Koalitionsvertrag
Der Ton macht die Musik
Die Themen Islam, Muslime und Türkei sind im Koalitionsvertrag stark negativ konnotiert. Union und SPD hinterlassen den Beigeschmack, als wollten sie sich dem rechten Rand der Gesellschaft andienen. Von Dr. Ismail H. Yavuzcan
Von Dr. Ismail H. Yavuzcan Freitag, 09.02.2018, 6:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 12.02.2018, 16:52 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Nun ist der Koalitionsvertrag öffentlich und in aller Munde. Schon wird er nach Schlagwörtern abgegraben. Die einen suchen nach der Asyl- und Flüchtlingspolitik, die anderen nach Islam, die anderen wiederum nach einem Einwanderungsgesetz – je nach Interessenlage und Befindlichkeit.
Muslime melden schon heftige Kritik an: Der stellvertretende Vorsitzender des Zentralrates der Muslime (ZMD), Mehmet S. Çelebi, sieht schon „österreichische Verhältnisse“ aufkommen. Tarek Bae von der „Islamischen Zeitung“ sieht gar die Handschrift der AfD im Vertrag. Genau sieben Mal wird das Wort Islam erwähnt. Nicht die Zahl aber der Kontext macht mulmig: in der Regel taucht er im Kontext von Islamismus und Terrorabwehr auf:
„Das Nationale Präventionsprogramm gegen islamistischen Extremismus wollen wir über das Jahr 2018 hinaus fortführen“ 1 heißt es an einer Stelle. An einer anderen Stelle wird plakativ festgestellt: „Gerade im weiter wachsenden Bereich des islamistischen Extremismus und Terrorismus wollen wir Prävention und Deradikalisierung weiter stärken, national und auf EU Ebene“ 2. Die Praxis wird zeigen, wie dies geschehen soll.
Was heißt das?
An anderer Stelle heißt es: „Zur Verbesserung der Sicherheit … wird das Bundesamt für Verfassungsschutz … seine Steuerungsfunktion verstärkt wahrnehmen, auch bei solchen, die zunächst keinen unmittelbaren Gewaltbezug aufweisen.“ 3. Was heißt das genau? Sind damit etwa die bestehenden muslimischen Organisationen gemeint, oder Gruppierungen, die vom Verfassungsschutz bis dato als salafistisch aber eben nicht als extrem bzw. gewaltbereit bezeichnet wurden? Hier wird – und das sollte immer im Blickfeld bleiben – die Umsetzung des Papieres zu beobachten sein.
Denn ein CSU geführtes Innenministerium könnte, obwohl man ja auch die Deutsche Islam Konferenz (DIK) weiterführen möchte, den Gangart noch mehr verschärfen und die Dissonanzen, die in letzten Jahren im Verhältnis von islamischen Verbänden und deutschem Staat entstanden sind, verschärfen.
Der radikale Islam
Vor allem ein Passus lässt horchen: „Wir werden den radikalen Islam in Deutschland zurückdrängen. Wir erwarten, dass Imame aus dem Ausland Deutsch sprechen. Radikalisierte Moscheen werden wir beobachten und gegebenenfalls schließen. Hierzu werden wir die Praxis zwischen Bund und Ländern abstimmen“ 4. Abgesehen von der eher theoretischen Frage, was denn der radikale Islam ist, wäre hier zu fragen: Sollen „Imame aus dem Ausland“ zum Besuch von Deutschkursen gezwungen werden? Hätte hier nicht ein positiver Hinweis gutgetan?
Dasss der Staat in Zeiten des internationalen Terrorismus seine Bürger – Muslime, wie Nicht-Muslime –vor Terror schützen muss, ist unbestritten. Aber er muss auch die persönlichen Freiheiten der Menschen wahren und darf bestimmte Gruppen nicht stigmatisieren. Denn: Was bitte schön sind „radikalisierte Moscheen“ 5? Moscheen an sich können sich wohl nicht radikalisieren, nur vereinzelte Imame sind es, die einige Dutzend Leute radikalisieren. Hier wird der Eindruck erweckt, dass Moscheen per se Hort des Radikalismus seien. Obwohl mittlerweile auch wissenschaftlich nachgewiesen ist, dass sich junge Menschen sich nicht vornehmlich in Moscheen, sondern im Internet radikalisieren.
Zivilgesellschaft gefragt
Die Praxis wird den Ton prägen und hier sind die muslimischen Akteure der Zivilgesellschaft gefragt, den Prozess der Umsetzung mit kritischem Blick und Augenmaß zu beobachten und zu kommentieren. Bei aller Kritik darf aber auch nicht übersehen werden, dass das Papier – auch wenn verhalten – den Blick auch auf das rechte Spektrum wirft. Denn Kritiker übersehen im Eifer, dass der Kampf nicht nur dem sogenannten Islamismus oder Salafismus gilt. Nein, die Koalitionsparteien haben auch den Kampf gegen Rechtsextremismus, Linksextremismus, Antisemitismus (s. Z. 5612f) in den Vertrag aufgenommen. Hierzu passt erfreulicherweise, dass die designierte Regierung aus den „Empfehlungen der NSU-Untersuchungsausschüsse bleiben für die präventive Arbeit gegen Rechtsextremismus“ lernen möchte 6. Dazu passt auch, dass die kommende Bundesregierung Antisemitismus, „ebenso anti-islamischen Stimmungen entgegentreten“ möchte, wobei anzumerken ist, dass wir schon lange nicht mehr von „Stimmungen“ sprechen können, sondern von offenem Hass und Gewalt gegen den Islam und vor allem gegen Moscheen. In diesem Zusammenhang hätte die Aufnahme des Begriffes Islamophobie ins Papier gepasst.
