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Maschendrahtzaun, Hände, Zaun, Gefängnis, Knast, Freiheit. Anker-Zentren
Hände hinter einem Maschendrahtzaun (Symbolfoto) © Fifaliana @ pixabay.com (CC0)

Euphemismus

„AnKER-Zentren“. Eine kritische Reflexion

Die GroKo will geflüchtete Menschen in „AnKER-Zentren“ unterbringen und von dort aus abschieben. ‚Zentren‘ erscheint als Euphemismus. Die Erläuterungen im Koalitionsvertrag erinnern vielmehr an ‚Lager‘.

Von und Mittwoch, 18.04.2018, 6:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 27.04.2020, 0:06 Uhr Lesedauer: 8 Minuten  |  

Die neue Bundesregierung plant „AnKER-Zentren“ zur Unterbringung und Abschiebung geflüchteter Menschen. Die ersten Zentren sollen bereits im Herbst 2018 in Betrieb gehen. Dieses Vorhaben wurde in politischen Kommentaren und Stellungnahmen bereits scharf kritisiert. Diese Kritik möchten wir um eine wissenschaftliche Reflexion der „AnKER-Zentren“ ergänzen, weil das Thema im öffentlichen Diskurs häufig mit populistischen Aussagen, verkürzten Darstellungen und Behauptungen verhandelt wird.

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Eine wissenschaftliche Positionierung hat zum Anliegen, bisherige Forschungsergebnisse in die Debatte einzubinden. Im Folgenden geben wir erste Anregungen zu einer solchen wissenschaftlichen Ergänzung und fragen, was sich hinter dem Begriff der „AnKER-Zentren“ verbirgt.

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„AnKER-Zentren“ im Koalitionsvertrag

Die „AnKER-Zentren“ sind als zentrale Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungszentren für geflüchtete Menschen geplant. Asylverfahren sollen dort „schnell, umfassend und rechtssicher bearbeitet werden“, heißt es im Koalitionsvertrag. Und weiter: „BAMF, BA, Jugendämter, Justiz, Ausländerbehörden und andere [sollen] Hand in Hand arbeiten. In den AnKER-Einrichtungen sollen Ankunft, Entscheidung, kommunale Verteilung bzw. Rückführung (An-K-E-R) stattfinden“.

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Das Ziel dieser Zentren soll sein, die Entscheidungen in Asylverfahren deutlich zu beschleunigen und Menschen, denen kein Aufenthalt gewährt wird, schneller und unkomplizierter als bisher abzuschieben. In der Folge sollen auf die Städte und Kommunen nur noch diejenigen Schutzsuchenden „verteilt“ werden, denen nach Prüfung im „AnKER-Zentrum“ eine „positive Bleibeperspektive“ zugeschrieben wird.

„AnKER-Zentren“ als Abschottungs- und Kontrollpolitik

Die geplanten Zentren sind Ausdruck einer Abschottungs- und Kontrollpolitik, die Menschen auf der Flucht an ihrer Mobilität und ihrem Zugang zu gesellschaftlichen Gütern behindert. Neu ist diese Steuerungspolitik keineswegs, vielmehr wurden die bayrischen „Transitzentren“, aber auch das System der Erstaufnahmeeinrichtungen „weiterentwickelt“.

In bayrischen Aufnahmeeinrichtungen werde unabhängigen Berater*innen und Anwält*innen der Zugang verwehrt, er hänge von der expliziten Zustimmung der Einrichtungsleitung ab, so Pro Asyl. Die Menschen werden also von der ‚Außenwelt‘ abgeschottet und isoliert. Die räumliche Bewegung wird eingeschränkt, verwaltet und überwacht. Geflüchtete Menschen werden zur „Manövriermasse“ 1. Zwischen ‚geflüchteten Menschen‘ und als ‚einheimisch‘ kategorisierten Menschen wird getrennt, die Ungleichbehandlung wiederum mit dem Aufenthaltsstatus und einem vermeintlich ‚notwendigen Schutz der einheimischen Bevölkerung‘ zu legitimieren versucht.

