vergangenheit nur wenigen Menschen geholfen.
Flüchtlinge mit sogenanntem subsidiären Schutz können seit März 2016 ihre Angehörigen nicht nach Deutschland nachholen wie andere Flüchtlinge. Betroffen sind vor allem Syrer. Im März läuft die Aussetzung des Familiennachzugs aus. In den Sondierungsgesprächen einigten sich Union und SPD bereits darauf, künftig wieder Familienzusammenführungen für diese Gruppe zu erlauben, allerdings begrenzt auf 1.000 Nachzügler pro Monat.
1.000 Personen ab August
Die neue Regelung soll bis Ende Juli in Kraft gesetzt sein. Bis dahin soll der Familiennachzug übergangsweise weiter ausgesetzt bleiben. Über diese Übergangsregelung soll am Donnerstag der Bundestag abstimmen. In einem Änderungsantrag für den entsprechenden Gesetzentwurf ist auf Druck der SPD, die Verzögerungen befürchtete, der Stichtag 31. Juli 2018 konkret genannt. Es sei nun „sichergestellt, dass ab 1. August 2018 der Familiennachzug auch für Familien von subsidiär Geschützten dann endlich wieder möglich ist“, erklärte die Bundestagsabgeordnete Eva Högl, die in der Arbeitsgruppe Migration an den derzeitigen Koalitionsverhandlungen beteiligt ist.
Im Änderungsantrag, der dem MiGAZIN vorliegt, wird auch die künftige Regelung skizziert. Demnach sollen ab August pro Monat bis zu 1.000 Ehegatten, minderjährige Kinder und Eltern von in Deutschland lebenden subsidiär Geschützten aufgenommen werden. Weiter heißt es, „unberührt“ bleibe die Härtefallregelung nach Paragraf 22 des Aufenthaltsgesetzes, die eine Aufnahme aus „völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen“ zulässt. Diese Härtefälle sollen zusätzlich zum Kontingent kommen dürfen. Die SPD sprach von einer „Regelung 1.000+“.
Mayer: Familiennachzug in stark begrenztem Umfang
Diese Härtefall-Regelung galt bereits während der Aussetzung des Familiennachzugs für die vergangenen zwei Jahre, kam aber praktisch selten zur Anwendung. 2017 wurden gerade einmal knapp 100 Visa in Härtefällen erteilt. „Dieses Ergebnis ist eine bittere Enttäuschung“, kommentierte Pro Asyl die Einigung. Die Organisation nannte den Kompromiss eine „Pseudolösung“ und übergab am Dienstag im Bundestag eine Petition mit 30.000 Unterschriften für die Zulassung des Familiennachzugs ohne Einschränkungen.
Die möglichen künftigen Koalitionspartner bei Union und SPD äußerten sich dagegen zufrieden. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) lobte den in seinen Augen „klugen und ausgewogenen Kompromiss“. Gleichzeitig betonte er: „Die bestehende Härtefallregelung bleibt inkraft und wird damit weiterhin wie bisher angewendet.“ Der CSU-Bundestagsabgeordnete Stephan Mayer sagte mit Blick auf die Härtefall-Regelung, sie werde „in stark begrenztem Umfang für humanitäre Fälle ermöglicht“.
Die SPD unterstrich ihrerseits, dass der Familiennachzug für subsidiär Geschützte überhaupt wieder eingeführt wird. Es sei nun „sichergestellt, dass ab 1. August 2018 der Familiennachzug auch für Familien von subsidiär Geschützten dann endlich wieder möglich ist“, erklärte die Bundestagsabgeordnete Eva Högl, die in der Arbeitsgruppe Migration an den Koalitionsverhandlungen beteiligt ist.
Migration-AG der SPD: Kompromiss nicht tragbar
Für den Bundesvorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt in der SPD, Aziz Bozkurt, ist dieser Kompromiss jedoch „kaum tragbar“. Im Vergleich zum Sondierungspapier gebe es beim Thema Familiennachzug keine nennenswerten Fortschritte.