Wie gesagt: der Ton macht die Musik. Denn der Ton, der im Kontext von Islam und Muslime angeschlagen wird, korrespondiert mit dem Ton gegen die Flüchtlinge. Bettina Gaus betitelt in einem Gastkommentar für die „Tageszeitung“: „Der Umgang mit Geflüchteten bleibt beschämend“. Denn die Tonlage des Vertrages liegt auch hier klar: nach Möglichkeit abschrecken, es so schwer wie möglich machen und Alibi-Staaten wie die sog. Maghreb-Staaten bezahlen, damit man sich das Problem vom Halse halten kann.
Bloß kein Einwanderungsgesetz
Es soll natürlich auch nicht Einwanderungsgesetz heißen, man könnte ja auf die Idee kommen, dass Deutschland ein Einwanderungsland sei – faktisch ist es so, aber es kommt am rechten Rand der Gesellschaft eben nicht gut an. Behelfen wir uns mit der Umschreibung „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“ 7. Damit ja kein Flüchtling auf die Idee kommt, ohne einen anständigen Beruf vor Krieg und Terror zu flüchten.
Eine ähnliche Tonlage, wenn auch diplomatisch freundlicher, aber auch da bestimmend, wird in der Außenpolitik gewählt. Wobei Außenpolitik auch immer Innenpolitik ist und umgekehrt. Der Ton, der in der Außenpolitik beispielsweise mit der Türkei angeschlagen wird, hat Auswirkungen nicht nur auf das Verhältnis Türkei und Deutschland, sondern auch auf Muslime und Nicht-Muslime in Deutschland. Denn die meisten Muslime in Deutschland sind nun einmal türkeistämmig.
Türkeipolitik ist auch Türken-Politik
Zu Recht werden Defizite im Bereich Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten beklagt 8, aber der Hinweis, dass man „Im EU-Beitrittsprozess der Türkei keine Kapitel schließen und keine neuen öffnen“ werde (S. Z. 640), wird nicht nur die Türkei brüskieren, sondern auch für Unmut bei den türkischstämmigen Migranten sorgen, denn die Zungenlage ist eher auf Konfrontation angelegt. Martin Schulz (SPD), gehandelt aus zukünftiger Außenminister, der immer schon eine kritische Haltung zur Politik der Türkei hatte, wird es umso schwerer haben, eine ausgewogene Politik (die Interessen der Außen- und Innenpolitik abwägt) umzusetzen. Zumal die Aufheizer in der Türkei und in Deutschland bereits Stimmung gegen Deutschland und die bundesdeutsche Regierung machen und versuchen ein Bild zu zeichnen, wonach Muslime bzw. Türken in Deutschland unerwünscht seien.
Fazit: Die Wahrnehmung Islam, Muslime, Türkei ist im Koalitionsvertrag stark negativ konnotiert und hinterlässt den Beigeschmack, dass man sich eher dem rechten Rand der Gesellschaft andienen möchte, als staatsmännisch auf Ausgleich und Verständigung zu achten. Die Umsetzung des Vertrages wird aber auch entscheidend von den Akteuren (Mehrheitsgesellschaft, wie Minderheiten), die sich die Agenda nicht vom rechten Rand diktieren lassen wollen, geprägt werden. Nun ist es ihre Pflicht, immer wieder auf die Grundwerte, die im Grundgesetz verbrieft sind, zu pochen und damit den Ton des Koalitionsvertrages mitzugestalten und gegebenenfalls zu korrigieren.
- Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD. Zeile(n): 5625-5626
- Ebd. 6324-6326
- Ebd. 5980-5985
- Ebd. 6328-6331
- Ebd. 6329
- Ebd. 5622f
- Ebd. 549f
- Ebd. 7151
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siehe den Leitartikel von Paul Mason in der aktuellen Ausgabe des „Freitag“ !
Er macht den europaweiten Trend deutlich (siehe dazu unser Nachbarland Österreich) und was allein dagegen auf Seiten der Linken hilft: nämlich klare Kante zeigen bei jeder Art von Rassismus und für die Wiederherstellung des Sozialstaates, wie es die Momentum-Bewegung in England oder Melanchon in Frankreich erfolgreich propagieren. In der SPD gibt es weit und breit nicht die Kräfte, die dazu in der Lage oder willens sind.
Es ist notwendig, dass Imame in Deutschland auch die deutsche Sprache lernen müssen. Das müssen ausländische katholische Priester oder buddhistische Mönche auch.
Wir hatten diese Regelung auch schon einmal, da aber DITIB damals Sturm gelaufen ist, wurde diese Regelung wieder außer Kraft gesetzt. Das hat nichts mit Islamfeindlichkeit zu tun.
danke für den erhellenden Artikel! Es ist wichtig, so etwas immer wieder deutlich zu machen.
Und panther hat völlig recht.
Im Artikel wird ausgedrückt, dass in der Türkei „Defizite im Bereich Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten beklagt …“ werden.
Das ist äußerst schwach. Es entwickelt sich totalitärer Faschismus!
Damit geschmeidig (=diplomatisch) umzugehen bedeutet, zu akzeptieren.
Akzeptieren und verbal abschwächen, föderdert Faschismus.
Mehrheitlich unterstützen die in Deutschland lebenden Türkenen das auch noch.
Es geht nicht um Religion – es geht um Faschismus.
Wer mit Faschismus diplomatisch umzugehen versucht, hat aus der Geschichte nichts gelernt..
Wehret den Anfängen!