Gemeinhin steht der Anker als Symbol für ‚Sicherheit in der Seefahrt‘ – Sicherheit in schwierigen Zeiten scheinen diese Zentren jedoch nicht zu versprechen. Statt Schutzkonzepte für geflüchtete Menschen zu diskutieren, erörtert der Koalitionsvertrag, wie sie in „AnKER-Zentren“ ‚verwaltet‘ werden können. In den letzten Jahren sind tausende Menschen auf ihrer Flucht nach Europa im Mittelmeer ertrunken. Die Begrifflichkeit ‚Anker‘ erweckt den Eindruck, den Menschen Sicherheit zu geben; tatsächlich scheinen die Zentren jedoch blind für die tatsächlichen Bedürfnisse der Geflüchteten zu sein.

Der Euphemismus „Zentrum“ und das Akronym „AnKER“ verschleiern, dass diese Zentren – so liest es sich im Koalitionsvertrag – einer Kasernierung entsprechen werden. Wenn Menschen gegen ihren Willen systematisch in ihren Freiheitsrechten, ihrer Selbstbestimmung und Mobilität beschränkt, von der Außenwelt abgeschottet und in ihrem Tagesablauf durch die Logik einer Institution bestimmt werden, kann von einem ‚Zentrum‘ nicht die Rede sein. Es handelt sich um ein ‚Lager‘.

Tobias Pieper bezeichnet die bisher errichteten Strukturen als halboffenes Lagersystem, das mit den „AnKER-Zentren“ weiter ausgebaut und bundesweit eingeführt würde. Die Menschen im Lager seien nicht mit Stacheldraht eingesperrt, könnten prinzipiell verschwinden und z.B. in die aufenthaltsrechtliche Illegalität ‚abtauchen‘; die Grenzen seien symbolischer und institutioneller Art. Besonders belastend für die Geflüchteten sind die häufig schlechten, menschenunwürdigen und unzumutbaren Lebensbedingungen, die „Erosion von Privatsphäre und ein Leben in Zwangsgemeinschaften“, Residenzpflicht, Arbeitsverbot, Besuchskontrollen bzw. -verbote und die Versorgung über Sachleistungen. Sie zementieren eine Diskrepanz zwischen geflüchteten und nicht-geflüchteten Menschen im Lebensalltag.

Die Totalität des Lagers

Wissenschaftliche Studien weisen bereits seit Langem auf die schweren Folgen einer Unterbringung von Schutzsuchenden in Lagern hin. Traumatisierte Menschen laufen Gefahr, dass sich die Traumatisierung aufgrund der fremdbestimmten und exkludierenden Lebensumstände verhärtet. Entscheidend für die Zeit nach der Flucht ist, dass sie Unterstützung erfahren, damit sie ihre Situation bewältigen und ihr weiteres Leben planen können. In Lagern leben Menschen jedoch isoliert. Nicht selten werden sie von der Bevölkerung außerhalb der Lager stigmatisiert.

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In der Vergangenheit wurde von sexueller Gewalt und der Angst von Minderjährigen berichtet, nachts alleine auf Toilette zu gehen 2. Vicki Täubig 3 charakterisiert die Lebenswelt der Menschen in Anlehnung an den Soziologen Erving Goffman als „Totale Institution Asyl“ und „organisierte Desintegration“. Giovanni Picker und Silvia Pasquetti 4 weisen eindrücklich vier Dimensionen von Lagern für geflüchtete Menschen auf, die das Leben der in ihnen lebenden Menschen maßgeblich bestimmen:

  • die auf Dauer angelegte Vorläufigkeit von Lagern;
  • die rassifizierte Konstruktion von Lagern;
  • die räumliche Ordnung von Lagern;
  • und die Aushandlung von Zugehörigkeiten durch die Konstruktion von Lagern.

Die Menschen im Lager befinden sich in einem Provisorium und warten auf den Ausgang ihres Asylverfahrens. Im Koalitionsvertrag sind hierzu bis zu 18 Monate festgehalten. Die als ‚die anderen‘ rassifizierten Menschen verlieren durch die Lagerkonstruktion an Subjektivität, werden als von der Außen-Bevölkerung different erachtet und vom Konstrukt ‚deutsche Nation‘ ausgeschlossen.

Historisch reicht die Konstruktion von Lagern bis in die Kolonialzeit zurück. Lager dienten der Kontrolle von Kolonialisierten und sollten Aufstände verhindern 5. In der Aktualität der Lagerkonstruktion zeigt sich eine bedenkliche und gefährliche historische Kontinuität bis in die heutige Zeit.

