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Die jüngsten Zeugen

Gedenkstätte zeigt Ausstellung über Kinder im Konzentrationslager

Sie litten Hunger, verloren Eltern oder Geschwister. Weil das Grauen zum Alltag gehörte, spielten sie Leichen zählen. Eine Ausstellung in Bergen-Belsen rückt das Schicksal von Kindern in dem KZ in den Blick. Von Karen Miether

Freitag, 06.04.2018, 6:19 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 08.04.2018, 21:17 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Lous Steenhuis-Hoepelman hat eine besondere Kindheitserinnerung aufbewahrt. Die gestrickte Puppe „Mies“ begleitet die 76-Jährige seit ihrer Zeit im niederländischen Lager Westerbork. Lous Hoelpelman war erst drei, als sie 1944 in das Lager kam. Jemand hatte ihr Versteck bei Pflegeeltern verraten, in dem ihre jüdischen und im Widerstand engagierten Eltern das Mädchen in Sicherheit wähnten. Von Westerbork wurde sie einige Monate später in das niedersächsische Konzentrationslager Bergen-Belsen bei Celle deportiert – ohne Eltern auf sich gestellt wie 49 weitere Kinder.
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Eine Nachbildung der Puppe Mies gehört zu den Zeitzeugnissen, mit denen die Gedenkstätte Bergen-Belsen vom 15. April an in einer Sonderausstellung an die Kinder im Lager erinnert. „Ja, es ist eine sehr hässliche Puppe“, erinnert sich Lous Steenhuis-Hoepelman 2013 in einem Interview. „Aber für mich war es das Einzige, was ich hatte. Es muss gut gewesen sein, die hässliche Mies zu haben.“

Rund 800 Kinder kamen ums Leben

Mehr als 120 Video-Interviews haben die Historiker der Gedenkstätte seit 1999 mit Menschen geführt, die noch keine 15 Jahre waren, als Bergen-Belsen im April 1945 befreit wurde. Für die Ausstellung „Kinder im KZ Bergen-Belsen“ bilden die Filme den Hintergrund, um ein bisher vernachlässigtes Thema zu beleuchten, sagt Kuratorin Diana Gring. „Es ist unseres Wissens nach die erste umfassende Ausstellung über Kinder in einem deutschen KZ.“

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Mit Kapiteln wie Hunger und Sterben, aber auch Familie oder Spiele geben dabei neben 20 Filmstationen auch Fotos, Dokumente und Erinnerungsstücke von Überlebenden einen Einblick in die Kindheit im Lager. Unter rund 120.000 Menschen aus fast allen europäischen Ländern waren in Bergen-Belsen auch etwa 3.500 Kinder unter 15 Jahren inhaftiert, die meisten von ihnen Juden. In dem KZ in der Lüneburger Heide gab es ein Austauschlager, in dem die Nazis ganze Familien als Faustpfand festhielten. Anders als in Vernichtungslagern wurden dort deshalb Kinder nicht gleich ermordet. Dennoch kamen Schätzungen zufolge in Bergen-Belsen rund 800 Kinder ums Leben.

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„Sie haben Leichen gezählt“

Zum Ende des Krieges wurden dorthin Menschen aus anderen Lagern getrieben, darunter auch schwangere Frauen. „Wir gehen davon aus, dass hier etwa 200 Kinder geboren wurden“, sagt Gring. „Überlebt hat kaum eines von ihnen.“ Seit vielen Jahren stelle die Geschichte der Kinder in Lager einen Forschungsschwerpunkt der Gedenkstätte dar, sagt ihr stellvertretender Leiter Thomas Rahe. Die Zeitzeugen-Interviews zeigten dabei auch Facetten auf, die schriftlich selten überliefert wurden, weil sie angesichts der Schrecken im Lager zu banal erschienen. Die Spiele der Kinder gehören dazu, die offenbaren, wie das Grauen Teil ihres Alltags war. „Sie haben Leichen gezählt“, sagt Kuratorin Gring. „Das war schwierig, denn die Körper lagen teilweise verschlungen übereinander.“

Info: Die Ausstellung „Kinder im KZ Bergen-Belsen“ wird vom 16. April bis zum 30. September im Forum der Gedenkstätte Bergen-Belsen gezeigt. Öffnungszeiten: Täglich von 10 bis 18 Uhr. Zur Ausstellung gibt es ein Begleitprogramm, zu dem auch Zeitzeugen anreisen – unter anderem zu Jugendprojekten und Vorträgen. Später soll sie als Wanderausstellung weitere Stationen anlaufen. Weitere Informationen gibt es hier.

Von dem klassischen Rollenspiel „Vater, Mutter, Kind“ habe allerdings niemand berichtet, ergänzt Rahe. Ein Junge musste miterleben, wie neben ihm auf einer Pritsche der Vater starb. Für Waisen gab es eigene Baracken. In den Familien, die noch zusammen waren, verkehrten sich manches Mal die Rollen, wenn die Erwachsenen durch Hunger und Krankheit geschwächt waren. „Die älteren Kinder haben dann ihre Eltern versorgt“, erläutert Gring. Sie stahlen in der Küche Kartoffelschalen oder bewachten die schmalen Brotrationen. Die Last, von manchen Aufgaben überfordert zu sein, habe viele ihr Leben lang geprägt. Scham und Schuldgefühle nach dem Tod von Eltern oder Geschwistern begleiteten Überlebende bis heute.

14 Biografien

Manchmal seien es nur Bruchstücke, an die sich Menschen erinnerten, die als Kind inhaftiert waren. Doch diese hätten sich umso tiefer in ihre Seele gebrannt. Als verlässliche Zeitzeugen seien Kinder lange Zeit nicht gesehen worden, fügt Gring an. „Wir wollen deutlich machen: Was sie erlebt haben, ist ernst zu nehmen.“ In 14 Biografien zeichne die Ausstellung den weiteren Lebensweg von Kinder-Überlebenden nach, ergänzt Rahe: „Auch wenn es äußerlich nicht sichtbar ist und manche beruflich Karriere machten, hält bei vielen die Traumatisierung bis heute an.“

Zur Eröffnung am 73. Jahrestag der Befreiung am 15. April wollen rund 20 der Kinder-Überlebenden unter anderem aus Kanada, den USA, den Niederlanden, der Schweiz, Israel und Frankreich nach Bergen-Belsen kommen. Wie Lous Steenhuis-Hoepelman haben sie mit ihren Zeugnissen und Erinnerungsstücken dazu beigetragen, ein besonders dunkles Kapitel der NS-Geschichte in den Blick zu rücken. (epd/mig) Aktuell Feuilleton

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  1. Lutz Grubmüller sagt:

    Wir müssen die Erinnerung an den grausigen Schrecken Rechter Diktatur
    und Gewalt gegen unschuldige Kinder lebendig halten und an die nächsten Generationen Deutscher weitergeben!