Marshallplan oder Symbolpolitik?
Entwicklungsexperten sehen deutsche Afrika-Politik kritisch
Mit einem "Marshallplan" will Deutschland afrikanische Länder wirtschaftlich stärken. Die Menschen sollen besser leben und letztlich nicht nach Europa auswandern, Rückkehrern soll die Heimat attraktiv werden. Migrationsexperten sind nicht überzeugt. Von Mey Dudin
Dienstag, 20.03.2018, 6:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 21.03.2018, 17:37 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Dem Marshallplan folgte in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg das Wirtschaftswunder. Das legendäre US-Wiederaufbauprogramm half den völlig zerstörten Ländern Westeuropas wieder auf die Beine. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) will nun in seiner zweiten Amtszeit seinen „Marshallplan mit Afrika“ vorantreiben. Es geht darum, den vielen Jugendlichen auf dem Kontinenten, auf dem der Altersdurchschnitt bei 18 Jahren liegt, Zukunftschancen zu bieten – auch, damit sie sich nicht auf den Weg nach Europa machen.
So sollen etwa deutsche Firmen investieren und in Afrika Jobs und Ausbildungsplätze schaffen. Migrationsexperten sehen die Maßnahmen kritisch, befürchten Symbolpolitik, da die Bereitschaft von Firmen zu Privatinvestitionen in Afrika sehr gering sei. Benjamin Schraven vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik sagt, für viele Afrikaner sei es nach wie vor am attraktivsten, in Europa zu arbeiten und das verdiente Geld direkt an ihre Familien zu schicken.
Entwicklungshilfe zur Bekämpfung von Fluchtursachen
Die Bundesbank schätzt die „Heimatüberweisungen der Gastarbeiter“ allein im Jahr 2017 aus Deutschland in afrikanische Länder auf rund 230 Millionen Euro – wobei Gelder, die über informelle Kanäle nach Afrika gelangen, in diesen Statistiken gar nicht erfasst sind. Die Weltbank stellte in einem Bericht 2016 fest, dass diese Geldtransfers – die den Angaben nach drei Mal das Volumen der internationalen Entwicklungshilfe hatten – die Lebensader für Millionen Haushalte in Entwicklungsländern sind.
Der „Pferdefuß“ beim deutschen Vorgehen ist laut Schraven zudem, dass der Entwicklungshilfe das Etikett „Fluchtursachen bekämpfen“ anhänge. Der eigentliche Zweck der Entwicklungszusammenarbeit, bessere Lebensbedingungen in den Ländern des globalen Südens zu schaffen, werde überlagert von weitgehend innenpolitischen deutschen Zielen, kritisiert er.
Koppelung von Entwicklungshilfe und Verteidigung
Müller wiederum wirbt für einen Ansatz der „vernetzten Sicherheit“, bei dem Sicherheit und Entwicklung gleichrangig sind. Dafür sieht auch der Koalitionsvertrag von Union und SPD die Koppelung von Entwicklungshilfe und Verteidigung vor. Die Ausgaben für beide Bereiche werden künftig im Verhältnis 1:1 erhöht – in den vier Jahren bis 2021 insgesamt um zwei Milliarden Euro.
Ein Programm, wo deutsche Innen-, Außen- und Entwicklungspolitik zusammenlaufen, ist das Flüchtlingsrückkehrprogramm „Perspektive Heimat“, über das sogenannte Migrationsberatungszentren unter anderem in Ghana, Marokko, im Senegal und Tunesien entstanden sind. Weitere sind in Nigeria und Ägypten geplant. Freiwillige Rückkehrer sollen hier in ihre Heimatländer reintegriert werden, aber auch alle, die auf Jobsuche sind, beraten werden.
Migrationsberatungszentren in elf Ländern
Laut einem Sprecher des Entwicklungsministeriums wurden in Tunesien seit der Eröffnung eines solchen Zentrums im März 2017 rund 1.000 Beratungsgespräche geführt, davon knapp 40 mit Rückkehrern aus Deutschland. In Ghana seien es seit vergangenem Dezember ebenfalls rund 1.000 Gespräche gewesen, im Senegal seit Januar rund 440 und in Marokko seit September etwa 40.
Einer Antwort des Entwicklungsministeriums vom Januar auf eine Kleine Anfrage der Links-Fraktion zufolge sind in insgesamt elf Länder, in denen Migrationsberatungszentren arbeiten oder geplant sind, von Januar bis Ende November 2017 gut 15.000 Menschen freiwillig zurückgekehrt. Diese Rückkehr wird unter anderem mit finanziellen Hilfen unterstützt. In Tunesien wurden demnach bis Ende November 2017 insgesamt 84 Menschen in Beschäftigung gebracht – etwa in der Gastronomie, in der Landwirtschaft oder im Dienstleistungssektor.
Experten zweifeln
Die für Migration und Westafrika zuständige Projektkoordinatorin der Organisation medico international, Sabine Eckart, hat aber Zweifel, ob die vermittelten Tätigkeiten überhaupt existenzsichernd sind. „Es wird der Anschein erweckt, man könne Leute nachhaltig in Arbeit bringen, dabei ist die Zahl der tatsächlich vermittelten Menschen sehr gering“, sagt sie ferner.
Und wie das Ende einer „Rückkehr“ auch aussehen kann, beschreibt Eckart am Beispiel des westafrikanischen Sierra Leone. Der Flughafen der Hauptstadt Freetown liege auf der anderen Seite einer großen Lagune und es koste 40 Dollar (rund 32 Euro), um mit dem Boot in die Stadt zu kommen. Jene Abgeschobenen, sagt sie, die dort weder Anlaufstelle noch Unterstützung hätten, würden am Flughafen „oft regelrecht ausgekippt und verwahrlosen im direkten Umfeld“. (epd/mig) Aktuell Politik
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