Politische Argumentationsmuster

Die Idee, Menschen in Lagern zu kasernieren, zeugt von einer fortschreitenden Erosion humanitärer Standards im Umgang mit geflüchteten Menschen. So finden sich im aktuellen Koalitionsvertrag vielfältige Ziele, die eine Haltung der Abschottung zum Ausdruck bringen – beispielsweise der Versuch, Zuwanderung durch eine Obergrenze (als „Spanne“ bezeichnet) zu definieren, die weitere Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte, der Ausbau von Frontex zu „einer echten Grenzschutzpolizei“, die Unterscheidung in Menschen mit ‚guter‘ und mit ‚schlechter‘ Bleibeperspektive sowie die Ausweitung der sicheren Herkunftsländer 6. Politische Debatten darüber, ob der Islam zu Deutschland gehöre, und die Forderung nach einer „finalen Lösung der Flüchtlingsfrage“, verstärken die aufgemachte Unterscheidung zwischen einem ‚Wir‘ und den ‚anderen‘ weiter.

Die Planung der „AnKER-Zentren“ macht dabei die Haltung gegenüber geflüchteten Menschen besonders deutlich: Wer Menschen möglichst schnell ‚abfertigen‘ will, um sie möglichst rasch wieder in ihre Herkunftsländer zurückzuschicken, muss davon ausgehen, dass diese Menschen ohnehin keine ernstzunehmenden Gründe haben, hier zu sein.

Die Forderung nach ‚konsequenteren Abschiebungen‘ zeigt ein prinzipielles Misstrauen gegenüber Fluchtgründen. Sie verkennt die Notlagen von Menschen ebenso wie die Gesetze und Verordnungen, die Hürden für Abschiebungen geschaffen haben, um Menschenleben nicht zu gefährden. Dieser Haltung entsprechend werden im Koalitionsvertrag effiziente Asylverfahren gefordert. Effizient bedeutet hier schnell und damit kostengünstig – keine gute Ausgangslage für Menschen in diesen Verfahren. Die Lebensgeschichten der Antragsteller*innen sind komplex, und die Betroffenen können häufig nur unter hoher emotionaler Belastung davon berichten. Wie sollen unter diesen Rahmenbedingungen tatsächlich qualifizierte Einschätzungen und Einzelprüfungen erfolgen?

Kinderrechte, Inklusion und sozialer Zusammenhalt?

Das klingt in sich widersprüchlich, und es muss gefragt werden: Wer ist gemeint, wenn wir von Kinderrechten und Inklusion und Zusammenhalt sprechen, und wer ist hiervon ausgenommen? Oder, anders formuliert: „Wer gilt als Mensch? Wer nicht? Und warum nicht?“ 7. Versagen wir uns mit einem Vorstoß, wie ihn die „AnKER-Zentren“ verkörpern, nicht einer grundsätzlichen gesellschaftlichen Gestaltungsaufgabe? Wie wollen wir in einer vielfältigen Gesellschaft zusammenleben, ohne segregiert und separiert voneinander zu sein? Die Gefahr von „AnKER-Zentren“ liegt auf der Hand:

Statt geflüchtete Menschen von Anfang an in Alltags-, Arbeits-, Bildungs- und weitere Gesellschaftsstrukturen einzubeziehen, sind sie isoliert. Inklusion, verstanden als Zugehörigkeit von Menschen zu Gesellschaft, gilt dann nur für ‚spezifische Gruppen‘ und verkommt zur Farce. Menschen, die ihren Weg aus den „AnKER-Zentren“ heraus in die Kommunen schaffen, würde dann aber abverlangt, ‚sich schnellstmöglich zu integrieren‘. Offen bleibt auch, wie Kinderrechte in „AnKER-Zentren“ verwirklicht werden sollen.

„AnKER-Zentren“ setzen ein ganz bestimmtes Signal: ein Signal der Abschottung. Sie sind damit Gegenbild zu Kinderrechten, Inklusion und sozialem Zusammenhalt. Statt eines solchen Signals bedürfen wir – unseres Erachtens – einer nachhaltigen Debatte um eine vielfältige Gesellschaft, die Menschen zusammenbringt anstatt sie voneinander zu isolieren. In diese Debatte gilt es, wissenschaftliche Forschungsergebnisse einzubringen, denn gerade die Widersprüchlichkeit des Koalitionsvertrags zeigt wie notwendig wissenschaftliche Analysen und Positionierungen sind.