Kritik erntet der Kompromiss zwischen Schwarz-Rot auch in der Opposition. „Union und SPD bereiten die Umwandlung des Menschenrechts auf Familienleben in ein kontingentiertes Gnadenrecht vor“, kritisiert die Innenpolitikerin Ulla Jelpke (Linke). Der Änderungsantrag enthalte für die Zeit ab August 2018 eine bloße Kann-Regelung. „Die Zahl von 1000 ist nicht garantiert, es können auch wesentlich weniger sein“, so Jelpke. Mit dieser Regelung hätten sich die Koalitionäre vom Völkerrecht und dem Schutz der Familie verabschiedet. „Das Trostpflaster Härtefallregelung ändert daran rein gar nichts“, erklärt die Linkspolitikerin.
Kinderhilfswerk: Menschenrechtliche Katastrophe
Das Deutsche Kinderhilfswerk hat den Kompromiss von Union und SPD als „menschenrechtliche Katastrophe“ kritisiert. „Die jetzt getroffene Vereinbarung ist ein fauler Kompromiss“, sagte Vizepräsidentin Anne Lütkes der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Nach ihren Worten muss die Aussetzung des Familiennachzugs für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutzstatus sofort beendet werden, weil „Kinder besonders hart getroffen“ würden. Die derzeitige Rechtslage bedeute für die betroffenen Familien eine Trennung auf viele Jahre. „Hier muss schnell Abhilfe geschaffen werden“, forderte Lütkes.
Die Menschenrechtsorganisation „terre des hommes“ bezeichnet den Kompromiss als „ein trauriger Deal auf dem Rücken schutzbedürftiger Flüchtlingskinder“. Die strikte Begrenzung des Familiennachzugs sei rechtswidrig. „Die Große Koalition verhindert mit diesem Kompromiss zulasten von Kindern und Familien das Zusammenleben und die Integration vieler Flüchtlinge für viele weitere Jahre“, erklärte Jörg Angerstein, Vorstandssprecher von terre des hommes. Anstatt Integration zu fördern, würden die Rechte von Flüchtlingskindern „systematisch missachtet“. (epd/mig) Leitartikel Politik
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Dieses Thema wird leider meist einseitig diskutiert. Richtig ist, dass Familienzusammenführung die Integration fördert – falls die Familie sich nicht isoliert und falls die Gemeinde die Möglichkeiten hierfür bereitstellt. Richtig ist aber auch, dass dadurch das Bestreben steigt, nicht wieder in das Heimatland zurückzukehren. Und der vorläufige Aufenthalt dauert meistens so lange, dass die Kinder sich kaum noch in ihrem Heimatland integrieren können – von den hier aufwachsenden ganz zu schweigen.
Wie war es bei den jüdischen und deutschen Immigranten aus Russland, der Ukraine, Kasachstan u. a. Ländern der früheren Sowjetunion? Die allermeisten Älteren wurden mangels Sprachkenntnisse und beruflicher Qualifikation nicht integriert, während das mit den Jüngeren, hier Aufgewachsenen meistens gelingt.
Wie war es mit den Hugenotten, wurden die nicht gut integriert?
Die zweitgrößte Gruppe von Ausländern/Immigranten in Berlin sind die polnischen Mitbürger. Das ist kaum bekannt, weil sie nicht auffallen. Weshalb fallen sie nicht auf?
Wir können nicht nur nach anderen Einwanderungsländern gucken (NB: als Mitte der 1960-ger Jahre die USA den Familiennachzug erlaubte, soll das überwiegend ein Nachzug in das – magere – Sozialsystem gewesen sein), sondern auch aus unserer eigenen Geschichte lernen.
Meiner Ansicht nach sollte Familiennachzug nur denjenige – und dann auch unbegrenzt – gestattet werden, deren Angehörige sich noch im Krisengebiet befinden und die Schutz brauchen. Für Familienangehörige, die sich bereits in einem sicheren Drittstaat befinden, sollten der Nachzug weiterhin ausgeschlossen sein oder aber begrenzt werden. Meine Erfahrungen sind, dass viele der hier in Deutschland Schutzsuchenden, insbesondere aus Syrien, bereits zuvor in einem sicheren Drittstaat diesen Schutz gefunden haben. Der Weg eines Angehörigen nach Deutschland wird dann meist gewählt, weil die Bedingungen in Deutschland besser sind als bspw. im Libanon oder Jordanien.