  1. Scherr, Albert (2018): Flüchtlinge, nationaler Wohlfahrtsstaat und die Aufgaben Sozialer Arbeit. In: Bröse, Johanna/Faas, Stefan/Stauber, Barbara (Hrsg.): Flucht. Herausforderungen für Soziale Arbeit. VS: Wiesbaden, 37-59.)
  2. z.B. Soyer, Jürgen (2014): Kinder zweiter Klasse. Junge Flüchtlinge in Bayern. In: DJI Impulse 105 (1), 7-8.)
  3. Täubig, Vicki (2009): Totale Institution Asyl. Empirische Befunde zu alltäglichen Lebensführungen in der organisierten Desintegration. Juventa: Weinheim.
  4. Picker, Giovanni/Pasquetti, Silvia (2015): Durable Camps: The State, the Urban, and the Everyday. In: City: Analysis of Urban Trends, Culture, Theory, Policy, and Action 19 (5), 681-688.
  5. Picker/Pasquetti 2015, 2
  6. ebd., 108
  7. Castro Varela, María do Mar (2018): „Das Leiden der Anderen betrachten“. Flucht, Solidarität und Postkoloniale Soziale Arbeit. In: Bröse, Johanna/Faas, Stefan/Stauber, Barbara (Hrsg.): Flucht. Herausforderungen für Soziale Arbeit. VS: Wiesbaden, 3-20.
Leitartikel Meinung Politik
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  1. Annemarie sagt:

    @Frank Underwood

    Moment, ganz so einfach ist es nicht:

    (Quelle Wikipedia) :“Als Konzentrationslager wurden im Deutschen Reich, soweit heute bekannt, erstmals im März 1915 Internierungslager der zum Kruppkonzern gehörenden Friedrich-Albrecht-Hütte für polnische Arbeiter in Barmen und Elberfeld bezeichnet. Dem folgten zahlreiche Internierungslager und provisorische Gefängnisse für deportierte Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und politische „Schutzhäftlinge“ im Ersten Weltkrieg und in der frühen Nachkriegszeit. Im Zuge der angestrebten massenhaften Ausweisung von „Ostjuden“, zumeist Migranten, die vor antisemitischer Verfolgung aus Osteuropa ins Deutschen Reich geflohen waren, ließ die bayerische Regierung 1920 in Ingolstadt und die preußische Regierung 1921 in Cottbus-Sielow und in Stargard in Pommern jeweils ein „Konzentrationslager“ einrichten. Dort wurden zur Abschiebung vorgesehene „Ostjuden“ interniert.“

    Auch das war „gesetzlich“ geregelt, sogar demokratisch.

  2. Spötter sagt:

    @Frank Underwood Gesetzlich geregelt kann alles sein. Sie gehen davon aus, dass wir nicht in einer Bananenrepublik leben. Ich schon. Sachsen z.B. hat, wenn ich recht informiert bin, Gelder die der Bund für Migranten zugewiesen hat, einfach so eingesteckt, und die Migranten zurückgeschickt. Der Begriff „Konzentrationslager“ war im Übrigen schon in der Weimarer Republik virulent, im Zusammenhang mit Flüchtlingen aus Polen – jüdischen Flüchtlingen. Bereits damals gab es gravierende Menschenrechtsverletzungen. In den ersten Jahren der Weimarer Republik wurden außerdem „Verfassungsfeinde“, worunter ausschließlich Kommunisten und Sozialisten verstanden wurden, in “ Schutzhaft“ genommen, d.h. ohne Gerichtsurteil und ohne Tatverdacht inhaftiert und in Lagern untergebracht, die ebenso wie die Abschiebelager für unerwünschte Ausländer „Konzentrationslager“ genannt wurden. Diese Lager wurden wieder geschlossen und bis 1933 mußten sich die Nationalsozialisten mit Drohungen von Konzentrationslagern begnügen. Man sieht also, ein Rechtsstaat schützt vor Unrecht keineswegs. So denken nur tumbe Kleinbürger!

    Wenn unserem Staat einmal das Geld ausgehen sollte, stehen all diejenigen als „Deppen“ da, die gemeint haben, man könne alles mit Gesetzen und Regelungen richten. Das ist ein gravierender Irrtum! Der Nerv der Dinge ist das Geld, gerade bei der Migration. Humanität ohne money ist etwas für Narren. Ein Rechtsstaat auf der Basis von Armut ist ein Rechtsstaat auf tönernen Füßen.